Seite 1:
Albtraum für Anleger: Prokon ist insolvent
75 000 Inhaber von Genussscheinen des Windparkbetreibers zittern um ihr Geld
Itzehoe /kim
Am Ende hat es nicht gereicht: Zwar haben mehr als 40 000
Anteilseigner Prokon die Treue geschworen und ihre Genussrechte nicht
gekündigt. Dennoch teilte gestern um 17.15 Uhr der Chef des
Windparkfinanzierers, Carsten Rodbertus, mit, dass Prokon „trotz des
großen Zuspruchs“ einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht Itzehoe
gestellt hat. „Das bedeutet allerdings keineswegs das Aus für Prokon“,
versicherte Rodbertus auf der Unternehmens-Homepage. Der Antrag müsse zunächst auf seine Zulässigkeit geprüft werden, „was einige Monate in Anspruch nehmen wird“.
Als vorläufiger Insolvenzverwalter wurde Dietmar Penzlin vom
Amtsgericht Itzehoe bestellt. Er teilte mit, „dass der Geschäftsbetrieb
in vollem Umfang fortgeführt wird“. Sämtliche Verfügungen der
Geschäftsführung seien jedoch ab sofort nur noch mit seiner Zustimmung
wirksam. Löhne und Gehälter sollen bis April über das Insolvenzgeld
vorfinanziert werden. Die Zeichnung neuen Genussscheinkapitals sei
genauso wenig möglich wie Rückzahlungen von Genussscheinkapital oder
Zinsen. Zugleich rief Penzlin die rund 75 000 Anleger auf, von
Forderungsanmeldungen abzusehnen. Diese seien unwirksam, solange das
Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet ist.
Firmengründer Rodbertus hält Prokon „nach wie vor für operativ gut
aufgestellt“ und zeigt sich zuversichtlich, dass „wir die aktuellen
Schwierigkeiten überstehen werden“. Klar sei jedoch „dass es Zeit ist,
etwas zu verändern“ – das Geschäftsmodell von Prokon müsse „angepasst“
werden.
Überraschend kam die Entscheidung gestern Abend nicht. Bereits vor
zehn Tagen hatte Rodbertus den Gang zum Insolvenzrichter für den Fall
angekündigt, dass mehr als fünf Prozent des Genusscheinkapitals in Höhe
von 1,4 Milliarden Euro zurückgefordert werden. Zwischenzeitlich hatten
Tausende Anleger gekündigt. Auf eindringlichen Appell von Prokon, das
Unternehmen durch den Liquiditätsentzug nicht an die Wand zu fahren,
würden Kündigungen im Wert von fast 100 Millionen Euro wieder storniert.
Offenbar war das aber nicht genug. Heute will Prokon in Itzehoe Details
über die Insolvenz und die weitere Zukunft bekanntgeben.
Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) bedauerte die Entwicklung,
sieht „in der Insolvenz aber auch eine Chance“. Er habe großes Interesse
daran, „dass die Wertschöpfung bei Prokon fortgeführt wird“.
Trotz der Hiobsbotschaft konnte Prokon gestern auch einen Erfolg
verbuchen. Der Antrag der Verbraucherzentralen auf einstweilige
Verfügung wurde vom Landgericht Itzehoe abgeschmettert. Prokon habe
keinen Druck auf die Anleger ausgeübt, sondern mit deutlichen Worten auf
die Folgen des Eigenkapitalentzuges hingewiesen.
Seite 27:
Prokon: Hoffen auf den Neuanfang
Reaktionen auf den Insolvenzantrag des Windkraft-Finanzierers / Sorge um Mitarbeiter und regionale Firmen
Itzehoe /kgo/lpe/vm
„Uns ist klar, dass es Zeit ist, etwas zu verändern!“ Das verkündete
die Firma Prokon gestern Nachmittag auf ihrer Internetseite. Der Weg
dorthin führt über die Insolvenz, die gestern am Amtsgericht Itzehoe
angemeldet wurde. Ob ein Verfahren eröffnet wird, steht noch nicht fest.
