ALBANIA

 
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New PostErstellt: 11.03.08, 22:22     Betreff: Re: Der KANUN - 8.Buch: Die Ehre

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8. Buch: Die Ehre

[1. Kapitel]

Die persönliche Ehre

Der Kanun der albanischen Berge unterscheidet nicht den

Menschen vom Menschen: "Die Seele für die Seele - denn das

Äußere schenkte Gott." "Der Gute und der Böse haben denselben

Wert: der Kanun nimmt sie beide für Männer." "Der Gute stammt

vom Bösen ab, der Böse vom Guten." Von sich aus wiegt jeder

Einzelne 400 Derhem (türkisches Gewicht), weil 400 Derhem eine

volle Oka ist und der Ehrenhafte auch sein volles Gewicht hat.

Beleidigt jemand einen andern im Dorf, Pfand oder

Älteste, gibt es nicht für geraubte Ehre. Der Kanun sagt: "Wenn

du willst, verzeihe ihm; magst du, so wasche die getrübte Stirn!"

"Jeder hat seine Ehre für sich selbst, und niemand kann

sich einmischen oder die Ehre mit Ältesten und Pfändern

umhegen. Zwei Fingerbreit Ehre auf die Blume der Stirne gab uns

Gott."

"Die geraubte Ehre hat keine Buße." "Die geraubte Ehre

kann nicht verziehen werden (versöhnt durch Buße)."

"Die geraubte Ehre wird durch Gegenstände nicht ersetzt,

aber durch das Vergießen des Blutes oder durch die edle

Vergebung (nach der Vermittlung durch Herzensfreunde)."

Der Geschändete hat, was die Ehre betrifft, die offene

Türe (sie wurde ihm durch die Beleidigung aufgestoßen - die

schlimmste Unehre in Albanien). Pfand fordert er nicht. Älteste

zieht er nicht zu. Der starke Mann holt sich selbst die Buße.

Der Kanun des Lekë Dukagjini

122

Jener, dem die Tür geraubt wurde, gilt vor dem Kanun als

tot.

Die Ehre wird dem Manne geraubt:

a) indem ihm jemand vor den im Rat versammelten Männern

sagt, er lüge;

b) indem man ihn bespuckt, bedroht, stößt oder schlägt;

c) indem man die Treue oder Vermittlung bricht;

d) indem man ihm die Frau schändet oder entführt;

e) indem man ihm die Waffen des Armes oder Gürtels

schändet;

f) indem man ihm das Brot schändet, durch Beleidigung des

Freundes, des Dieners;

g) indem man ihm das Haus erbricht, die Hürde, Scheuer

oder Milchkammer;

h) indem man ihm Darlehen oder Verpflichtung vorenthält;

i) indem man ihm die Herdplatte (den Herdstein) entfernt;

j) indem man vor dem Freunde einen Bissen zu sich nimmt,

und so dem Freund die Ehre raubt;

k) indem man ihm vor dem Freund den Tisch schändet;

wenn der Herr des Hauses die Pfanne auskratzt oder den

Teller ausleckt.

[2. Kapitel]

Die gemeinsame Ehre

[1.] Der Freund

"Das Haus des Albaners gehört Gott und dem Freunde."

Der Freund (

Hof Stimme zu geben.

mik) kann das Haus nicht betreten, ohne im

Der Kanun des Lekë Dukagjini

123

Wenn der Freund Laut gibt, wird ihm der Herr des Hauses

oder sonst ein Hausbewohner antworten und entgegengehen.

Man begrüßt sich mit dem Freund, nimmt ihm die Waffe

ab, führt ihn ins Haus.

Die Waffen hängt man auf den Waffenstock und führt den

Freund zu Häupten der Stube an den Herd.

Man facht das Feuer an, ruft um Holz: "Der Freund will

Holz!"

Dem Freund wird mit Brot, Salz und Herz Ehre erwiesen.

Das Brot, Salz und Herz, den Holzblock und Streu für das

Lager findet der Freund bereit zu jeder Stunde des Tages und der

Nacht.

