Atomkraftwerke im Land sollen abgerisssen werden / Energieerzeuger verzögern jedoch die Stilllegungsanträge
Brokdorf/Brunsbüttel/Kiel
Elke Göttsche ist Brokdorferin. Seit Generationen ist ihre Familie in
dem beschaulichen Ort am Ufer der Elbe beheimatet, hat dort einen
veritablen landwirtschaftlichen Betrieb aufgebaut, der inzwischen
erfolgreich von der jüngeren Generation geführt wird.
Als junge Frau erlebte Elke Göttsche in den 1970er und 80er Jahren
den Kampf um den Bau des Atommeilers im Ort hautnah mit, und hat damals
vor allem die Auseinandersetzungen in der Dorfgemeinschaft verfolgt.
„Letztlich sind die Zerwürfnisse aber nie so groß geworden, dass die
Menschen im Ort nicht mehr miteinander reden konnten“, sagt sie, während
sie langsam über die Krone des Elbdeichs Richtung Dorfmitte schlendert.
Elke Göttsche ist kommunalpolitisch aktiv, avancierte vor geraumer Zeit
zur zweiten Bürgermeisterin des Nuklearstandortes. Und während in
Brokdorf der Meiler noch arbeitet, und pro Jahr mehr als 11 000
Gigawattstunden elektrische Energie erzeugt, tut sich für die Gemeinde
ein neues Problem auf, denn das Zeitalter der atomaren Energieerzeugung
geht rapide dem Ende entgegen. Die nukleare Katastrophe von Fukushima
hat auch in Deutschland nachdrücklich den Startpunkt für das Ende der
Kernreaktoren gesetzt.
Acht Meiler haben bereits zum 6. August 2011 ihre Betriebserlaubnis
verloren, die übrigen neun gehen spätestens 2022 vom Netz. Die schleswig-holsteinischen Atomkraftwerke (AKW) in Geesthacht-Krümmel
und Brunsbüttel sind bereits im Nachlauf, einzig Brokdorf hat noch eine
Restlaufzeit im Leistungsbetrieb bis 2016, geht dann ebenfalls vom Netz
und könnte ab 2021 schließlich abgerissen werden. So fordert und plant
es jedenfalls die Landesregierung für die drei schleswig-holsteinischen Meiler.
Wirtschaftlich macht sich das Ende des Atomzeitalters für Brokdorf,
Brunsbüttel und Geesthacht bereits jetzt deutlich in den Gemeinden
bemerkbar. „Die Gewerbesteuereinnahmen sind bereits während des
Leistungsbetriebs deutlich zurückgegangen“, erläutert Brunsbüttels
Bürgermeister Stefan Mohrdieck. Verantwortlich dafür sei der Zwang zur
Rücklagenbildung für die Betreiber Vattenfall, RWE und E.ON gewesen, die
den Abriss der Meiler, wann auch immer der vollzogen wird, finanzieren
müssen.
Energieerzeuger Vattenfall hat in einer Pressemitteilung bereits vor
gut zwei Wochen die künftige „neue grüne Wiese“ in Brunsbüttel befeiert.
Eine Unternehmenserklärung, die in der schleswig-holsteinischen
Atomaufsicht deutlich für Stirnrunzeln sorgt. Tatsächlich spielt
insbesondere Vattenfall auf Zeit, und die „stumpfen“ rechtlichen Waffen
der Landesregierung fordern dies geradezu auch heraus.
„Wir haben bereits mehrfach von Vattenfall für Krümmel und
Brunsbüttel Anträge zur Stilllegung und Abbau der beiden Kernkraftwerke
gefordert, bislang damit jedoch nur sehr wenig Erfolg gehabt“, erklärt
Dr. Wolfgang Cloosters, der seit 1995 die schleswig-holsteinische
Atomaufsicht leitet. Einzig für den Rückbau von Brunsbüttel würde es
einen im Wesentlichen unspezifizierten Stilllegungsantrag geben, der
jedoch für die Erteilung einer Rückbaugenehmigung nicht ausreichend sei.
