Prokon ist wieder da – „ein toller Start“
Jurist Dietmar Penzlin begleitete das
Windkraftunternehmen durch das Insolvenzverfahren: Mit dem Ergebnis ist er sehr
zufrieden, sein Ausblick ist positiv
Itzehoe
Es war eines der größten Insolvenzverfahren der deutschen
Wirtschaftsgeschichte – und Dietmar Penzlin war mittendrin. Ab Januar 2014
beschäftigte ihn das Schicksal der Prokon Regenerative Energien GmbH fast rund
um die Uhr – ihn und ein Kernteam von 40 Anwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuer-
und Unternehmensberatern. Insgesamt umfasste die Mannschaft fast 100
Mitarbeiter, die versuchte, die insolvente Windkraftfirma zu retten. Es gelang:
Am 2. Juli entschied sich die Gläubigerversammlung in Hamburg eindeutig für
eine Zukunft als Genossenschaft. Zum 31. Juli wurde das Insolvenzverfahren
aufgehoben. Doch Penzlins Arbeit ist damit noch nicht ganz beendet. Im
Interview blickt der 44-Jährige zurück und voraus.
Herr Penzlin, von allen Seiten inklusive Bürgermeister gab es viel Lob für
Ihre Arbeit als Insolvenzverwalter. Der Jurist an sich gilt als eher
emotionslos – erlauben Sie sich trotzdem ein wenig Stolz?
Penzlin: Wenn ich stolz bin, dann bin ich stolz auf das Team, mit dem ich
zusammengearbeitet habe, und auf die Belegschaft bei Prokon. Es ist ein echtes
Gemeinschaftsprojekt gewesen, und es hat sehr gut geklappt. Es hat durchaus
Situationen gegeben, in denen es hätte anders laufen können, aber das Ergebnis
ist jetzt sehr gut.
Haben Sie das zu Beginn erwartet?
Nein. Das war nicht abzusehen. Auch das starke Engagement der
Genussrechtsinhaber ganz außerhalb des normalen Anlegerverhaltens war nicht
abzusehen.
Was sind für Sie Höhepunkte in diesen anderthalb Jahren?
Die beiden Gläubigerversammlungen in 2014 und 2015 gehören sicher dazu. In 2014
war es die Erteilung des Auftrags, ein „Gläubigerbeteiligungsmodell“ zu
konstruieren, und dann in 2015 die Verabschiedung eines solchen Modells. Aber
es gab auch viele kleine Highlights im Alltag in Arbeitsbesprechungen und
persönlichen Kontakten im Unternehmen.
Weniger angenehm war sicher die Auseinandersetzung mit
Firmengründer Carsten Rodbertus, der schließlich gehen musste und jetzt im von
Prokon finanzierten Holzpalettenwerk in Torgau als Angestellter arbeitet. Wie
beurteilen Sie das heute?
Es war eine sehr harte und über viele Monate währende Auseinandersetzung. Ich
würde es aus heutiger Sicht nicht anders machen, und ich denke, für den
Fortbestand des Unternehmens war es grundlegend, die Trennung zu vollziehen.
Ich habe mich aber Ende 2014 mit Herrn Rodbertus einvernehmlich
außergerichtlich verständigt, und seitdem betrachte ich die Angelegenheit als
erledigt. Im Sommer habe ich Herrn Rodbertus bei einem meiner Arbeitsbesuche in
Torgau getroffen. Wir hatten ein vernünftiges Gespräch.
Eng mit Herrn Rodbertus verbunden war der besondere Geist
bei Prokon, der viele auch während der Zeit der Insolvenz offenbar sehr
motiviert hat. Groß war die Freude über die Entscheidung für die
Genossenschaft. Jetzt aber hört man Stimmen aus dem Unternehmen, die deutliche
Ernüchterung erkennen lassen. Tenor: Das ist nicht mehr das Prokon, für das wir
gekämpft haben.
Das entspricht nicht ganz meiner Wahrnehmung. Ich glaube, dass der „Prokon-Spirit“ – die Ausrichtung auf Eigeninitiative und Kreativität
– personenunabhängig im Unternehmen vorhanden ist. Es ist ein Ziel des
Insolvenzverfahrens gewesen und auch ein Ziel des Genossenschaftsvorstands,
diesen Spirit zu erhalten.
Was ist nach dem Ende des Insolvenzverfahrens für Sie
noch zu tun?
