Altmaier und der Zorn der Brunsbütteler
Bundesumweltminister will offene Suche eines Zwischenlagers – und präferiert doch wieder Schleusenstadt an der Elbe als Standort
Brunsbüttel
Als er sie sieht, dreht sich Peter Altmaier um. Dabei sind nur eine
Handvoll Kernkraftgegner mit simulierten gelben Atommüllfässern vor das
Elbeforum in Brunsbüttel gekommen, um ihrer Forderung nach sofortiger
Abschaltung des Atomkraftwerkes Brokdorf lautstark Nachdruck zu
verleihen – so weit man das aus fünf Kehlen gerufene „Abschalten“ so
nennen kann. Der Bundesumweltminister von der CDU spricht jedenfalls
erstmal mit den wartenden Journalisten, schließlich sind von denen fast
mehr in Brunsbüttel erschienen als Bürger. Sie alle wollen die Frage
geklärt haben, ob in Brunsbüttel Atommüll aus der britischen
Wiederaufbereitungsanlage Sellafield zwischengelagert wird.
Der, der dafür letztlich den Kopf hinhalten muss, steht ein wenig
abseits des Medienrummels. Stefan Mohrdieck ist Bürgermeister von
Brunsbüttel, der Stadt, die beschlossen hat, nur den Atommüll
aufzunehmen, den das örtliche Kernkraftwerk produziert hat – eine „etwas
egoistische Forderung“, wie der Bürgermeister zugibt. „Ich will von
Peter Altmaier wissen, welche Standorte für Zwischenlager er noch im
Sinn hat.“
In der folgenden Diskussionsrunde, die der örtliche CDU-Landtagsabgeordnete
Jens Magnussen forsch Bürgerforum nennt, bekommt Mohrdieck keine
Antworten darauf – oder zumindest keine, die ihm gefallen: „Es wäre
unehrlich, ihnen nicht zu sagen, dass Brunsbüttel wegen seiner Lage und
seiner Beschaffenheit gute Voraussetzungen aufweist und deswegen in der
engeren Wahl ist“, sagt Altmaier. Doch bis zu einer Entscheidung würden
alle 13 in Frage kommenden Zwischenlager genau geprüft. Eile ist
geboten, denn wenn der Atommüll länger als bis 2015 in Sellafield
bleibt, würden Strafen im zweistelligen Millionenbereich fällig. „Ich
glaube, dass wir bis Ende des Jahres drei potenzielle Zwischenlager
haben werden.“ Falls Brunsbüttel dabei sei, werde er wiederkommen. Gut
möglich, dass Altmaier also bald wieder in Dithmarschen zu Gast sein
wird. Und Stefan Mohrdieck? Der faltet bei diesem Satz erstmal die
Hände.
Peter Altmaier, der einen grünen Schlips umgebunden hat, beginnt zu
schwitzen – allerdings weniger wegen des Themas, sondern mehr wegen der
sommerlichen Temperaturen im Elbeforum – einem Kulturbau, den die Stadt
Brunsbüttel sich nur wegen der durch das Kraftwerk sprudelnden
Gewerbesteuereinnahmen leisten konnte. Altmaier ist gut aufgelegt,
pariert Vorwürfe, versucht tatsächlich, mit den rund 50 Bürgern ein
Gespräch zu führen.
Die Probleme werden schnell deutlich. Schließlich hat Brunsbüttel
zurzeit formal kein sicheres Zwischenlager. Seit das
Oberverwaltungsgericht in Schleswig einem Anwohner und seiner Frau, die
ebenfalls im Saal sitzt, Recht gab, dass das Lager nicht ausreichend
gegen Abstürze von Flugzeugen gesichert ist. Das Urteil ist zwar noch
nicht rechtskräftig, aber dieses unsichere Zwischenlager ist dennoch
eine Chance für Brunsbüttel. Zumindest glaubt Stefan Mohrdieck, dass es
schwerer werden könnte, neuen Atommüll dort einzulagern.
Das größte Problem bleibt Betreiber Vattenfall. Dessen
Generalbevollmächtigter für Hamburg und Norddeutschland, Pieter Wasmuth,
sitzt auch im Saal, sagt aber erstmal nichts. Er wolle abwarten, wie
die Begründung des Urteils des Schleswiger Gerichts ausfalle und auf
welche Zwischenlager sich Politik und Bundesamt für Strahlenschutz
festlegen. Letztlich muss Vattenfall einen Antrag stellen, wenn Atommüll
aus Sellafield nicht wie geplant ins genehmigte Zwischenlager Gorleben
soll. Das haben die Ministerpräsidenten der Länder und Altmaier aber
bereits im Endlagersuchgesetz ausgeschlossen. Einen solchen Antrag wird
Vattenfall sich teuer bezahlen lassen. Es gehe auch um Geld, sagt
Wasmuth. Und: „Es gibt Schwierigkeiten, etwa den Konflikt zwischen einer
möglichen Einlagerung von Castoren und dem gleichzeitigen Rückbau.“
Altmaier hält all das für lösbar: „Wir sind in einem guten Gespräch mit
den Betreibern.“
In einem nicht wirklich guten Gespräch bleibt Altmaier mit den
Atomkraftgegnern. Als das Bürgerforum mit den wenigen Bürgern nach
zweieinhalb Stunden endet, packen sie vor der Tür ihre mitgebrachten,
gelb angemalten Fässer wieder in einen alten VW-Bus.
Stefan Mohrdieck steht auch da am Rand. Ob sich nach Altmaiers Besuch
die Chancen vergrößert haben, dass kein neuer Atommüll nach Brunsbüttel
kommt? „Nö“, sagt er. Klar, dass er den Satz so nicht stehen lassen
kann. Also verweist er darauf, dass seine Stadt schon jahrzehntelang
Risiken und Nachteile der Atomkraft getragen habe. Und jetzt vielleicht
noch ein volles Zwischenlager? Mohrdieck: „Da bleibt dieses
Ungerechtigkeitsgefühl.“
Kay Müller