Ohne Hochspannungstrasse bleibt der Windstrom auf der Strecke
Niebüll/Brunsbüttel/js
Eine „Strom-Autobahn“ entlang der Westküste von Niebüll bis Brunsbüttel mit einer Kapazität von 2000 Megawatt und neue Umspannwerke – Schleswig-Holstein rüstet auf für die Energieversorgung der Zukunft. Eine erste Regionalkonferenz zur frühzeitigen Bürgerbeteiligung in den betroffenen Regionen fand im Brunsbütteler Elbeforum statt. Weitere folgen am 3. November in Husum, am 7. November in Wöhrden und am 10. November in Bredstedt.
Dithmarschens Landrat Dr. Jörn Klimant, der zu der Konferenz eingeladen hatte, sieht in dem Ausbau des Stromnetzes eine zentrale Aufgabe für die nächsten Jahre, um einen Beitrag zur Energiewende leisten zu können. Er bezeichnete es als „energiepolitischen Wahnsinn“, wenn weiterhin der produzierte Windstrom vergütet werde, dieser aber wegen fehlender Stromleitungen nicht eingespeist werden könne.
Das Land stehe vor einer großen Herausforderung, stellte auch Dr. Markus Hirschfelder aus dem Kieler Wirtschaftsministerium fest. Das Land sei bestrebt, natürliche Standortvorteile und Exportpotenziale zu nutzen. Schließlich sei Schleswig-Holstein die Wiege der Windenergie in Deutschland. Bis zum Jahr 2015 wolle man das Windpotenzial auf dem Festland auf 9000 Megawatt verdreifachen und zusammen mit dem Offshore-Windstrom den Energiebedarf Schleswig-Holsteins zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien abdecken.
Unmissverständlich stellte der Sprecher der Landesregierung fest, dass die derzeitige Ableitung des Windstroms auf 110-kV-Leitungen nicht mehr bedarfsgerecht sei. „Der Ausbau muss deshalb nicht nur kommen, sondern er muss auch schnell kommen“, sagte Hirschfelder angesichts des beschlossenen Ausstiegs aus der Kernenergie. „Brunsbüttel und Krümmel stehen bereits still, Brokdorf wird Ende 2021 folgen.“
Zur Beschleunigung des Netzausbaus haben die Netzbetreiber, die Kreise Nordfriesland, Dithmarschen, Steinburg, Pinneberg, Ostholstein und Plön sowie das Land eine „Beschleunigungsvereinbarung“ getroffen. Damit sollen die erforderlichen Schritte so eng abgestimmt werden, dass Anfang 2015 mit dem Bau der 380-kV-Höchstspannungstrasse sowie der 110-kV-Zuleitungen im Lande begonnen werden kann. Nordfriesland, Steinburg, Pinneberg und Dithmarschen bilden darüber hinaus eine gemeinsame Pilotregion an der Westküste für einen beschleunigten Netzausbau.
Um für die wachsenden Kapazitäten gerüstet zu sein, müssten fast alle Umspannwerke des Mittelspannungsnetzes ausgebaut und zwei zusätzliche Umspannwerke in Dieksanderkoog und Heide neu errichtet werden. „Damit wollen wir schon im nächsten Jahr beginnen“, kündigte Dirk Leiseder (Eon-Netz) an.
Reinhold Kliegel aus der Eon-Netz-Zentrale in Bayreuth bezifferte allein das Netzpotenzial aus Nordfriesland mit 2400 und aus Dithmarschen mit 2000 Megawatt. Der Netzausbau müsse deshalb schnellstens vorangetrieben werden.
Wie Martin Groll vom holländischen Netzbetreiber TenneT erläuterte, soll die über 100 Kilometer lange Westküstenleitung in vier Abschnitten gebaut werden: im ersten Abschnitt von Brunsbüttel bis Barlt, dann weiter bis Heide, bis Husum und schließlich bis Niebüll. Auch auf der Höchstspannungsebene von 380 kV muss TenneT neue Umspannwerke bauen. Dafür werden noch geeignete Flächen an der Landesstraße 144 bei Barlt und an der B 5 hinter Heide bei Wesseln gesucht. Bei Barlt handelt es sich um eine Fläche von zirka 180 mal 250 Metern, bei Heide um stolze zehn Hektar, weil dort zusätzlich auch Konverter installiert werden müssen. Im Norden sind Umspannwerke bei Husum und Niebüll vorgesehen.
In der sehr engagierten Diskussion mit dem kompletten Expertenteam meldete der Brunsbütteler CDU-Landtagsabgeordnete Jens Christian Magnussen Bedenken gegen eine Überquerung des Brunsbütteler Industriegebietes mit der Höchstspannungsleitung an, um den Strom über das Umspannwerk beim Kernkraftwerk in das Netz einzuspeisen. TenneT-Projektleiter Dr. Arno Gramatte gab der Alternative Erd- statt Freileitung keine Chance: „Mit Erdkabel ist die Sicherheit der Stromversorgung auf der 380-kV-Ebene nicht gewährleistet.“
Freileitung: Alle 400 Meter ein 60 Meter-Mast Die Kieler „Gesellschaft für Freilandökologie und Naturschutzplanung“ hat einen Kilometer breite Trassenkorridore abgesteckt, in deren Breite die geplante 380 kV-Leitung aufgestellt werden soll. Durchschnittlich wird alle 400 Meter ein bis zu 60 Meter hoher Strommast errichtet werden müssen. Auf zwei Traversen sollen sie die neue Leitung übers Land führen. Technisch möglich sei auch eine dritte Traverse für eine gemeinsame Linienführung mit der 110 kV-Leitung auf einem dann zehn Meter höheren Mast. Bürger können sich zu den Trassenvorschlägen unter an das Kieler Wirtschaftsministerium äußern.