Karla
Ehemaliges Mitglied
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Erstellt: 27.03.11, 23:54 Betreff: Re: Ismail Kadare - "Der zerrissene April" |
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Im zweiten Kapitel fand ich es faszinierend, dass Gjorg auf dem Weg zum Turm von Orosh beinahe an jeder Ecke des Wegrandes Zeichen für Geschehnisse erkennen kann, die auf die Durchführung von Maßnahmen aus dem Kanun beruhen. So z. B. das Hochzeitsgeleit, das Gastrecht und Treuebruch, Wohlverhalten in der Familie und Konsequenzen bei Vergehen.
Er soll für sein Blutrache-Opfer im Turm offensichtlich eine große Summe Blutgeld bezahlen. Andereseits fällt z. B. beim Besuch im Gasthaus auf, welche Armut in der Normalbevölkerung herrscht. Die Lebensumstände sind schon sehr ärmlich. Da Gjorg am Himmel ein Flugzeug beobachten kann, können wir davon ausgehen, dass der Gegensatz zwischen seinem Leben im Hochland und dem Leben der Städter in Albanien sehr groß ist. Wenn Kadare hier tatsächlich in etwa die damalige Realität beschrieben hat so etwa in den 70ger Jahren, ist es erstaunlich wie abgeschieden die Menschen lebten. Fast unvorstellbar.
Im dritten Kapitel fährt der Schriftsteller Besian Vorpsi aus Tirana mit seiner Frau Diana auf Hochzeitsreise ins Hochland. Er bewundert die Hochländer und deren Sitten sowie den Kanun. Seine Frau Diana fährt eher ihm zuliebe mit auf diese Reise. Sie ist stillschweigend eher nicht so begeistert von dem was sie sieht. Später am Ende des Buches wird sich noch herausstellen, dass Vorpsi viele zustimmende Bücher zum Thema Kanun geschrieben hat.
Dieses Paar kommt mir vor, wie eine besondere Art von Sensationstouristen. Vor allem der Mann war persönlich noch nie direkt vor Ort. Dennoch meint er alles über die Bewohner zu wissen und befürwortet unkritisch deren Leben und Umgang mit dem Kanun. Er erhebt die Bewohner zu besonders edlen, moralischen Menschen. Dabei duldet er keinen Widerspruch.
Dieses Kapitel ist auf den ersten Blick tatsächlich ein wenig zäh zu lesen. Aber es bereitet auf die weiteren Kapitel vor. Zudem kann sich die ein- oder andere von uns, die zum ersten Mal in KS, Albanien usw.war, ein ganz klein wenig in Diana Vorpsi wiedererkennen. Zumindest als stille, gelegentliche kopfschüttelnde Beobachterin der Szenerie. Natürlich sind die Zustände längst nicht mehr so wie in diesem Buch beschrieben.
Nehmen Sie die Menschen wie sie sind, andere gibts nicht. Konrad Adenauer
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