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Brunsbüttel wird Zwischenlager für Atommüll
Brunsbüttel/Berlin
Nach mehr als 30 Jahren Konzentration auf den Salzstock Gorleben in
Niedersachsen haben sich Bund und Länder auf eine neue, bundesweite
Suche nach einem Atommüll-Endlager geeinigt.
Damit können in den nächsten 15 Jahren bundesweit mehrere Alternativen
zu Gorleben geprüft werden. Umstritten bleibt jedoch die
Zwischenlagerung des radioaktiven Abfalls. Schleswig-Holstein
hatte angeboten, Castoren aus den Wiederaufarbeitungsanlagen in La
Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien) auf dem Gelände des
abgeschalteten Kernkraftwerks Brunsbüttel zwischenzulagern. „Das
heißt nicht, dass wir die alleinige Last tragen“, betonte der Kieler
Energiewendeminister Robert Habeck (Grüne). Außer Baden-Württemberg habe sich allerdings kein weiteres Bundesland bereit erklärt, Atommüll aufzunehmen.
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Die Endlagersuche beginnt von vorn
Bund und Länder finden Konsens in der Atommüllfrage / Bei der Zwischenlagerung der Castoren fühlt sich Schleswig-Holstein allein gelassen
Berlin/Brunsbüttel /dpa/ac
Peter Altmaier (CDU) hat sich für den fast historischen Tag eine
grüne Krawatte angelegt. Der Bundesumweltminister ist gerade auf die
Grünen weit zugegangen, um den Durchbruch für eine neue Atommüllendlager-Suche zu schaffen. Eingerahmt von Baden-Württembergs
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Niedersachsens
Regierungschef Stephan Weil (SPD) verkündet er seinen bisher größten
Erfolg. „Mit dem heutigen Tag besteht die Chance, dass wir zu einer
Befriedung dieser Debatte beitragen“, sagt er gestern in Berlin auf dem
Podium in der niedersächsischen Landesvertretung. Ausgehend von einer
„weißen Landkarte“ soll es erstmals eine bundesweite Suche nach einem
Atommüllendlager geben. Mit dem „guten Geist“ der Gespräche sei er
optimistisch, dass die Suche partei- und länderübergreifend im Konsens
ablaufe. „Wir werden die Abfälle nicht in das Ausland exportieren“,
verspricht der CDU-Politiker. Man werde ein
Endlager in Deutschland finden. Kretschmann betont, der bisher im Fokus
stehende Salzstock Gorleben werde wie jeder andere Standort behandelt.
„Wir holen die Endlagersuche aus den Hinterzimmern heraus“, meint Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, der 2005 als Umweltminister mit Plänen für eine neue Suche noch gescheitert war.
An den Gesprächen haben außer Altmaier die Ministerpräsidenten der
Länder und Landesminister sowie führende Vertreter von Parteien und
Bundestagsfraktionen teilgenommen.
Doch trotz der Zäsur: Letztlich ist noch alles offen, weiterer Streit
programmiert. Werden Bundestag und Bundesrat den Empfehlungen der
Endlager-Kommission, die zunächst bis 2015 die
Grundlagen erarbeiten soll, folgen? Wer sollen die 24 Mitglieder sein?
Kommen vier, fünf oder mehr Standorte in die Auswahl? Was passiert vor
Ort, wenn die Namen durchsickern? Werden die Atomkonzerne Zusatzkosten
von über zwei Milliarden Euro schlucken?
Ungeklärt ist auch, wohin die restlichen Atommülltransporte ab dem
Jahr 2015 gehen. Fest steht nur, dass in das oberirdische Zwischenlager
Gorleben keine Castor-Transporte mehr rollen. „Was die Frage der Zwischenlagerung noch ausstehender Castoren anbetrifft, hat sich außer Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg kein anderes Land gefunden, das bereit wäre, sich an der Lastenteilung zu beteiligen“, bedauert Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Robert Habeck. Der Grünen-Politiker appelliert an die anderen Länder, „ihre ‚Nicht vor meiner Haustür‘-Haltung zu überprüfen“.
Konkret geht es um 26 Castor-Behälter aus
Wiederaufarbeitungsanlagen im Ausland: 21 aus dem britischen Sellafield
sowie fünf aus La Hague (Frankreich). Schleswig-Holstein
hatte angeboten, einen Teil der Castoren im abgeschalteten
Kernkraftwerk Brunsbüttel einzulagern. Die geografische Lage spricht für
den Standort an der Elbmündung. Ein Schiff mit Atommüll aus Sellafield
könnte im nur zwei Kilometer vom Zwischenlager entfernten Hafen
festmachen. Ein aufwändiger Landtransport bliebe erspart. Bislang werden
auf dem Gelände des KKW Brunsbüttel abgebrannte Brennelemente, die aus
dem Meiler selbst stammen, gelagert. In Baden-Württemberg kommt Philippsburg als Zwischenlager in Frage.
Bis Ende April oder Anfang Mai soll nun ein Endlagersuchgesetz ins
Parlament eingebracht werden. Es könnte bis zum 5. Juli von Bundestag
und Bundesrat beschlossen werden. Spätestens bis zum Jahr 2031 soll das
deutsche Endlager für hochradioaktive Abfälle gefunden sein.
Internationaler Konsens ist eine Lagerung in mehreren hundert Metern
Tiefe – in Salz-, Ton- oder Granitgestein.
Wohin mit dem Atommüll? Der Fahrplan zu einem Endlager
So könnte eine rund zwei Milliarden Euro teure neue Endlagersuche in Deutschland ablaufen:
2013 bis Ende 2015: Eine 24-köpfige Kommission mit Vertretern aus
Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft erarbeitet in öffentlichen
Sitzungen mit Expertenanhörungen die Grundlagen der Suche. Dazu gehört
auch der Punkt, ob Salz-, Ton- und Granitgesteine in Frage kommen sollen
– oder ob es Präferenzen für eines davon gibt.
2015/2016: Um keine weiteren Fakten in Gorleben (Niedersachsen) zu
schaffen, sollen keine weiteren Atommülltransporte in das nahe dortige
oberirdische Zwischenlager gehen. Die 26 Behälter aus der
Wiederaufarbeitung im Ausland könnten unter anderem nach Brunsbüttel und
Philippsburg (Baden-Württemberg) gehen.
2016: Bundestag und Bundesrat müssen die Empfehlungen der Kommission in
das Gesetz einarbeiten – und beschließen, nach welchen Kriterien wie
viele Standorte in die engere Auswahl kommen sollen. Anschließend wird
eine Auswahl möglicher Endlagerregionen erstellt.
In den Folgejahren: Mehrere Standorte werden umfassend erkundet, auch
mittels Probebohrungen – zum Vergleich: in der Schweiz sind es derzeit
sechs Standorte. Am Ende sollen zwei davon aufwändig unter Tage erkundet
werden; Kosten jeweils eine halbe Milliarde Euro.
Bis 2031: Bundestag und Bundesrat sollen endgültig über den Standort entscheiden.