Dem müden Freunde wird aufgewartet mit Diensten und

Ehrbezeugung. Dem Freunde werden die Füße gewaschen.

Für jeden Freund braucht es die Speise, an die er selbst

gewöhnt ist.

Für den guten Freund braucht es Kaffee, Branntwein und

gedeckten Tisch mit einer Speise des Überflusses.

Für den Herzensfreund braucht es Tabak, den Kaffee mit

Zucker, Branntwein, Brot und Fleisch. "Dem Herzensfreunde wird

das Haus überlassen."

Wenn er ins Haus kommt, wirst du dem Freund die

Waffen halten. Das Halten der Waffen ist:

a) Ein Zeichen der Höflichkeit und Ehrbezeugung und der

Zufriedenheit über sein Kommen.

b) Es ist auch ein Zeichen der Obhut, denn, wenn du sagst:

"Gut, daß du kamst!", wird er ohne Furcht sein, denn er

weiß dich bereit, jeder Gefahr zu wehren.

c) Es ist auch ein Zeichen der Vorsicht für dich selbst, denn

indem du die Waffen an dich nimmst, könnte der Freund

dir nichts Übles mehr tun, auch wenn er böse Absichten

hätte; er ist entwaffnet.

Der Kanun des Lekë Dukagjini

134

man den Knall des Schusses nicht mehr hört.

124

Der Kanun i Papazhulit fordert, daß er so weit weg sei, daß

Dem Freunde wird der Platz zu Häupten der Stube

belassen.

Dem Freunde gibt man den Platz zu Häupten (Ehrenplatz)

sowohl im Haus wie im Männerrat, wenn er auch im Rat keine

Stimme hat.

Der Ehrenplatz wird dem Freunde überlassen als Zeichen

der Ehrerbietung, doch auch, auf daß man ihn gut sehe und er sich

nicht unter die Leute des Hauses mischen kann.

Betritt der Freund dein Haus, hat er dir seine Schuldigkeit

bezahlt.

Kommt dir der Freund ins Haus und er schuldet dir selbst

Blut, du wirst ihm sagen: "Gut, daß du kamst!"

Der Freund wird begleitet, so weit er begleitet zu sein

bittet.

Nimmt auch der Freund den Ehrenplatz ein, er führt nicht,

du führst ihn.

Der Freund wird geleitet, und wenn er ein Kind ist, ob

Mädchen, ob Knabe, geradeso wie ein Mann oder eine Frau.

Indem du den Freund geleitest, bis wohin er zu gehen

wünscht - du drehst ihm den Rücken, um deiner Arbeit

nachzugehen - in diesem Augenblick knallt die Büchse und tötet

ihn - er gilt dir nicht mehr als Freund

Für jeden Freund (Schutzsuchenden, Gastfreund) mußt du

den Arbeitstag verlieren, bei eigenem Brot (d. h. du mußt dich und

ihn aus eigener Tasche ernähren), solltest du selbst dabei

verarmen, auf daß du dich nicht mit Schande befleckst.

Während du den Freund geleitest, wird jede Schande, die

ihm jemand antut, von dir gefordert.

134.

Der Kanun des Lekë Dukagjini

125

Führe den Freund nicht; wenn du ihn aber führst, machte

die Augen auf, damit niemand ihm Schlechtes oder Schande

antue.

Der Kanun schreibt vor, den Freund zu geleiten, damit

ihm nichts Übles betreffe und ihm niemand Übles zufüge in

deinem Brot.

Tut der Freund in deinem Brot eine Übeltat, so wird von

dir Rechenschaft gefordert werden.

Der Geschändete und Geschädigte ist nicht verpflichtet,

den zu verfolgen, der ihn beschämte oder schädigte, er wird dem

an die Türe pochen, der jenen im Haus hatte und ihm Nahrung

gab.

"Das Brot sühnt den Schaden."

Darum ist es Kanun, daß man den Freund führe, denn es

wird angenommen, daß er den Weg nicht kennt und nicht weiß, ob

er Freund oder Feind begegnet.

Du wirst ihn anführen, denn du bist der Hüter des

Freundes, sowohl um ihn vor Ubel zu bewahren, als auch um ihn

von Übeltat abzuhalten.