Seit dem 1. August ist das Insolvenzverfahren aufgehoben und Prokon damit frei
am Markt tätig, mein Aufgabenumfang ist seitdem stark eingeschränkt. Ich bin
nur im Rahmen der Planüberwachung noch aktiv. Dabei geht es schwerpunktmäßig um
die von uns gegründete Abwicklungsgesellschaft, die Darlehen an das
Palettenwerk und zur Finanzierung der Wälder in Rumänien noch verwerten und die
Erlöse anschließend an die Gläubiger auskehren soll. Operativ hat im
Unternehmen jetzt allein der Vorstand das Sagen, der sich dazu mit seinem
Aufsichtsrat abstimmt.
Prokon ist nun eine Genossenschaft mit mehr als
37 000 Mitgliedern. Sie betonten stets, dass sie gute Chancen am Markt
hat. Wie sehen Sie das heute?
Nicht anders. Die Startvoraussetzungen sind gut, das Unternehmen muss jetzt die
Herausforderungen des Marktes annehmen. Nach dem, was ich jetzt höre, gibt es
zudem ein großes Bestreben künftiger Anleger, in Prokon zu investieren. Das ist
sicher eine weitere gute Voraussetzung für das wirtschaftliche Wohlergehen. Man
sollte dem Vorstand des Unternehmens jetzt aber einige Monate Zeit geben, alle
erforderlichen Maßnahmen umzusetzen. Dazu gehört es, sich eine Kreditlinie zu
holen für Windparkfinanzierungen und sonstige geschäftliche Ausgaben. Das
Unternehmen muss sich auf die Emission der börsennotierten Anleihe im Jahr 2016
vorbereiten, die Teil des Insolvenzplans ist, sich aber auch im
genossenschaftlichen Umfeld mit vielen anderen Beteiligten abstimmen. Und vor
allem hat das Unternehmen eine ganze Reihe an tollen Windparkprojekten, die zu
finanzieren sind. Wir haben einiges schon im Insolvenzverfahren vorbereitet,
jetzt muss es umgesetzt werden. Das ist schon ein sehr großer bunter Strauß an
Themen, die alle parallel angegangen werden müssen.
Noch einmal ein Blick zurück: Was ist durch die Insolvenz
alles verloren gegangen?
Die Insolvenzquote, wie wir sie taxiert haben, beläuft sich auf etwa 58
Prozent. Die Gläubiger erhalten unterschiedliche Bausteine zur Befriedigung:
Einige erhalten Barauszahlungen, dann gibt es die Anleihe als Instrument, das
dritte Instrument sind die Mitgliedschaftsanteile an der Genossenschaft. Alles
zusammengerechnet, landet man bei 58 Prozent. Angesichts der Verbindlichkeiten
von etwa 1,6 Milliarden Euro bedeutet das einen Verlust von bis zu einer
Dreiviertelmilliarde.
Und das ist Geld, das vielen weh tut.
Das ist sicher so. Prokon hat etwa 75 000 Anleger gehabt, die im
Durchschnitt etwa 19 000 Euro angelegt haben – recht hoch für so ein
Genussrechtsmodell. Ich habe ordnerweise Briefe von Gläubigern erhalten, die
mir ihre persönliche Situation geschildert haben, ganz überwiegend Gläubiger im
fortgeschrittenen Alter, die einen erheblichen, in einigen Fällen auch
alleinigen Teil ihrer Altersvorsorge reduziert und insoweit auch verloren
sehen.
Für diese Gruppe ist die eigentlich sehr gute
Insolvenzquote also nur ein schwacher Trost?
Die durchschnittliche
Insolvenzquote in Deutschland liegt im einstelligen Prozentbereich, insofern
ist es mit Sicherheit ein sehr gutes Ergebnis. Das ändert aber nichts daran,
dass der einzelne Gläubiger immer noch mit einem Verlust in der Größenordnung
von gut 40 Prozent konfrontiert ist.
Worauf basiert das gute Ergebnis?
Schwierige Frage. Ich denke, es basiert auf dem erfolgreichen Zusammenwirken
vieler Beteiligter, zuvorderst der Belegschaft, die ganz überwiegend sehr
engagiert die anderthalb Jahre mitgearbeitet und durchgehalten hat. Aber auch
an dem Mitwirken aller Mitglieder meines Teams, die Tag und Nacht gearbeitet
haben. Und natürlich liegt es an dem gesunden Kern, den Prokon hat mit mehr als
300 Windenergieanlagen und den zahlreichen Projekten, die entwickelt werden –
es gibt eine substanzielle zweistellige Zahl an Projekten, die vor der
Umsetzung stehen.
