Sonnabend, 4. Oktober 2008 Brunsbütteler Zeitung Seite 10
Atommeiler - „Außenwirkung nicht glücklich"
Wirtschaftsminister Dr. Werner Marnette mit klaren Worten beim 19. Industriegespräch
Von Stefan Schmid
Brunsbüttel - Die lange Reparaturphase des Kernkraftwerks Brunsbüttel stößt bei Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Dr. Werner Marnette auf Unverständnis. „Die Außenwirkung und auch die psychologische Wirkung auf mich ist nicht gerade glücklich", kritisierte der parteilose Minister beim 19. Industriegespräch am Mittwochabend.
Seit Sommer des vergangenen Jahres befindet sich Brunsbüttels Reaktor nach einer Pannenserie vom Netz. Zwar bedauerte Betreiber Vattenfall erst Mitte September beim „Klönschnack am Deich" den Stillstand, wies aber auf die umfangreiche Überprüfung von 5500 Dübeln hin. So ganz kann der Wirtschaftsminister diese Langatmigkeit nicht nachvollziehen. „Man kann natürlich Kraftwerkskapazitäten taktisch nutzen, aber ich hoffe nicht, dass dies hier der Fall ist",sagte Marnette in einem Tonfall, der auch eine andere Interpretation zulassen würde. Auf jeden Fall fördert der lange Stillstand des Meilers nach Ansicht des Ministern nicht die Akzeptanz in der Bevölkerung. Eine Verzögerungstaktik auf Seiten seiner Kabinettskollegin Gitta Trauernicht (SPD) sah er aber nicht. Im Gegenteil: Er pflege ein „offenes Verhältnis" zur Sozialministerin, in deren Zuständigkeitsbereich die Atomaufsicht im Land fällt, betonte Marnette im Gespräch mit Hanno Hotsch (NDR) an Bord der „Nordstern".
Anders als in den Vorjahren legte der Ausflugsdampfer auf Einladung des ChemCoast-Parks nicht erst am Abend, sondern bereits am Nachmittag ab, so dass die zahlreichen Gäste aus der Wirtschaft, der Politik und der Stadt bei der Kanalfahrt auch etwas zu sehen bekamen. Vielleicht lag es am Panorama des vorbeigleitenden Industriegebiets und der vorbeifahrenden Containerschiffe, dass Moderator Hotsch den Wirtschaftsminister zu allen denkbaren Themenblöcken rund um den Standort Brunsbüttel befragte - von der Ener gieproblematik über das Ver hältnis von' Wirtschaft und Umwelt bis hin zur Zukunft des Hafens wie des Industriestandortes überhaupt.
In einem unterhaltsamen Mix aus lockerer Plauderei und hartnäckigem Polit-Talk ließ der frühere Vorstandsvorsitzende der Norddeutschen Affinerie (NA) erkennen, dass er sich in seiner neuen politischen Rolle wohlfühlt, auch vor unbequemen Wahrheiten nicht zurückschreckt. So forderte Marnette eine Laufzeit der deut sehen Atommeiler mindestens bis zum Jahr 2030 („auf höchstem Sicherheitsniveau"), den Bau neuer Kohlekraftwerke sowie - damit der Energie Mix stimmt - den ambitiomerten Ausbau der erneuerbaren Energie wie der Windkraft. Da bei sieht er die Kernkraft in einer Schlüsselrolle: „Wenn uns die Verlängerung der Laufzeit nicht gelingt, rutschen wir in eine riesige Versorgungslücke hinein."
Die Folgen dieser Misere würde auch der Industriestandort Brunsbüttel zu spüren bekommen, der nach Ansicht Marnettes von seiner Infra Struktur her alle Grundvoraussetzungen für ein weiteres Wachstum erfülle. Aus diesem Grund will Marnette, ganz in Kontinuität zu seinem Amtsvorgänger Dietrich Auster mann, den Elbehafen beim notwendigen Ausbau nicht alleine lassen. Zumal Marnette als Vorstandschef der NA den Kupferumschlag nach Brunsbüttel verlegte und spätestens seit dem ein bekennender Standort-
AUS DER WIRTSCHAFT
Fan ist. Es komme daher auf „einen intelligenten Mix auf Ab nehmer und auf der Wasserseite" an. „Gemeinsam können wir das wuppen", zeigte er sich überzeugt.
Auch bei der Ansiedlung neuer Kohlekraftwerke in Brunsbüttel will sich der Minister einmischen. Schließlich. bringe er genug Erfahrung mit, so der Minister über sich selbst. Festlegen auf eine Zahl von Kraftwerken wollte er sich nicht. Aus energiepohtischen Gründen seien drei Kohlekraftwerke nötig, doch müsse man am Standort (und im Hafen) eine „Multikultur" statt einer Monokultur im Blick haben. Was allerdings nicht passieren dürfe, so Marnette, sei eine Verunsicherung bei Investoren. Ebenso wenig dürfe man di e Meinung der Bevölkerung ignorieren. Am Ende des einstündigen Talks gab Marnette den Zu hörern etwas zum Nachdenken mit auf den Heimweg: „Wir müssen den Menschen wieder die Bedeutung der industriellen Tätigkeit nahe bringen, eher wird es in diesem Land keinen Paradigmenwechsel geben."
Fühlt sich als Politiker wohl: Minister Dr. Werner Marnette (links) im Gespräch mit Hanno Hotsch
„Man kann Kraftwerkskapazi-taten auch taktisch nutzen": Dauer-Reparatur und Überprüfung im Kernkraftwerk.