"Das Brot ehrt dich, bringt dir aber auch Mühe." (Manche

sagten: "Das Brot wurde mir zum Teufel!").

Schändet der Freund dir das Brot, wirst du nach dem

Kanun Rechenschaft geben für das erbrochene Haus oder die

erbrochene Hürde, für gestohlene Herde und andere Räubereien.

Du wirst die durch deinen Freund verursachten Schäden

ersetzen, indem du die Glocke deiner Herde an den Balken hängst,

oder indem du die Zugochsen hergibst, oder deine Reihenfolge am

Wasser verkaufst.

Ehre und Schande wirst du mit dem Freunde teilen und

den Geschädigten wirst du befriedigen.

Du wirst bezahlen, kannst du aber vom Freunde etwas

dafür bekommen, hast du es für dich; sonst bleibt der Schaden dir.

"Du habest und gebest", sagt der Kanun.

Der Kanun des Lekë Dukagjini

135

im Schatten des Hauses geschieht, betrifft den Hausherrn. Der Schatten

reicht, so weit die Stimme aus dem Haus gehört werden kann."

Der Kanun i Papazhulit sagt zusammenfassend: "Alles, was

136

126

Der Kanun i Papazhulit sagt: "Er steht unter deiner Glocke."

Wie dir die Pflicht obliegt, für den beraubten Freund

einzustehen, so bist du auch zur Rechenschaft verpflichtet, wenn

der Freund in deinem Brot jemanden beraubt.

[2.]

Të premt e mikut (Schädigung des Freundes)

"Die Hut entläßt nicht."

Als

Schutzsuchende oder Gastfreund usw., der dich um Schutz oder

Schirm angeht, sei es durch den üblichen Zuruf: "In deiner Hut!",

sei es durch Einkehr in deine Wohnstätte

mik (Freund) gilt im weiteren Sinne jeder135. Të premt e mikut

bedeutet Schadenzufügung jeder Art gegen solchen Freund.

"Der Freund dem Freunde - der Gefährte dem Gefährten!"

Wenn dir an deiner Türe jemand auch nur ein Stück Glut

erbittet, um seine Pfeife anzuzünden, du gabst sie ihm, und

jemand tastete ihn an - er dient dir zum Freunde.

Fällt dir jemand in die Hand (Obhut) und sei es nur, indem

er deinen Namen nennt und sagt: "Ich bin der Freund jenes

Betreffenden" und wenn er dir auch nie an der Türe war - und

jemand tastet ihn an, so gelte er dir als Freund an der Türe, und

dein Antlitz ist dir geschwärzt

Verspottet dir jemand den Freund oder beschimpft ihn, so

wirst du die Ehre des Freundes wiederherstellen mit Gefahr deines

Lebens.

136.

Der Kanun des Lekë Dukagjini

127

Beraubte jemand deinen Freund, so bleiben dir zwei

Wege: entweder richtet er dich zugrunde (indem du den Schaden

ersetzest), oder er bedeckt dich mit Schande (wenn du deine

Freundespflicht nicht erfüllst).

Jenem, der dir den Freund beraubte, wird jeder

Gegenstand mit der linken Hand unter dem Knie durchgegeben

(Zeichen der Verachtung), bis er dir den Freund bezahlt hat.

Die linke Hand gilt vor dem Kanun als die Unehrenhafte,

die nimmt und nicht gibt. Was den Freund betrifft, wird nicht

verziehen. Nur der Treulose mit dem Treulosen versöhnt sich über

ihn.

Im alten Kanun hat der Richter den Ungetreuen (den einer

Treulosigkeit Bezichtigten) mit einem Knüttel verjagt wie einen

Hund und ließ ihn nicht in den Männerrat kommen.

Treulos ist derjenige, der seinem Schützling (dem

Schutzsuchenden) selbst das Leben nimmt oder ihn sonst schädigt,

oder der, so er Treue schuldet, verkauft (ausliefert, verrät); solcher

wird durch das Dorf hingerichtet, und sein Blut geht verloren

(wird nicht angefordert).

