22 000 Brötchen und 44 Brennelemente
Drei Wochen Revision im Kernkraftwerk
Brokdorf / Zeitweise bis zu 1680 Mitarbeiter auf dem Gelände / Montag
soll die Anlage wieder ans Netz
Brokdorf
„Es erfolgt das Abschalten des Niederspannungstransformators, es
kommt zum Ausfall CU und CT.“ Beim technischen Laien erregt die durch
das gesamten Kraftwerksgebäude hallende Lautsprecherdurchsage erhöhte
Aufmerksamkeit. Für die Mitarbeiter ist das eher Routine. Auch
Werkleiter Uwe Jorden nimmt die Durchsage gelassen hin. „Interessant
wäre es nur, wenn das Ausschalten der Stromversorgung angesagt wird.“
Dann nämlich müsste er zuvor noch die Daten in seinem Computer sichern.
Überhaupt sitzt Jorden ausgesprochen entspannt in seinem Büro. Dabei
ähnelt das Kernkraftwerk Brokdorf seit 30. Mai eher einem Bienenschwarm.
In der Spitze waren 1680 Menschen auf dem Gelände und in den Gebäuden.
Die jährliche Revision macht Brokdorf für vier Wochen zum mit Abstand
größten Arbeitgeber in der Region. „Am Montag wollen wir wieder ans
Netz. Wir sind gut im Zeitplan“, ist der Kraftwerkschef mit dem
bisherigem Verlauf zufrieden.
Auch für die Stammmannschaft sind die jährlichen Wartungs- und
Instandsetzungsarbeiten immer wieder eine Herausforderung. Eine
Urlaubssperre gebe es zwar nicht. Dennoch seien in dieser Zeit immer
fast alle an Bord. Hinzu kommen hunderte von Mitarbeitern von
Fremdfirmen, zumeist Spezialisten, die sich um Armaturen, Pumpen,
Schaltanlagen, Transformatoren und Leittechnik kümmern. Auch mehr Leute
im Strahlenschutz gebe es. Und in der Küche. Dort arbeiten an normalen
Tagen neun Mitarbeiter in einer Schicht, jetzt sind es 16 in drei
Schichten. Und die haben eine Menge hungriger Mägen zu füllen. Rund
12 000 Mittagessen gehen während der Revision über den Tresen. Fast
22 000 Brötchen und mehr als 7000 Eier werden verkauft. Und die Köche
müssen 30 Tonnen Fleisch und Gemüse verarbeiten. Diese Zahlen gelten nur
für die Werkskantine. Auch der Imbiss auf dem Parkplatz ist immer gut
frequentiert.
Insgesamt 27 Millionen Euro gibt das Kraftwerk als Gesamtinvestition
an. Zu den wesentlichen Arbeiten gehören die Inspektion von
Brennelementen sowie die Kontrolle von Einbauten des
Reaktordruckbehälters. Hinzu kommen eine Inspektion eines Läufers der
Niederdruckturbine sowie eine Dichtheitsprüfung des
Sicherheitsbehälters. Daneben werden 44 der insgesamt 193 Brennelemente
ausgetauscht. Sie wandern erst einmal für drei Jahre ins Abklingbecken
und dann in einen Castor verpackt ins Zwischenlager.
Als zunehmende Herausforderung empfindet es Uwe Jorden, immer wieder
genug Fachpersonal zu bekommen. Angesichts des nahenden Endes der
Laufzeiten von Kernkraftwerken geht auch die Zahl qualifizierter
Mitarbeiter allmählich zur Neige. Hier gehe man verstärkt auf die Suche
nach Ersatzfirmen. Auch werde das Thema Qualifizierung im Verbund der
Kraftwerksbetreiber groß geschrieben.
Auch die Frage von Ersatzteilen sei „schon ein Thema“. Vor allem im
Bereich der Elektrotechnik. „Wir sind da inzwischen ein bisschen
oldfashioned“, meint Jorden. Das aber habe auch den Vorteil, dass nicht
alles bis ins kleinste Detail schon digitalisiert ist. „Bei uns sieht
man noch, wo die Strippe läuft.“ Nützlicher Nebeneffekt: Die eher
altmodische Technik bewahrt die Mitarbeiter auch vor computertypischen
Problemen. Auch Hacker dürften hier nur schwer Zugang finden.
Bedenken von Kernkraftgegnern, dass es während der Revision zu einer
Belastung der Umgebung kommen könne, zerstreut der Betreiber.
Betriebsreferent Hauke Rathjen rechnet vor, dass man während nur eines
Fluges von Frankfurt nach New York einer radioaktiven Belastung
ausgesetzt sei, wie sie bei insgesamt 4500 Revisionen auf dem
Kraftwerksgelände entstehen würde. Auch bei der Freisetzung von
Edelgasen, Aerosolen und Jod, so versichert Jorden, gebe es im Vergleich
zum regulären Leistungsbetrieb praktisch keine messbaren Unterschiede.
Für Uwe Jorden und seine Mannschaft ist bei der Revision jedenfalls
alles im grünen Bereich. „Wir halten die Anlage nach wie vor auf einem
hohen Stand“, so der Kraftwerksleiter. Die Konkurrenz bei der
Stromerzeugung kann er aber aus seinem Bürofenster im fünften Stock
schon wachsen sehen. Wenige Kilometer entfernt entsteht derzeit der mit
fünf 3-MW
-Anlagen bestückte Windpark
Beidenfleth. Pro ein Megawatt Leistung werden hier rund 1,6 Millionen
Euro investiert. Jorden kommentiert spontan: „Bei einem konventionellen
Kraftwerk rechnet man mit einer Million Euro pro Megawatt.“ Allerdings
muss auch das Kernkraftwerk der Entwicklung Tribut zollen. Ein weiterer
Schwerpunkt bei der Revision liegt in der Optimierung
Kraftwerksregelung, weil die Anlage wegen der unregelmäßigen
Einspeisungen erneuerbarer Energien immer häufiger rauf- und
runtergefahren werden muss.
Volker Mehmel