carookee - group communication for you
Home / Ein Leipziger Elterntreff / Presseschau
Infos   |   Features   |   Gold-Edition   |   Kundenservice   
leipzig
  Übersicht
  Forum
Alles Allgemeine zum Forum
Forum-Regeln
Fragen zum Forum
PC & Internet
Eltern im Netz
Suche / Biete KiTa-...
Presseschau
Gesetze, Richtlinien, Verordnungen
Mitteilungen
Grüße
Umfragen
Mitglieder und Gäste
Mitglieder und Gäste
Webseiten der Mitgl...
Foren der Mitglieder
LOGIN





· Passwort vergessen
· Kostenlos anmelden
  Information
  Demo
  Features
  Im Vergleich
  Anmeldung
SUCHE
Beiträge, Foren oder Verfasser finden:
  Kundenservice
  Impressum
  Datenschutz
  AGB
Status
4.069 User online
0 User eingeloggt
 

Beiträge
        

Beitrag 14 von 912 (2%) |<   <   >   >|

Autor Jens Rehde
Datum 04.12.03, 19:12
Betreff "Deutschland armes Kinderland"


Quelle: http://www.eltern.de/familie_erziehung/familienpolitik/kinderland_mayer.html

"Deutschland armes Kinderland"

Sind Eltern in Deutschland schon Menschen zweiter Klasse? Die Kluft zwischen Familien und Kinderlosen wird immer größer. Gespräch mit Susanne Mayer über ihr Buch "Deutschland armes Kinderland".




Susanne Mayer, Redakteurin der Wochenzeitschrift "Die Zeit" beklagt in ihrem zur Frankfurter Buchmesse erschienenen Buch "Deutschland armes Kinderland" nicht nur die Kinderfeindlichkeit unserer Gesellschaft, sie zeigt auch originelle Lösungswege aus der Krise auf - damit aus diesem "armen Kinderland" wieder ein Kinderparadies wird.

Die Redaktion ELTERN-online sprach auf der Frankfurter Buchmesse mit Susanne Mayer.


"In Deutschland ist es unendlich kompliziert, Kinder zu haben"


ELTERN-online: 40 Prozent der deutschen Akademikerinnen bekommen keine Kinder mehr. In anderen europäischen Ländern sieht das ganz anders aus: In Skandinavien beispielsweise gehören Kindern auch unter Akademikerinnen ganz selbstverständlich zum Lebensplan. Was ist bei uns schiefgelaufen?

Susanne Mayer: In Skandinavien ist die Situation tatsächlich eine andere. Neulich traf ich einen dänischer Kinderbeauftragten und gebrauchte im Gespräch den Begriff "Singlegesellschaft". Er schaute mich groß an und wusste nicht, was ich damit meinte. In Dänemark gibt es Singles für ein paar Jahre, dann bekommen die Leute ganz einfach Kinder.
Deutsche Frauen entscheiden sich dabei gar nicht bewusst gegen Kinder. Hier ist es nur auf vielfältige Weise unendlich kompliziert, Kinder zu haben. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung Kinder möchte und denkt, dass irgendwann der ideale Zeitpunkt kommen wird, ein Kind zu haben. Diesen Zeitpunkt gibt es aber nicht.
Das Unheil fängt damit an, dass wir extrem lange Ausbildungszeiten haben. Das Studium will man nicht unterbrechen. Man weiß ja auch nicht, wohin mit den Kindern. Dann geht man in den Beruf und will nicht gleich wieder aufhören. Das ist ein Grund, weshalb Frauen den Kinderwunsch vor sich herschieben. Dann trennt man sich vielleicht vom Partner, und ab 30 nimmt bereits die Fruchtbarkeit ab.




"Es gibt keine Solidarität unter Müttern"


ELTERN-online: Berufstätige Mütter von Kleinkindern werden bei uns immer noch moralisch geächtet. Wer sein Kind in eine Krippe gibt, um wieder berufstätig zu sein, wird schnell als Rabenmutter gebranntmarkt. Trauen sich deutsche Mütter deshalb nicht, schnell in den Beruf zurückzukehren?