Mit dem Mund des Kanun: "Wegen des Vaters, Bruders

und der Vetternschaft kann verziehen werden, aber was dem

Freund angetan wurde, wird nie verziehen (es sei denn auf

Vermittlung des Herzensfreundes).

Für den beraubten Freund wird sehr selten ein

Gottesfriede geschlossen (d. h. die Rache durch Buße verglichen).

Die Vermittlung wird zuerkannt, wenn die Angelegenheit in

Ordnung gebracht wird, nachdem sie gegeben und genommen

haben (d. h. wenn die Missetat gesühnt ist, dann erst mischt sich

die Vermittlung ein).

Die Dörfer untereinander dienen als Freund:

a) Wenn ein Gefährte sich gegen den Gefährten verfehlt und,

aus seinem Haus tretend, ihn tötet oder dessen Begleiter

oder wen immer. (Dann tritt also das Dorf des Getöteten

Der Kanun des Lekë Dukagjini

137

und wenn der Täter nicht erkannt ist.

Im Kanun i Papazhulit nur dann, wenn er keine Sippe hat

138

die Bestrafung des dem Freunde zugefügten Unrechts nicht übernimmt),

ist man mit Schmach bedeckt. Der Albaner, der unter das Blut fällt, ohne

Blut vergossen zu haben, indem er den Totschlag am Freunde bestrafen

muß und den Täter tötet - wenn er es nicht in die Hand nimmt, ist er

ehrlos.

128

[Gj.]: Augenblicks, wenn man den Freund nicht fordert (d. h.

gegen das Dorf des Täters als Freund des Getöteten

auf.)

137

b) Selbst wenn der geschädigte Schützling Stammesbruder

oder Vetter ist, bleibt es unsere Pflicht, sein Blut zu

fordern. Zwar wird weder Stammesbruder, noch

Blutsverwandter im eigentlichen Sinn als Schützling

betrachtet, trotzdem ist es Schande, den Täter nicht zu

strafen (töten, verfolgen).

c) Fordert er nicht (durch die Rache) den erschlagenen

Freund, weil der Täter ein Stammesbruder war, kann er

nicht mehr in den Männerrat gehen, denn er ist für sein

ganzes Leben mit Schmach bedeckt. Der Albaner, der

dem Blut verfällt, weil er eine Blutschuld ahndete, wo er

nicht der dazu Berufene war, der also das Blut eines

ermordeten Schützlings ausgleicht, obschon dazu ein

anderer vor Stamm und Kanun die Pflicht hatte, wird dies

lieber hinnehmen und lieber mit Haus und Hof zugrunde

gehen als die Schande tragen, daß er da nicht eingriff, wo

die Sitte es erheischt.

Treffen sich auf der Landstraße zufällig zwei

Dorfgenossen und, während sie wandern, wird der eine

erschlagen, so dient der andere ihm nicht zum Freunde (d. h. er

braucht die Bestrafung nicht zu übernehmen)

138.

Der Kanun des Lekë Dukagjini

139

geltenden Schweif.

Kanun i Papazhulit: das Hinterteil mit dem als Delikatesse

140

haben aber solchen Totschlag verursacht, daß das Blut den Tisch wie

Regen netzte.

129

[Gj.]: Diese Betragensvorschriften scheinen wie Spiel, sie

[3.] Das Benehmen des Hausherrn gegen den Freund im

Hause

Der Freund nimmt den Ehrenplatz ein in der Stube, am

Tisch; ihm gebührt Obhut.

Dem Häuptlingsfreunde gebührt der Kopf

Hammels, dem Freund das Rippenstück.

Der Freund wird den Branntwein eingießen und als erster

die Hände auf den Tisch legen.

Ist der Freund nicht Bannerträger (Häuptling), aber eines

der Häupter des Banners (Stammes), gebührt ihm das

Rippenstück, dem gewöhnlichen Freunde der Kopf des Hammels.

Ist jemand aus dem Hause Gjonmarkaj am Tisch und ein

entfernter Freund, dann teilt der Häuptling mit dem Gjonmarkaj

den Hammelskopf, das Rippenstück gebührt dem anderem

Freunde.

