Leben im Norden – Industrie im Süden?
Stadtplaner schlagen Umsiedlung vor / Menschen fürchten Heimatverlust / Schleusenstadt muss mehr für Bewohner und Touristen tun
Brunsbüttel
Sie schockten niemanden wirklich, die Ergebnisse über Stärken und
Schwächen der Schleusenstadt, die die Cima GmbH, Plankontor und das Büro
Petersen, Pörksen und Partner (PPP) beim „ersten richtigen“ Isek-Forum
den rund 40 interessierten Brunsbüttelern vorstellten. Erste Ergebnisse
über die Analyse des Einzelhandels stellte die Cima GmbH bereits im
Hauptausschuss einer kleinen Runde von Stadtpolitikern vor (wir
berichteten). Doch dass es um den Einzelhandel recht gut bestellt sei,
war Dienstagabend nur ein kleiner Teilaspekt.
Der Ist-Zustand klingt laut Gutachten wie Horror-Szenario: Seit 2004 sinken die Einwohnerzahlen erheblich. Verglichen mit Schleswig-Holstein
und dem Kreis Dithmarschen hat Brunsbüttel den größten
Einwohnerschwund. Der minimale Anstieg der Geburtenrate ist verglichen
mit den Sterbezahlen nicht erwähnenswert. Die Stadt veraltert: Junge
Menschen wandern ab und damit Fachpersonal und Arbeitskräfte, was der
Industrie und anderen Arbeitgebern Sorge bereitet. Fast ein Viertel der
Brunsbütteler ist im Rentenalter (über 65 Jahre), mehr als die Hälfte
über 45 Jahre. Laut Prognose der Bertelsmannstiftung wird das
Durchschnittsalter von 43 Jahre (2006) auf über 50 (2025) steigen. Doch
das Wohnungsumfeld ist zu wenig auf Möglichkeiten älterer Menschen
eingerichtet. Es gibt zu wenig Beratungs- und Begegnungsmöglichkeiten
für jede Generation, abgesehen von der Verkehrsanbindung und dem ÖPNV.
Bei den Jungen sieht es nicht besser aus: Es fehlt an außerschulischen
Bildungs- und Ausbildungsangeboten. Die vorhandenen erreichen laut
Experteninterviews zu wenig sozial benachteiligte Kinder und
Jugendliche. Dabei wäre das dringend notwendig, wenn wie dargestellt,
jedes vierte Kind von Armut betroffen ist. Doch was tun?
Schwächen können auch Stärken werden, sie müssen nur genutzt werden,
erklärte Doris Grondke (PPP). Stark ist die Schleusenstadt aus
städtebaulicher Sicht durch den historischen Kern, die denkmalgeschützte
Siedlung (Beamtenviertel), die ortstypischen Deichhäuser, das alte
Elblotsenhaus, Wasserturm und die Kirchen. Aus touristischer Sicht ist
die Nähe zum Wasser etwa Besonderes, muss mehr genutzt und ausgebaut
werden. Derzeit seien die schönen Bereiche an der Promenade als
öffentliche Parkplätze belegt. Eine Wiederbelebung des ehemaligen
Fähranlegers wäre denkbar. Als Wohnstadt sind auch Arbeitsplätze vor Ort
wichtig: Als Arbeitgeber kaum wegzudenken sei das Industriegebiet Süd,
auch auf die Gewerbesteuern könne die Stadt nicht verzichten. „Das
Baugewerbe ist erstaunlich stark. So ein Industriepotenzial gibt es in
der Metropolregion Hamburg kein zweites Mal“, sagte Cima-Geschäftsführer
Uwe Mantik. Doch die Mischung zwischen Wohn- und Industriegebiet nehmen
die externen Begutachter als Fremdkörper wahr. Vorschlag deshalb: Die
Wohnnutzung im Industriegebiet auslaufen lassen.
Für den künftigen Bürgermeister Stefan Mohrdieck sind die
angesprochenen Probleme nichts Neues: „Ich sehe die Schwächen jeden Tag.
Am kontroversesten findet er jedoch den Umsiedlungsgedanken: „Wir
entscheiden da über die Heimat von Menschen. Wir müssen ihnen erklären,
warum wir das nicht dem wilden Markt überlassen, sondern etwas tun
wollen, bevor sich die Bevölkerung nicht mehr wohlfühlt.“ Alternativen
müssen her, so wie damals für das Bayer-Werk.
Doch das sei ein sehr langfristiges Vorhaben. „Einfacher und dringend
notwendig ist die Verbesserung des ÖPNV“, sagt Mohrdieck.
Dass diskutierten auch die Brunsbütteler an den Thementischen: neben der
Attraktivitätssteigerung in Süd, auch für Touristen oder die Verlegung
des Wohnmobilplatzes nahe des Freizeitbades. Alle Ergebnisse und
Anregungen werden für das nächste Forum vor den Sommerferien
aufbereitet.
Constanze Emde