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Autor Thomas Kujawa
Datum 30.07.03, 08:43
Betreff 190 Kinder, 24 Länder - die Multi-Kulti-Kita im Osten


© Leipziger Volkszeitung vom Dienstag, 29. Juli 2003

"Güle, güle" winken sich das kleine Mädchen und die Erzieherin zum Abschied zu. Das ist Türkisch und heißt "tschüss". Von den 190 Kindern der Tagesstätte Konradstraße 21 im Leipziger Osten hat fast jedes dritte ausländische Wurzeln. Mit seiner Nationalitätenvielfalt ist der Kindergarten Spiegelbild des Stadtteils.


24 Fähnchen stecken in der großen bunten Landkarte. "Dass es so viele sind, war uns selbst nicht bewusst", staunen die Erzieherinnen der zwischen Eisenbahnstraße und Rabet gelegenen Einrichtung. Zum Kinderfest hatten sie die Idee, mit ihren Schützlingen alle Länder zu markieren, aus denen die Eltern oder zumindest ein Elternteil kommen. Am stärksten vertreten sind Irak, Vietnam, Türkei und die GUS-Staaten, dann geht es quer durch die Welt, von Kanada und Kuba über Kamerun und Nigeria bis Indien und Indonesien.


Für die irakischen Flüchtlingsfrauen Iman Jaber (30) und Chanr Jasin
(26) ist es selbstverständlich, dass ihre Söhne Ahmad Schekhil (3) und Mohammed (6) den Kindergarten besuchen. "Wir leben in Deutschland, mein Sohn muss was lernen", erklärt Iman Jaber, die sehr gut Deutsch spricht
- auch durch ihre Kinder. Die wachsen mehrsprachig auf: Sie reden zu Hause Arabisch, Türkisch oder Kurdisch und mit den Spielkameraden in der Gruppe fließend Deutsch.


Auch bei den Erzieherinnen hat sich der Sprachschatz erweitert. "Güle, güle", zu deutsch "tschüss", verabschieden sie gern mal ihre türkischen Kinder. Doch die erste Verständigung klappt manchmal nur mit Händen und Füßen - wie bei Fadhil aus Indonesien, dessen Vater und Mutter zum Studium nach Leipzig kamen. Da eroberte sich der Dreijährige gerade erst seine Muttersprache, Deutsch war ihm völlig fremd. Die Erzieherinnen ließen sich vom Vater indonesische Wörter aufschreiben: "Emam" heißt essen, "Bobo" schlafen oder "Chinie", dass der Kleine herkommen soll. "Auch wenn wir das falsch aussprechen, er versteht uns", freut sich Vroni Schanze. Die Kinder untereinander denken darüber gar nicht weiter nach, sie holen einfach ihr Spielzeug und legen los.


Doch nicht nur die Sprache, sondern auch verschiedene Religionen, Essensgewohnheiten und Tagesabläufe müssen im Kindergarten unter einen Hut gebracht werden. So liefert der Gastroanbieter neben der Normalkost auch moslemische Speisen ohne Schweinefleisch sowie ein vegetarisches Gericht. Ist es im Sommer heiß und wird im Garten geplanscht, dürfen die moslemischen Kinder nicht nackt herumlaufen, sondern sollen Badesachen tragen. Die Toilette darf ein moslemisches Kind nur benutzen, wenn es dort allein und unbeobachtet ist. Das geht nicht immer leicht einzuhalten, wenn ein Knips gerade auf dem "Thron" sitzt und der nächste plötzlich dringend muss. Wichtige Informationen wie Hausordnung, Aushänge und Elternbriefe werden in verschiedene Sprachen übersetzt.


"Vor der Wende hatten wir nur vereinzelt Kinder mit ausländischen Eltern zu betreuen", erzählt Vroni Schanze, Erzieherin seit 36 Jahren. Umdenken und Umlernen heißt es für das Team der städtischen Kita. "Wir wachsen in die Situation hinein, keine Kollegin verschließt sich dem Neuen, und die Kinder untereinander haben sowieso keine Berührungsängste", sagt die 57-Jährige. Auch die Leiterin der Einrichtung, Elke Franz, betont, dass gegenseitige Akzeptanz und Toleranz den Alltag bestimmen. Dafür ist Hintergrundwissen nötig. Erzieherin Gabi Schlenkrich holte es sich beispielsweise bei einem Kurs an der Volkshochschule über islamische Sitten und Gebräuche, Erziehungsgepflogenheiten, Feste und Feiern. Andere der 28 Mitarbeiterinnen nahmen an Infoabenden beim Verein Caktus teil. Für die Leiterin zählt eine Prämisse: "Jeder Mensch hat das Recht, nach seinen Traditionen zu leben, egal wo auf der Welt."


Jeder Zehnte im Leipziger Osten besitzt einen fremden Pass, in der Gesamtstadt nur jeder Zwanzigste. Egal, ob anerkannte Asylanten, Studenten, Russlanddeutsche oder ehemalige vietnamesische Gastarbeiter - viele suchen die Nähe ihrer Landsleute, wo es auch vertraute Treffpunkte, Vereine und Geschäfte gibt. Dass der Stadtteil über reichlich Wohnraum zum Sozialwohnungssatz von 3,85 Euro kalt pro Quadratmeter verfügt, begünstigte die stetige Entwicklung des Leipziger Ostens zum Multi-Kulti-Viertel.

Kerstin Decker

Quelle

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Thomas Kujawa
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Wer nicht fragt, kriegt keine Antwort.




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