Der Häuptling wird den Hammelskopf mit der Faust

brechen und dem Freund, wenn er das Rippenstück herausgeschält

hat, dessen Knochen brechen.

Kommt als Freund ein Ohërnjani (von Thkellas) nach

Mirdita oder in die Berge von Alessio - und da ist auch einer der

Gjonmarkaj, so nimmt der Ohërnjani den Ehrenplatz ein, nach ihm

der Gjonmarkaj (Dies geschieht nicht aus Ehre)

139 des140.

Der Kanun des Lekë Dukagjini

130

Den Kaffee nimmt der Freund, nach ihm der Herr des

Hauses.

Die Hände am Tisch wäscht der Herr des Hauses, nach

ihm der Freund.

Das Glas Branntwein trinkt der Herr des Hauses, dann der

Freund.

Den Bissen tunkt der Freund ein, dann der Herr des

Hauses; jener Hausherr, der den Bissen vor dem Freunde eintunkt,

zahlt 500 Groschen Buße.

Jener Herr des Hauses, der den eigenen Tisch schändet vor

dem Freunde, zahlt 500 Groschen Buße.

Die für den Freund abgeschossene Büchse (um für ihn

einzutreten) hat keine Buße (denn dieses Eintreten schreibt der

Kanun vor).

[4.] Die Vermittlung

Der Vermittler (

Schuld und wird nicht gefaßt.

Vermittler heißt jener, der sich einmischt, um über böse

Worte zu entscheiden, die Rache abzuwenden, aus der Totschlag

und anderes Verderben entstehen könnte.

Der Vermittler kann Mann oder Frau sein, Knabe,

Mädchen oder auch Priester.

Der Vermittler kann von Haus zu Haus, Dorf zu Dorf,

Stamm zu Stamm gehen, er hat überall Zutritt.

Wurde die Vermittlung einem bestimmten Hause

zugesprochen, sucht es den Freund selbst auf, der es zur

Vermittlung will.

Wurde die Vermittlung einem Dorfe zugesprochen, sucht

es den Freund selbst auf, gemeinsam.

ndermjetsi), wie der Bote, trägt keine

Der Kanun des Lekë Dukagjini

131

Wurde die Vermittlung einem Stamme zuerkannt, bittet

der ganze Stamm jenen Freund, den er zur Vermittlung will.

Wurde dem Priester die Vermittlung zuerkannt (d. h., daß

vermittelt werden soll), bittet die Pfarrei diesen (Priester)-freund,

daß er sich im Namen des Stammes einmische.

Der Priester, um über ein Übel zu entscheiden, mischt sich

nicht im eigenen Namen ein, sondern im Namen der

Pfarrgemeinde oder des Stammes, doch nur dann, wenn nicht die

Macht des Glaubenswortes in die Waagschale fällt.

Wo nicht die Macht des Glaubenswortes in die

Waagschale fällt, kann der Priester wie jeder andere vermitteln; da

aber sein Amt weder Schwert hat noch Strick, wenn seine

Vermittlung mißachtet würde, wird ihm Dorf und Stamm die Ehre

schützen, indem sie ihn als Freund (im Sinne der

Wiedergutmachungspflicht) beanspruchen.

Seien auf der einen Seite 100 Menschen erschlagen, auf

der andern kein einziger - sobald ein Vermittler eintritt, wird

dennoch die Büchse ruhen, das Feuer verlöschen (bis der

Vermittler sein Amt erfüllt hat).

Wird das Wort des Vermittlers nicht beachtet (führt die

Vermittlung nicht zum Zweck), so wird jenes Wohnviertel, das

mit dem Werk der Büchse beginnt, den Vermittler als seinen

ausgemachten Freund betrachten. (Ruht weder Büchse noch böses

Wort nach der Vermittlung, verwickelt sich der Knäuel in Haß, die

Büchse spielt kreuzweise, und man vernichtet sich gegenseitig).

