Richter prüfen Sicherheit von Castor-Lager in Brunsbüttel
Hält das Atommüll-Zwischenlager einem A 380-Absturz stand? Das Gericht muss ohne geheime Akten entscheiden
Schleswig
Sie kämpfen aus Überzeugung und sind bereit, dafür zu bezahlen.
Verlieren Anke Dreckmann (70) und ihr Ehemann diesen Prozess, dann
kommen die Rechnungen: Von der Riege der Vattenfall-Anwälte,
den Sachverständigen des Bundesamts für Strahlenschutz und den
Rechtsanwälten der Bundesrepublik Deutschland, die in diesem Verfahren
die Beklagte ist.
All das ficht die Rentnerin aus Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen)
nicht an. „Zu sehen, wie wir unsere Erde kaputt machen, ist nur schwer
zu ertragen“, sagt sie in einer Verhandlungspause. Vor mehr als sechs
Jahren hatte ihr Ehemann, der mittlerweile erkrankt ist, gegen das
Zwischenlager am Atomkraftwerk Brunsbüttel geklagt. Peter Dreckmann
argumentierte: Bei dessen Genehmigung sei der absichtliche Absturz des
Riesen-Airbus A 380 oder der Beschuss der
Castoren mit modernen panzerbrechenden Waffen der dritten Generation
nicht berücksichtigt worden. Die erste Runde vor dem
Oberverwaltungsgericht in Schleswig ging 2007 verloren – das
Bundesverwaltungsgericht in Leipzig kassierte die Entscheidung jedoch
ein Jahr später wieder ein. Seit gestern wird neu verhandelt.
„Der Senat befindet sich in einem Dilemma“, erklärt der Vorsitzende
Richter Dierk Habermann zu Verhandlungsbeginn. „Wir sollen prüfen, ob
die Genehmigung zu Recht erteilt wurde, kennen aber die Grundlagen der
Entscheidung nicht.“ Das Bundesamt für Strahlenschutz hat einen großen
Teil der vom Gericht angeforderten Akten nicht herausgerückt, beruft
sich auf Geheimhaltung. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte das für
rechtmäßig. Habermann: „Wir stochern daher mit einer Stange im Nebel
herum.“
Trotzdem schlägt er Pflöcke ein. Die Genehmigung für das
Zwischenlager erfolgte 2003. Zuvor war ein Gutachten zu den Folgen von
Abstürzen verschiedener Passagierjets erstellt worden. Der A 380
allerdings fehlte – denn damals gab es den Riesen-Flieger
nur auf dem Papier. Doch Richter Habermann sagt: „Der A 380 hätte
berücksichtigt werden müssen.“ Unruhiges Herumrutschen auf den Plätzen
der Bundesrepublik. Der Richter: „Ich sehe entsetzte Gesichter. Ja, es
war ein Fehler, ihn gar nicht zu beachten.“
Er folgt damit der Argumentation der Kläger. Die hatten belegt, dass
Konstruktionsdaten zum A 380 bereits 2003 veröffentlicht worden waren –
in Fachmagazinen und Zeitschriften. Der Richter will wissen: „Warum
reichte das 2003 abrufbare Wissen über den A 380 für eine grobe
Beurteilung der Absturzfolgen nicht aus?“
Hartmut Gaßner, Sprecher der Rechtsanwälte der Bundesrepublik, und
seine Sachverständigen brauchen eine Weile, um sich zu sortieren. Dann
sagen sie: „Aus Presseberichten schreibt man keine Gutachten. Nur die
Angaben des Herstellers sind für eine naturwissenschaftliche Analyse zu
gebrauchen.“ Und diese Daten habe man erst im Jahr 2005 bekommen.
Ulrich Wollenteit, Anwalt des Ehepaares Dreckmann, entgegnet: „Das
Gutachten zeigt die Auswirkungen eines Boing 747-Absturzes. Der A 380
ist größer, hätte berücksichtigt werden müssen.“ Die Kläger kritisieren
ferner, dass die Angaben zur Verstrahlung nach einem Anschlag
kleingerechnet worden seien. „Da wurden typische Wetterlagen der Küste
nicht berücksichtigt.“ Zudem seien die angedachten
Dekontaminationsmaßnahmen unrealistisch.
Zum A 380 wurde 2010 nachträglich ein Gutachten erstellt. Doch das
liegt dem Gericht nicht vor. Der Leiter des Zwischenlagers erklärt
jedoch, Terroristen könnten Brunsbüttel „für einen gezielten Treffer“
gar nicht anfliegen. An den Windrädern und Freileitungen würden sie
„hängenbleiben“.
Die Verhandlung wird heute fortgesetzt.
Eckard Gehm