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Beiträge: 1362 Ort: Darmstadt
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Erstellt: 18.10.05, 13:56 Betreff: Des Kaisers neuer Kuli
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11.10.2005 / Brandenburg/Havel Des Kaisers neuer Kuli
Wie Uwe Bothe beim Eishockey in Prag auf Franz Beckenbauer traf
Die besten Geschichten schreibt das Leben. "Das glaubt doch kein Mensch!", ruft der Nicht-Literat, wenn ihm solch eine irre Begebenheit widerfährt - und vergisst die unglaubliche Geschichte leider schnell wieder. Weil es schade wäre, solche aus dem Leben gegriffenen Anekdoten zu verlieren, bitten wir Sie, liebe Leser, uns Ihre schönsten wahren Geschichten zu schicken. Die Begebenheit kann lustig oder traurig sein, peinlich oder heldenhaft, kurios, hundert Zeilen lang - oder auch nur einen kurzen Absatz. Einzige Voraussetzung: Die Begebenheit muss wahr sein. Wer Fragen zum Schreiben hat, kann 0 33 81 / 52 56 17 anrufen. Die folgende wahre Geschichte hat Uwe Bothe aufgeschrieben.
Es war das Jahr 1985. Ich hatte mit zwei Kollegen vor, zur Eishockey A-Weltmeisterschaft nach Prag zu reisen. Uns reizte aber nicht die DDR- Mannschaft. Wir wollten Stars sehen wie Gretzky, Lindström aus Schweden und natürlich Erich Kühnhackl. Wir arbeiteten damals im Getriebewerk. So beantragten wir Urlaub. Es durfte natürlich keiner wissen, was wir vorhatten. Vielleicht hätte man uns den Urlaub gesperrt. Wir machten uns Mitte April auf den Weg nach Prag. Leider hatten wir wenig Geld in den Taschen. Es gab damals nur eine bestimmte Geldmenge, die wir in Kronen tauschen konnten.
Die Obergrenze pro Tag lag, so glaube ich heute noch, bei 40 DDR-Mark. Wir fuhren auf "blauen Dunst", hatten weder ein Quartier noch Eintrittskarten. Der Zoll war hinter Dresden, Richtung Decin, schon böse drauf. So wurden etliche Leute aus dem Zug vor der Grenze rausgezogen.
Wir unterhielten uns mit einigen Leuten im Zug. Sie kamen aus der ganzen DDR, mit dem gleichen Ziel wie wir. Dort erfuhren wir auch, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft ein Spiel in Prag habe. Es war das Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft in Mexiko: CSSR gegen Deutschland.
In Prag angekommen ging die Jagd nach den Eishockey-Eintrittskarten los. Wir bekamen welche für die Vorrunde, zwischen der DDR gegen die Bundesrepublik und zwischen der UdSSR und Deutschland.
Das Spiel gegen die DDR glich schon einer kleinen Abrechnung gegen die damalige Staatsmacht. Mit etlichen hundert Leuten sangen wir: "Erich, Erich". Nicht Honecker meinten wir, sondern Kühnhackl. Wir provozierten damit die mitgereisten Kader aus Weißwasser und von Dynamo Berlin. Das Spiel gewann die bundesdeutsche Auswahl. Das zweite ging gegen die Russen mit 2:10 verloren. Wir waren nun eine Runde weiter.
Wir kauften uns die teuren Karten für das Spiel gegen Schweden am 28. April 1985. Hätte es nicht die westdeutschen Eishockeyfans gegeben, wir hätten Hunger schieben müssen. Wir freuten uns schon auf Franz Reindl, Gerhard Trunschka und auf Erich.
Die Sitzreihe vor uns blieb leer. Auf einmal betrat kurz nach Spielanfang ein Mann im Trainingsanzug unsere Tribüne und setzte sich auf den Platz direkt vor mir. Es war Toni Schuhmacher, Nationaltorhüter aus Köln. Wir schauten uns verdutzt an. Jetzt überschlugen sich die Ereignisse. Die Halle betraten Rudi Völler, Litbarski, Matthäus, Franz Beckenbauer, Hermann Neuberger und die restliche Nationalmannschaft. Sie alle setzten sich vor uns wie im Kino. Ich zitterte vor Aufregung. Ich kannte diese Herren nur aus dem Fernsehen. Das Spiel war plötzlich Nebensache.
In der ersten Drittelpause versuchte ich, Autogramme zu sammeln. Ich ging so in deren Reihe durch und drängelte mich vorbei. Einige waren sehr nett wie Litti, Rudi Völler oder auch Wolfgang Rolff, der damals beim HSV spielte.
Als ich zu Beckenbauer vordrang, grummelte er schon: "Wir müssen hier sofort weg." Er wollte mir kein Autogramm geben, tat es dann widerwillig. Und dann steckte er auf einmal meinen Kuli der DDR Marke "Markant" in seine Jacke. Ich war sauer und dachte, der verdient Millionen, kann sich aber keinen Kuli leisten. Also forderte ich ihn zurück. Nach dreimaligen Nachfragen rückte er den Stift wieder heraus. Die Leute hinter uns amüsierten sich köstlich.
In der zweiten Pause trank ich mit Magath und Allofs im Foyer Cola. Es war ein nettes Gespräch über den DDR-Fußball. Ich hörte auch, dass die Bundesliga-Spieler mit einem Auge in die DDR-Oberliga schielen. So war der Name Joachim Streich kein Fremdwort. Zuerst erkannte ich Magath nicht, weil er eine Brille trug. Er erklärte mir, dass er im Spiel Kontaktlinsen trage.
Kurz vor Spielende verließen alle dann die Halle. Das Spiel gegen die Schweden wurde leider mit 2:5 verloren. Uns war es egal! Für das Fußballspiel hatten wir kein Geld mehr und blieben vor den Stadiontoren. Wir hatten sie ja alle persönlich kennen gelernt! Die Rückreise war für uns der Horror. Der Zoll und andere komische Gestalten nahmen uns im Zug auseinander. Ich verlor alle meine Westsouvenirs. Diese Reise hatte für uns später Konsequenzen.
Jedes Mal, wenn ein Westverein im "befreundeten Ausland" spielte, bekamen wir Vorladungen der Volkspolizei, die uns die Ausweise abnahm, damit wir nicht reisen konnten. Jedes Mal, wenn ich Franz Beckenbauer im Fernsehen sehe, erinnere ich mich gern an diese kleine Episode.
"Die Lösung für die Krise ist die Simbawe-Koalition:Schwarz,Rot;Gelb,Grün-und das Ganze mit rotierender Kanzlerschaft."
Der Link
[editiert: 18.10.05, 14:01 von altstadthippie]
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