Die Vermittlerworte sind nach dem Brauch: "Laßt die

Worte - oh Ihr! Ich bin Vermittler, laßt die Büchse ruhen, ihr

Männer - ich bin Vermittler, auf daß ihr euch verständiget. Laßt

die Büchse ruhen, denn das Dorf - der Stamm - steht zwischen

euch!"

Der Vermittler nimmt Pfänder von beiden Streitparteien,

indem er ihnen mitteilt, wo und wann sich der Männerrat zur

Verständigung versammeln wird.

Der Kanun des Lekë Dukagjini

132

Gelingt dem Vermittler die Versöhnung nicht, werden die

Pfänder beider Parteien ehrenhaften Männern ausgehändigt; damit

befreit sich der Vermittler vom Amt und Würde.

Die Vermittlung endet stets bei Sonnenaufgang oder

Sonnenuntergang.

[5.] Die Bürgschaft

Bürge heißt jener, der sich einem andern für eine Schuld

zur Verantwortung verpflichtet; zahlt zur bestimmten Frist der

Schuldner nicht, tritt der Bürge ein.

Der Gläubiger, der einen Bürgen hat, braucht dem

Schuldner nicht zur Tür zu gehen, der Bürge wird für jenen zur

Verantwortung gezogen. "Gebundene Hand - gebende Hand", sagt

der Kanun.

Und stirbt der Schuldner, geht dem Gläubiger nichts

verloren; für die Schuld jenes Verstorbenen tritt der Bürge ein.

"Stirbt der Schuldner - so lebe der Bürge!" sagt der Kanun.

Bereut der Bürge und möchte aus seiner Bürgschaft

entlassen sein, so entläßt ihn der Kanun nicht, denn "der Bürge

tritt nicht für gute Vorsätze in die Sache ein, sondern um zu

zahlen!"

Der Bürge tritt freiwillig in die Sache ein, und darum hat

er kein Recht - weder vom Schuldner, noch vom Gläubiger - ein

Schuhgeld (Vermittlungsgebühr) zu fordern. "Bürge oder

Treueverschworener wird niemand für Gewinn."

Bittet der Schuldner jemanden um Bürgschaft, und dieser

tut ihm den Willen vor der Männerschaft, so sagt er: "Ich mache

dir den Bürgen, aber sieh zu, daß du, falls du nicht die Absicht

hast, das Geld zur bestimmten Frist zu bezahlen (bereitzulegen),

mir dies schon jetzt mitteilst, damit ich mich bereithalte, an

Der Kanun des Lekë Dukagjini

141

noch Bürge der Schande, wenn nicht zum festgesetzten Termin bezahlt

wird (

er die Schuld ableugnet. Als die Staatsbank unter König Zog errichtet

wurde, erschraken die Direktoren, da die Fristen für Rückzahlung nie

eingehalten wurden; Landeskundige beruhigten sie, weil die Schuldner

ihre Schuld niemals ableugneten. Tatsache ist, daß die Bank in 15 Jahren

in Darlehnsgeschäften nicht einen einzigen Lek einbüßte.

133

Unter dem Kanun i Papazhulit verfällt weder Schuldnerse çdo ditë është e Zotit - jeder Tag ist Gottes), sondern nur, wenn

deinerstatt zu zahlen. Daß du es wissest! Denn Unehre ertrage ich

nicht!"

Antwortet darauf der Schuldner nicht und duldet er, daß

jener sich verpflichtet, an seinerstatt zu zahlen, wird der Bürge

dem Gläubiger sein Pfand geben.

Der Gläubiger hat das Recht, dieses Pfand wem immer zu

geben, um seine Forderung einzutreiben.

Der Bürge hat das Recht, beim Dorf gegen den schlechten

Schuldner zu klagen, und das Dorf wird den Schuldner drängen,

das Pfand des Bürgen auszulösen und ihm wieder einzuhändigen.

Hat der Schuldner das Geld nicht bereitgelegt aus

schändlichem Geiz, läßt ihn das Dorf, je nach der Schwere seiner

Schuld, für getanen Raub verfolgen

Hat der Schuldner das Geld aber zu bestimmten Frist

bereitgelegt, wird er dies dem Bürgen zu wissen tun, ehe er dem

Gläubiger das Geld aushändigt.