Einstweilen bedarf jede Entscheidung der Geschäftsführung der
Zustimmung von Insolvenzverwalter Dr. Dietmar Penzlin.
„Die Anmeldung der Insolvenz muss noch nicht das Ende des
Unternehmens heißen“, erklärte auf Anfrage Bürgermeister Dr. Andreas
Koeppen. Nach einer „gründlichen Analyse und Neuordnung“ könne das
Unternehmen weiterbestehen – „und damit vor allem auch eine Zukunft für
die Beschäftigten bieten“. Es gebe genügend Beispiele von Firmen, die
nach der Insolvenz mit neuer Ausrichtung am Markt bestehen konnten.
„Deshalb hoffe ich, ganz besonders mit Blick auf die Beschäftigten, dass
der Schritt nicht das Ende des Unternehmens ist“, so Koeppen. Zumal das
Unternehmen in einer Zukunftsbranche tätig sei: „Das, was Prokon im
Kern tut, ist das, was gesellschaftlich gewollt ist: die Energiewende
gestalten.“ Er stehe in engem Kontakt mit der Landesregierung, die
Unterstützung zugesichert habe, damit der Innovationsraum
weiterentwickelt werden kann.
Dort ist Professor Dr. Ralf Thiericke, Geschäftsführer im
Innovationszentrum IZET, direkter Nachbar von Prokon: „Ein Weiterführen
der Geschäfte rund um erneuerbare Energien ist für die Westküste
Schleswig-Holsteins und für den Standort
Itzehoe/Kreis Steinburg elementar wichtig.“ Alle müssten sehr darauf
bedacht sein, die Menschen in Lohn und Brot zu halten, bei Prokon oder
zumindest in der Region. Denn diese brauche die gut ausgebildeten
Fachkräfte, „es wäre fatal für uns, wenn sie in andere Regionen
abwandern“. Bei den erneuerbaren Energien gebe es im Kreis eine Nach-Vorne-Strategie, „Prokon ist dafür ein Baustein“.
Man müsse abwarten, ob das Insolvenzverfahren tatsächlich eröffnet
werde, sagte Lutz Bitomsky, Vorsitzender im Unternehmensverband
Unterelbe-Westküste, dem Prokon nicht angehört.
„Natürlich ist es für die Region nach Prinovis ein weiterer Kahlschlag.“
Das bedauere er für die Mitarbeiter – „auf der anderen Seite kann eine
Insolvenz vielleicht auch einen Neubeginn darstellen, darauf müssen die
handelnden Akteure ihr Augenmerk richten“. Viele regionale
Handwerksbetriebe seien für Prokon tätig gewesen, betonte Bitomsky. „Es
bleibt zu wünschen, dass die alle entsprechend bezahlt wurden und nicht
der Insolvenzverwalter womöglich Geschäfte rückabwickeln muss.“ Komme es
zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, bleibe nur zu hoffen und
wünschen, dass alles im Sinne der Mitarbeiter und Handwerksbetriebe
abgewickelt werden könne und es zu einem Neubeginn komme.
„Ich habe echt Bauchschmerzen“, sagte Landrat Torsten Wendt. Er werde
in den kommenden Tagen alle Vertreter öffentlicher Institutionen zu
einer Gesprächsrunde zusammentrommeln, um zu sehen, wie es weitergehen
kann. „Am Freitag ist zudem Wirtschaftsminister Reinhard Meyer hier.“
Dieser sagte gestern, das Land habe großes Interesse daran, dass
produzierende Teile Prokons fortgeführt werden können. Das Land biete
seine Hilfe und „die ganze Kompetenz, die im Land ist“, an, um zusammen
mit dem Kreis und der Stadt zu schauen, was getan werden kann. „Denn es
geht um 313 Beschäftigte am Standort Itzehoe.“