Susanne Mayer: Ein Problem bei uns ist sicher, dass es auch unter Müttern keine Solidarität gibt. Die berufstätigen Mütter sind für die Vollzeitmütter Rabenmütter. Jeder verteidigt den Lebensstil, den er gewählt hat. Da kann es passieren, dass Sie mit Ihrer ehemals besten Freundin beim Abendessen sitzen und sich anhören müssen: "Was, du gibst dein Kind in einen Ganztagskindergarten? Du versaust ihm doch die ganze Kindheit." Aber es kann ja nicht jede Frau einen Bankdirektor heiraten, viele Frauen müssen das Leben mit den Kindern selbst finanzieren. Es gibt also innerhalb der Elternschaft unglaubliche Grabenkämpfe. Man muss sich für eine Seite entscheiden und sich permanent rechtfertigen gegen die anderen Lebensstile statt sich mit anderen Eltern solidarisch zu fühlen.

ELTERN-online: In Frankreich sind die Kinderkrippen voll mit dreimonatigen Babys, und alle finden das normal. Hat die Frauenbewegung bei uns keine Früchte getragen?

Susanne Mayer: Die Frauenbewegung war - aus guten Gründen - über Jahrzehnte hinweg damit beschäftigt, für das Recht auf Abtreibung zu kämpfen. Und während wir dafür gekämpft und geackert haben, haben wir vollkommen aus dem Blickwinkel verloren, dass es immer unmöglicher wurde, überhaupt Kinder zu bekommen. Ich bin auch der Meinung, dass wir nicht immer nach Frankreich schauen sollten, wo inzwischen für Kinderbetreuung bis 20 Uhr gesorgt ist. Wir sollten uns auf uns selbst besinnen und uns fragen, wie wir mit Kindern umgehen und leben wollen. Wie sieht eine gute Kindheit aus? Wieviel Elternzeit brauchen die Kinder und die Eltern?




"Ganztagsbetreuung ist nicht das Allheilmittel"


ELTERN-online: Ganztagsschulen und Kindergärten mit ausgedehnten Öffnungszeiten sind also nicht die Lösung?

Susanne Mayer: Ganztagsbetreuung ist sicher nicht das Allheilmittel. Wenn alle Mütter bis 19 Uhr arbeiten, wieviel Zeit bleibt dann noch für die Familie? Abends sind alle Familienmitglieder erschöpft und genervt. Und wenn die Kindergärten so lange geöffnet sind, wie sollen Frauen dann ihrem Arbeitgeber erklären, dass sie heimgehen wollen, um bei ihren Kindern zu sein?
Die Schweden und Norweger machen das anders: Die gehen einfach. Voraussetzung dafür ist, wie schon gesagt, Solidarität unter Arbeitnehmern, die alle heimgehen wollen zu ihren Kindern. Meine norwegische Freundin ist Ärztin im Krankenhaus und hat zwei Kinder. Unter den Kolleginnen wird häufig auf ein drittes Kind angestoßen. Natürlich finden auch diese Frauen die Doppelbelastung anstrengend, aber da alle arbeiten und Kinder haben, ist Solidarität selbstverständlich. Wenn Sie aber in einem Heer von Kinderlosen arbeiten, die es alle unmöglich finden, dass Sie nach Hause gehen, dann ist das schon sehr viel schwieriger.
Und wenn wir noch länger arbeiten, wann erledigen wir all die anderen Sachen? In einem Haushalt mit zwei kleinen Kindern fallen rund neun Stunden Hausarbeit an: Waschen, Bügeln, Aufräumen, Einkaufen, Kochen. Ich hänge meine Wäsche manchmal um 22.30 Uhr, manchmal um 23.30 Uhr auf. Ich habe einen tollen Job, werde ordentlich bezahlt, aber ich kann mir trotzdem keine Haushaltshilfe leisten. Die berufstätige, allein erziehende Mutter arbeitet in Deutschland durchschnittlich 77 Stunden in der Woche und das in einer sogenannten Freizeitgesellschaft!
Mit den Forderungen nach Ganztagsbetreuung schaffen wir eine Art Familien-Arbeiterklasse, die bis zur Erschöpfung arbeitet, während die anderen längst im Fitnessstudio und in der Kneipe hocken.


Elternzeit - statt Altersteilzeit


ELTERN-online: Wir haben sicher alle nichts gegen mehr Freizeit. Theoretisch können wir als Eltern ja auch die Arbeitszeit reduzieren, aber wie stopfen wir das Loch im Haushaltsbudget, das durch weniger Arbeit entsteht?