Wenn der Schuldner zur bestimmten Frist das Geld aus

Mittellosigkeit nicht bereitlegen kann, wird sich der Bürge

bereithalten, für ihn zu zahlen, und das im Guten; er hat keinen

Grund, ihn vor das Dorf zu bringen, und seine Klage würde nicht

beachtet: hätte er sich besonnen, ehe er sich verbürgte!

[3. Kapitel]

141.

Der Kanun des Lekë Dukagjini

134

Das Blut und die Verwandtschaft, die Bruderschaft und

Patenschaft im Kanun der Berge

[1.] Die Geschlechterfolge

Die Reihenfolge der Geschlechter in Blut und

Verwandtschaft geht bei den Albanern der Berge ununterbrochen

fort.

Als Bruder und Sippengenosse gilt, wessen Voreltern

früher oder später aus demselben Hause herausgeteilt wurden.

Trennten sich von einem Albaner 400 Herdstellen los, er

nimmt und gibt nicht mit ihnen (d. h. er verschwägert sich nicht

mit ihnen).

[2.] Der Stammbaum des Blutes, der Stammbaum der

Milch,

der Neffe aus dem Blute, der Tochterneffe

Die Geschlechterfolge entspringt aus Blut oder

Verwandtschaft.

Die Geschlechterfolge des Blutes stammt von Vaterseite,

jene der Verwandtschaft von Mutterseite (

und Brust").

Die Abstammung von Vaterseite heißt Stammbaum des

Blutes, die Abstammung von Mutterseite Stammbaum der Milch

(der Brust).

"Blut(Stamm)neffe" und "Blut(Stammes)nichte" heißt

jener Kreis von Männern und Frauen, die dem Vaterhaus

entstammen.

"Tochterneffe" und "Tochternichte" heißt jener Kreis von

Männern und Frauen, die von den verheirateten Töchtern

abstammen.

gjak edhe gjini "Blut

Der Kanun des Lekë Dukagjini

135

[3.] Die Bruderschaft

Die Bruderschaft entsteht durch das Bluttrinken und

hindert die Verschwägerung für immer zwischen den

Blutsbrüdern, ihren Häusern und Herdstätten.

[4.] Die Patenschaft

Was Blut und BlutBruderschaft für die Verschwägerung

ist, ist auch die Patenschaft.

Die Patenschaft in den albanischen Bergen ist dreierlei:

a) die Taufpatenschaft;

b) die Ehepatenschaft;

c) die Patenschaft der Haare.

Die Taufpatenschaft verhindert die Verschwägerung,

Geschlecht nach Geschlecht, nicht nur zwischen dem Täufling,

seinen Eltern und dem Paten, sondern auch jenen, die ihn an der

Kirchentüre wiegen, den Leuten ihrer Häuser und Herdstätten.

[5.] Die Ehepatenschaft

Die Ehepatenschaft hindert die Verschwägerung zwischen

den Hausgenossen des Paten und des Bräutigams, da sie auch die

Herdstätten umfaßt - all dies genau wie bei der Taufpatenschaft.

[6.] Die Patenschaft der Haare

Der Kanun des Lekë Dukagjini

136

Diese Patenschaft, die durch das Rasieren und Schneiden

der Haare entsteht, gehört zu den gesetzlichen Bindungen, die

unauflöslich sind.

Die Patenschaft der Haare hindert die Verschwägerung,

Geschlecht nach Geschlecht, zwischen den Häusern und der

Bruderschaft des Paten und des Patenkindes.

Die

Kanun bestimmten Zeit zu den Eltern geht, so geht auch die

ndrikullí ist wie der Brautbesuch; wie die Braut zur im

ndrikull

Die Frist für die

zur bestimmten Frist zum Haarpaten.ndrikullí ist im Kanun bestimmt. Die

ndrikullí

Tage, die die

ungerader Zahl, nie gerader sein: drei oder fünf.

kann nicht länger als 5 Tage verschoben werden: diendrikuj beim Paten verbringen, werden immer

[7.] Vorgehen nach dem Kanun beim Schneiden der Haare

Pate wird der genannt, der die Haare schneidet.