Eine Bundesratsinitiative der schleswig-holsteinischen
Landesregierung zur Verschärfung des Atomgesetzes, vor allem um die
Energieerzeuger zur zügigen Beantragung der Stilllegung und zum Rückbau
zwingen zu können, ist im letzten Jahr gescheitert.
Tatsächlich scheint die Widerborstigkeit der Stromerzeuger in Sachen
Meilerabriss vielfältige Ursachen zu haben. So ist unter anderem eine
Klage der Energieerzeuger beim Bundesverfassungsgericht anhängig, mit
dem Ziel, die letzte Novelle des Atomgesetzes, und damit den Ausstieg
aus der Kernenergie, für rechtswidrig erklären zu lassen. „Ob sich
dahinter die Absicht verbirgt eine längere Laufzeit zu erreichen, oder
ob es um Schadensersatz geht, ist für uns nicht einschätzbar“, so
Cloosters.
Vattenfall selbst kündigte kürzlich an, dass der komplette Abbau des
Meilers in Brunsbüttel bereits in 15 bis 20 Jahren vollzogen sein
könnte. Die Kieler Atomaufsicht hält das für unrealistisch. „Abgesehen
davon dass Vattenfall das Verfahren verschleppt, benötigt ein kompletter
Rückbau inklusive aller Genehmigungs- und Prüfverfahren knapp 25
Jahre“, so Wolfgang Cloosters.
Tatsächlich geht es bei einem AKW-Rückbau um
den Abriss und die Entsorgung von rund 330.000 Tonnen Material. Rund
drei Prozent davon sind radioaktiv, der Rest nicht. Zunehmend
problematisch entwickelt sich in Deutschland auch die Endlagerfrage.
Tatsächlich kann nur schwach radioaktives Material ab 2018 im Schacht
Konrad, einem stillgelegten Eisenerz-Bergwerk im
Stadtgebiet von Salzgitter, eingelagert werden. Dieses Lager eignet
sich aber nur für rund 0,1 Prozent des gesamten radioaktiven Mülls aus
den Atommeilern. Die ungelöste Endlagerfrage treibt auch die
Bürgermeister der Nuklear-Standorte auf die Zinne.
„Es kann ja nicht sein“, so Brunsbüttels Bürgermeister Stefan
Mohrdieck, „dass die Zwischenlager bei den Meilern über die Zeit zu
Endlagern mutieren und die Kommunen letztlich auf den Brennstäben sitzen
bleiben.“
Tatsächlich sieht es schon wegen der Verschleppungstaktik der Energieerzeuger nicht nach neuen grünen Wiesen in den schleswig-holsteinischen AKW-Standorten
aus. Wobei für die Kieler Atomaufsicht nur der komplette Rückbau der
Meiler in Betracht kommt. Eine andere mögliche Option, der so genannte
sichere Einschluss, sei aus Sicht der Landesregierung kein gangbarer
Weg, da man dadurch das Abbau-Problem auf die
nächste Generation verlagern würde, und die Rahmenbedingungen wegen des
dann fehlenden Fachpersonals aus den betroffenen AKW noch komplizierter
wären.
Die betroffenen Gemeinden wünschen sich letztlich nach dem Ende des
Atomzeitalters auch keine „grünen Wiesen“ an den früheren AKW
-Standorten.
Die erhoffen dort vielmehr neue Gewerbeansiedlungen oder
Energiestandorte, die auch künftig Geld in die klammen Gemeindekassen
fließen lassen können. Nicht in Betracht ziehen die Menschen vor Ort
jedenfalls, dass die stillgelegten Atomkraftwerke ohne kompletten
Rückbau über kommende Jahrzehnte vor sich hin rotten dürfen.
Wolfgang Henze