Welche Folgen gab es für die Arbeitsplätze?
Es sind etwa 200 Arbeitsplätze in Itzehoe erhalten, insgesamt hat das
Unternehmen knapp 300 Mitarbeiter. Das bedeutet einerseits, dass ein Drittel
der Arbeitsplätze verloren gegangen ist. Aber mir ist es wichtig, es genau
anders herum zu sehen: Dass es dank großer gemeinschaftlicher Initiative
gelungen ist, knapp zwei Drittel der Arbeitsplätze zu halten und ein im Kern
stabiles Unternehmen wieder an den Markt zu lassen, und das nach nur 18 Monaten
– „nur“ für ein Insolvenzverfahren dieser Größenordnung.
Es war eines der größten Insolvenzverfahren
Deutschlands. Inwieweit hat Sie das berührt?
Natürlich geht einem das nahe, die Gläubiger, die Arbeitnehmer, die weiteren
Beteiligten. Das darf es auch, es stört auch nicht ein ansonsten professionelles
Herangehen an die Aufgabe. Diese war sicher gewaltig. Eine der großen
Herausforderungen war die sehr große Zahl an Gläubigern, die nicht strukturiert
oder organisiert waren, sondern bei denen nur einzelne Multiplikatoren wie die
„Freunde von Prokon“ ansprechbar waren.
Hat es für Sie eine besondere Rolle gespielt, sich als Itzehoer mit dem
insolventen Itzehoer Unternehmen zu befassen?
Ich verfolge in allen meinen Insolvenzverfahren einen sehr engagierten Ansatz.
Aber vielleicht habe ich in Itzehoe doch noch eine Schippe drauf gelegt. Ich
wünsche vor allem dem Unternehmen und den Mitarbeitern viel Erfolg. Es ist eine
sehr harte und intensive Zeit gewesen, aber die Ausgangsvoraussetzungen sind
aus meiner Sicht sehr gut. Es ist ein toller Start, da sollte man jetzt positiv
in die Zukunft blicken und die neuen Herausforderungen anpacken. Und auch für
die Stadt ist es ein super Ergebnis.
Interview: Lars
Peter Ehrich
Anderthalb Jahre: Der Harte Weg bis zur Genossenschaft /lpe
Ende
des Jahres 2013 spitzte sich die Lage zu: Immer mehr der rund 75 000
Anleger zogen ihr Geld ab, dass sie bei Prokon über Genussrechte investiert
hatten. Das Unternehmen versuchte mit der offenen Warnung vor einer Insolvenz
gegenzusteuern, doch am 22. Januar 2014 musste schließlich der Insolvenzantrag
für die Prokon Regenerative Energien GmbH gestellt werden. Als vorläufiger
Insolvenzverwalter wurde Dietmar Penzlin benannt. Schnell entwickelte sich ein
Kampf mit Firmengründer Carsten Rodbertus, der sein Lebenswerk in Gefahr sah
und versuchte, Prokon mit einer neuen Firma zu übernehmen. Für die erste
Gläubigerversammlung im Juli 2014 sammelte Rodbertus, inzwischen als
Geschäftsführer von Prokon fristlos gekündigt, Tausende Stimmen, diesen wurde
aber die Gültigkeit versagt. Penzlin bekam den Auftrag, einen Insolvenzplan zu
entwickeln, um den Kernbereich von Prokon – Windkraftprojekte und Stromhandel –
zu erhalten. Daraus wurden zwei Alternativen, die zum nächsten Kampf um Prokon
führten. Auf der einen Seite stand eine Zukunft für die Firma als
Genossenschaft, auf der anderen Seite die Übernahme durch einen Investoren. Ein
Kandidat fand sich mit dem Energieriesen EnBW, der 550 Millionen Euro für die
Übernahme bot und intensiv dafür bei den Anlegern warb. Insbesondere der Verein
„Freunde von Prokon“ hielt dagegen mit dem Ziel, eine Genossenschaft zu
gründen. Diese Variante setzte sich bei der zweiten Gläubigerversammlung vor
zwei Monaten klar durch: Alle acht Gläubigergruppen stimmten dafür. Seit Anfang
August ist das Insolvenzverfahren aufgehoben, die Prokon Regenerative Energien
eG arbeitet eigenständig. Die Geschäfte führen Kai Peppmeier und Andreas Knaup.