Prokon zahlt kein Geld mehr aus
Windkraftfinanzierer droht die Insolvenz / Firmenchef entschuldigt sich bei Anlegern
Itzehoe/db
Es ist das Wochenende der Entscheidung: Gibt es für Prokon noch eine
Rettung oder muss das Unternehmen kommende Woche Insolvenz anmelden? In
der Itzehoer Firmenzentrale wird weiter mit Hochdruck daran gearbeitet,
die Kündigungen von genussrechten zu erfassen und in eine Datenbank
einzugeben. Nur etwa 70 Millionen Euro dürfen Anleger laut Prokon
abziehen, um eine Insolvenz vermeiden zu können. Tatsächlich sind bis
gestern Genussrechte im Wert von fast 227 Millionen Euro gekündigt
worden. Allerdings werden die Anleger ihr Geld vorerst nicht erhalten.
„Tatsächlich können wir in der jetzigen Situation keinerlei
Rückzahlungen oder Zinsauszahlungen vornehmen“, heißt es in einem
Schreiben des Geschäftsführenden Gesellschafters Carsten Rodbertus.
Der Firmenchef reagierte gestern zugleich auf Vorwürfe der
Verbraucherzentrale, Prokon habe die Anleger unter Druck gesetzt: „Wir
bitten Sie ausdrücklich um Entschuldigung, wenn Sie sich durch unser
Schreiben angegriffen oder gar bedroht gefühlt haben sollten.“ Rodbertus
appellierte erneut an die Anleger, auf eine Kündigung zu verzichten
oder eine bereits ausgesprochene Kündigung zurückzunehmen. Er brauche
Zeit, um die Genussrechte und das Unternehmen zu restrukturieren und
wieder auf einen zukunftsfähigen Kurs zu bringen. Es sei im Interesse
aller Anleger, eine Insolvenz zu verhindern.
Zudem teilte Rodbertus mit, dass die gekündigten Genussrechte
möglicherweise in einem Insolvenzverfahren nicht als fällige Forderungen
gegen Prokon zu bewerten sind. Da auch keine weiteren fälligen
Forderungen anderer Gläubiger wie Banken, Lieferanten oder
Sozialversicherungen bestünden, läge in diesem Fall keine Insolvenz vor
und das Gericht müsste einen Insolvenzantrag ablehnen. „Zur Überprüfung
dieser Frage sind Rechtsgutachten in Auftrag gegeben.“
Anfragen von Journalisten beantwortet Rodbertus nach wie vor nicht,
doch kündigt er zumindest an: „Zu gegebener Zeit, wenn es tatsächlich
fundierte Neuigkeiten gibt – dann möglicherweise gemeinsam mit einem
Insolvenzverwalter – werden wir an die Öffentlichkeit treten. Aber erst,
wenn klar ist, wie es mit Prokon weitergeht.“ Diese Aussage lässt
vermuten, dass der Prokon-Gründer weiter eine Insolvenz nicht ausschließt, vorsichtshalber hat er bereits ein Insolvenzberater verpflichtet.
Das Unternehmen Prokon finanziert sich fast ausschließlich über
Genussrechte. Bei mehr als 75 000 Anlegern wurden rund 1,4 Milliarden
Euro eingesammelt. Das Unternehmen hatte bis zum kommenden Montag von
seinen Anlegern eine Erklärung gefordert, dass sie ihr Kapital nicht
abziehen. Sonst drohe die Insolvenz.
Kommentar von Seite 2:
In der Wagenburg
Mit Prokon endet auch der Versuch, die Energiewende an Banken und Großkonzernen vorbei zu finanzieren
Helge Matthiesen
An Warnungen hat es nie gefehlt. Jeder Anleger konnte wissen, dass
die hohen Zinsen für eine Geldanlage bei Prokon mit einem erheblichen
Risiko erkauft waren. Experten warnten immer wieder vor einem
Schneeballsystem, das sich hinter dem attraktiven Versprechen verbergen
könnte. Prokon muss klar gewesen sein, dass eine solch üppige Zusage in
Zeiten niedriger Zinsen vor allem die Gierigen anlocken würde. Es mutet
daher fast naiv an, wenn das Unternehmen jetzt mit Appellen arbeitet,
Prokon zu vertrauen und das Geld im Unternehmen zu lassen. Der Faktor
Vertrauen spielte offenkundig nie eine Rolle, auch wenn Prokon das
Gegenteil glaubt und behauptet.
Mit der Krise des Unternehmens endet ein Versuch, unabhängig von
Banken oder Großkonzernen die Energiewende zu schaffen und mit
alternativen Technologien Geld zu verdienen, getrieben von einem hohen
Sendungsbewusstsein und mit einem unverkennbaren Überlegenheitsgefühl.
Aus dieser Haltung wächst jetzt ein wesentlicher Grund für den drohenden
Untergang. Ablesbar ist das an der Internet-Seite.
Sie ist sorgfältig von jedem kritischen Ton gereinigt, die
Einseitigkeit der Weltsicht macht fassungslos. Was draußen geschieht,
interessiert in der Firmenzentrale offenbar nicht mehr. Den Dialog mit
seinen Kritikern hat die Firma eingestellt. Fragen darf niemand stellen.
Es gibt keine Transparenz. Man lebt in einer Wagenburg. Das ist ein
fataler Fehler, denn wer soll die Zahlen, die da verbreitet werden,
eigentlich für echt halten und sein Geld trotz Krisenmeldungen in der
Firma lassen? Vielleicht ist ja alles noch viel schlimmer, als das
Unternehmen zugibt? Man mag die Idee von Prokon von Beginn an für
grenzwertig halten. Das Scheitern belegt indes nur, dass auch auf dem
Energiemarkt normale ökonomische Gesetze Einzug halten. Die Gründerzeit
ist vorbei. Nur wer solide finanziert und Vertrauen schafft, hat eine
Chance, wirtschaftlich zu überleben. Das ist schade für den Standort
Itzehoe, denn Prokon war eine Chance für die Region. Doch es ist gut für
alle Anleger. Windige Geschäfte haben offenbar keine Zukunft.