Ndrikull

oder

Haare geschnitten werden,

schneidet.

denen die Haare geschnitten werden.

Pate und

können von den Hausgenossen nicht mehr unterschieden werden.

Die Haare können nicht geschnitten werden, ehe Knabe

und Mädchen ein Jahr alt sind. Stirbt das Kind, ehe ihm die Haare

geschnitten wurden, wird es nicht begraben; es wird der in

Aussicht genommene Pate gerufen; wohnt er weit weg, wird ein

anderer dem Kinde die Haare schneiden, der aber weder Haus

noch Sippe des Kindes angehören darf.

nunë heißt die Mutter des Knaben oder Mädchens, denen diekumtër der Mann, der die HaareFamull oder famulleshë heißen Knaben und Mädchen,ndrikull sind wie Bruder und Schwester und

Der Kanun des Lekë Dukagjini

142

Haare schneiden.

137

Kanun i Papazhulit: Auch dem Mädchen kann ein Mann die

Um dem Knaben die Haare zu schneiden, braucht es einen

Mann; die Haare des Mädchens schneidet eine Frau

Die Eltern des Knaben oder Mädchens, denen die Haare

geschnitten werden, bereiten das Mahl, so gut sie nur können, um

den Paten zu ehren.

Der Pate wird mit einem Herzensfreunde eintreffen.

Es werden noch 3 oder 4 Gefährten geladen, um an der

Freude des Hauses teilzunehmen.

Ist der Kaffee getrunken, wird der Ort bereitet, wo sich der

Pate niederläßt und sich jene Werkzeuge befinden, mit denen er

die Haare schneiden wird.

Es bedarf eines Stuhles, darauf sich der Pate setzt, eines

Gefäßes mit Wasser, darein der Pate eine kleine, alte Silbermünze

fallen läßt (wie man sie auch dem Toten in den Mund legt); der

Tisch für das Haarschneiden wird gedeckt, Scheren und

Rasiermesser liegen bereit.

Hat sich der Pate auf den Stuhl gesetzt, legt ihm ein Knabe

der Sippe das Patenkind auf den Schoß.

Der Pate schneidet die Haare wie folgt: einen Schopf an

der Stirne, einen von jeder Schläfe, einen Schopf vom

Hinterhaupte.

Nimmt er die Haare, berührt der Pate dreimal die Stirn des

Patenkindes mit der Schere und sagt: "Du seist gesund und langen

Lebens"; er küßt das Patenkind, nimmt es vom Schoß, reicht es

der Mutter (der

an sich nimmt.

Der Pate gibt der

mehr.

142.ndrikull), die auch das Gefäß mit der Silbermünzendrikull 50-150 Groschen und nicht

Der Kanun des Lekë Dukagjini

138

Die Haarschöpfe nimmt die Mutter und hebt sie in ihrer

Truhe auf.

Die

und Weste, und den Leuten vom Haus des Paten, so viel deren

sind, wird sie dem einen eine Tischplatte (kupferne Tischscheibe)

senden, dem andern ein gesticktes Hals- oder Gürteltuch oder ein

Paar Socken.

Ehe dem Kind nicht die Haare (durch den Paten)

geschnitten sind, darf die Schere ihm nicht den Kopf berühren;

wachsen die Haare zu sehr, werden sie mit der Flamme (eines

Feuerstahles oder Kienes) abgesengt.

Werden dem Kind die Haare geschnitten. übernachtet der

Pate im Haus des Patenkindes; am nächsten Morgen steht er auf,

nimmt Mutter und Patenkind in sein eigenes Haus, wo sie nach

dem Kanun 3 oder 5 Tage weilen.

Weder Tod noch Hochzeit, noch irgendein Fest wird ohne

ndrikull schickt dem Paten als Geschenk Janker, Hose

ndrikull

und Patenkind gefeiert.

Der Kanun des Lekë Dukagjini

139




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~Joyce Meyer~
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