Susanne Mayer: Eine Idee, in die ich mich völlig verliebt habe, ist die Einrichtung einer "Elternzeit" bei fast vollem Lohnausgleich. Auf diese Idee kam ich, als ich hörte, dass ältere Arbeitnehmer ab 57, 58 die sogenannte Altersteilzeit mit 90 Prozent Lohnausgleich und 100 Prozent Rentenausgleich in Anspruch nehmen können. Und davon machen diese in der Regel noch sehr leistungsfähigen älteren Leute auch gern Gebrauch. Dafür wird viel Geld ausgegeben - übrigens ohne jede öffentliche Diskussion.
Und dann sehe ich meine Kollegen mit kleinen Kinder, die mit tiefen, schwarzen Schatten unter den Augen zur Arbeit kommen, weil sie in der Nacht ihre Kinder beruhigt haben. Da kam mir die Idee: Wenn wir den jungen Leuten anbieten würden, über einen Zeitraum von sieben Jahren "Elternzeit" bei 90 Prozent Lohnausgleich zu nehmen, wäre das eine unglaubliche Erleichterung für Familien. Das würde ihnen Zeit für ihre Kinder schenken und die nötigen Mittel geben, um sie aufzuziehen. Durch die Umverteilung kämen auf den Staat keine zusätzlichen Kosten zu.

ELTERN-online: Das ist eine großartige Idee, aber wie kann man das politisch durchsetzen?

Susanne Mayer: Ja, das ist in der Tat ein Problem. Kinder gelten bei uns als Privatvergnügen, werden als ein teures Hobby angesehen. Familien treten kaum an die Öffentlichkeit. Ich denke, die berufstätigen Familien sind einfach zu erschöpft, um gegen ihre Situation zu rebellieren. Wir brauchen hochkarätige Lobbyarbeit! Wir brauchen nach norwegischem Vorbild einen "Kinderombutsmann", einen unabhängigen Familienvertreter in der Regierung, statt einer Kinderkommission, die sich aus Mitgliedern der Parteien zusammensetzt. Dieser Kinderombutsmann in Norwegen sagt sehr unbequeme Dinge, stößt wirklich Diskussionen an.


"Wir brauchen deshalb gesetzliche Regelungen, in deren Schutz Männer ihre Väterrolle ausfüllen können"


ELTERN-online: Wir haben jetzt von Müttern geredet. Welche Rolle spielen denn die Väter? Wollen Männer wirklich mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, oder sind die meisten ganz froh, sich hinter ihrer Arbeit verschanzen zu können?

Susanne Mayer: Väter werden heutzutage ja dringend gesucht, und wenn sie gefunden sind, dann werden sie beschimpft. Sicher, viele haben noch nicht so richtig begriffen, was Vaterschaft in letzter Konsequenz bedeutet. Man muss aber auch sehen, dass es Väter unendlich viel schwerer haben, im Beruf zu sagen, dass sie heimgehen müssen, um sich um die Kinder zu kümmern. Die Kollegen halten ihn dann für einen "Waschlappen".
Wir brauchen deshalb gesetzliche Regelungen, in deren Schutz Männer ihre Väterrolle ausfüllen können. Die Norweger haben einen Elternurlaub gesetzlich fest geschrieben. Da gibt es vier Wochen, die nur von Vätern in Anspruch genommen werden können. 80 Prozent der Väter tun das. Väter, die in den ersten Wochen die viel Kontakt mit dem Baby hatten, haben meist eine viel engere Bindung an ihr Kind.

ELTERN-online: Frau Mayer, eine letzte Frage: Wie schaffen Sie persönlich das alles? Sie haben einen anstrengenden Beruf, zwei Kinder, einen Haushalt, und jetzt haben Sie auch noch ein dickes Buch geschrieben.

Susanne Mayer: Ich konnte dieses Buch nicht nebenbei schreiben, und ich bin dem Chefredakteur der "Zeit" unendlich dankbar, dass er mir den nötigen Freiraum gegeben hat. Weiterhin habe ich das Glück, dass ich in einer Redaktion mit sehr engagierten Eltern arbeite, die mich immer unterstützt haben. Trotzdem gibt es viele Moment in meinem Leben, in denen ich - wie zahlreiche andere Mütter - das Gefühl habe, dass ich es nicht schaffe.

Susanne Mayer, Deutschland, armes Kinderland. Eichborn Verlag, Frankfurt 2002.






|<   <   >   >|

                                                                                                                                                                                                                           

Impressum  · Datenschutz  · AGB  · Infos  · Presse
Ein modernes Forum: teamturn.com