"Stephan Klose" <mailto:[email protected]> schrieb:
Nachrichten: Tübingen
18.07.2008
Millionen für prima Klima
Die Tübinger Stadtwerke haben sich für die nächsten Jahre
allerhand vorgenommen
Fünf Tage vor der Ratsdebatte über Brunsbüttel luden die
Stadtwerke-Chefs gestern zum Pressegespräch. Ihre Botschaft: Auch
mit eigenem Kohlestrom werde der städtische Versorgungsbetrieb
seiner ‑ökologischen Vorreiter-Rolle gerecht.
Der bislang größte Windpark im Land steht bei Simmersfeld im
Nordschwarzwald und produziert mit 14 Windrädern jährlich 64
Millionen Kilowattstunden Strom. Auch die Tübinger Stadtwerke
wollen sich jetzt auf der Schwäbischen Alb so einen Windpark
zulegen, allerdings bei weitem nicht so groß. Archivbild
Tübingen. Zu Beginn der Pressekonferenz im Rathaus erläuterte OB
Boris Palmer nochmal seine Haltung zur Tübinger Beteiligung an dem
Milliarden-Projekt in Brunsbüttel. Er hätte ‑auf die Erblast
gerne verzichtet, erklärte er, und die Energiepolitik der
Stadtwerke ‑lieber ohne eigenen Kohlestrom entwickelt. Ein
Zurück gibt es für ihn aber nicht mehr schon deshalb, weil das
Kraftwerk eh gebaut werde: ‑Wenn wir aussteigen, ändert das
nichts am CO 2 -Ausstoß, wir müssten nur den Strom teurer
einkaufen.
Unabhängig davon ist für Palmer die auf 10 bis 13 Millionen Euro
veranschlagte Beteiligung ‑im Rahmen unserer Klimaschutz-Strategie
vertretbar. Denn auch mit Brunsbüttel werde es gelingen, den
Tübinger CO 2 -Ausstoß bis 2020 um 20 000 Tonnen pro Jahr zu
verringern. Viele der dazu geplanten Projekte habe er selber
angestoßen, weshalb er im Brunsbüttel-Streit ‑ein gutes grünes
Gewissen habe.
Ähnlich wie Palmer misst auch das Führungs-Trio bei den
Stadtwerken den ‑drastischen Klimaveränderungen eine
‑überragende Bedeutung zu. Und das schon lange, wie der
kaufmännische Geschäftsführer Ortwin Wiebecke betonte: ‑Wir
haben in den letzten Jahren einen zweistelligen Millionenbetrag in
regenerative Anlagen und in die Kraft-Wärme-Kopplung investiert.
Dank dieser Anstrengungen seien die Stadtwerke jetzt in der Lage,
rund 30 Prozent des Tübinger Strombedarfs in eigenen Anlagen zu
erzeugen.
Die Hälfte des Stroms
aus eigener Erzeugung
Wichtig für den Klimaschutz ist dabei: Bei der eigenen Erzeugung
fallen pro Kilowattstunde nur 229 Gramm CO 2 an. Der Zukauf fremden
Stroms hingegen belastet (gemäß dem bundesweiten Strommix) die
Tübinger CO 2 -Bilanz mit 520 Gramm pro Kilowattstunde. Wiebeckes
Fazit: ‑Durch unsere Eigenerzeugung fahren wir den CO 2 - Ausstoß
schon jetzt um etwa 30 000 Tonnen pro Jahr zurück.
Auf diesem Weg will der städtische Versorgungsbetrieb in nächster
Zeit weiter vorankommen. Wie Achim Kötzle, der für den
energiewirtschaftlichen Bereich zuständige Geschäftsführer,
gestern ankündigte, sollen die eigenen Kapazitäten zur
Stromerzeugung bis 2020 von 30 auf 50 Prozent des Tübinger Bedarfs
gesteigert werden und zwar so, dass die CO 2 - Emissionen Zug um
Zug um weitere 20 000 Tonnen pro Jahr zurückgehen.
Wie die Stadtwerke ihr Ziel erreichen wollen, erläuterte der
technische Geschäftsführer Wilfried Kannenberg. Im einzelnen geht
es dabei um folgende mehr oder minder weit gediehene Projekte, mit
denen die Tübinger Stromversorgung auf eine möglichst breite und
krisensichere Basis gestellt werden soll:
" Solarstrom: Noch in diesem Jahr wollen die Stadtwerke eine
Million Euro in neue Fotovoltaik-Anlagen (die nächste kommt wohl
aufs Dach des Carlo-Schmid-Gymnasiums) investieren. Rein
rechnerisch ergeben sich daraus rund 200 000 Kilowattstunden Strom
pro Jahr;
" Biogas-Anlage auf den Härten: In der Schinderklinge soll aus
organischen Abfällen Biogas gewonnen werden, das dann in einem
Blockheizkraftwerk zur Erzeugung von Strom und Wärme (fürs
Französische Viertel) eingesetzt wird. Von dem 2,8 Millionen Euro
teuren Vorhaben, das die Stadtwerke zur Hälfte mitfinanzieren
wollen, erhofft man sich eine jährliche Stromausbeute von 5,6
Millionen Kilowattstunden;
" Holzkraftwerk in Hessen: Die Stadtwerke beteiligen sich mit 1,5
Millionen am Bau eines 8 Millionen Euro teuren Holzkraftwerkes in
Herborn, das 13 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr abwerfen
soll;
" Holzvergasung in Geislingen: Die Stadtwerke schießen eine
Million zum Bau einer 18 Millionen Euro teuren Anlage zur
Holzvergasung (mit Blockheizkraftwerk) bei Geislingen an der Steige
zu mit einer geplanten Stromausbeute von 24 Millionen
Kilowattstunden pro Jahr;
" Wasserkraftwerk in Horb: Die Stadtwerke wollen 3,3 Millionen
Euro in den Erwerb und Umbau eines privaten Neckarkraftwerks in
Horb stecken und erwarten sich davon alljährlich 2,4 Millionen
Kilowattstunden Strom;
" Windpark auf der Alb: Bisher handelt es sich dabei um eine
‑Projektidee, von der Palmer nur so viel preisgab: Die
Stadtwerke sollen für vier bis fünf Millionen Euro auf der Alb
Windkrafträder bauen, die zusammen 8,5 Millionen Kilowattstunden
Strom pro Jahr liefern; zu einem späteren Zeitpunkt soll die
Kapazität des Windparks mit weiteren fünf Millionen Euro
verdoppelt werden.
Sollten alle diese Projekte und möglicherweise noch ein paar andere
(in Betracht kommt beispielsweise auch eine Beteiligung an Offshore-
Windparks) realisiert werden, würde der vom Tübinger Strommix
ausgehende CO 2 -Ausstoß von derzeit 350 auf 225 Gramm pro
Kilowattstunde sinken. Zum Vergleich: Das Umweltministerium in
Berlin wäre zufrieden, wenn es bis 2020 gelänge, den bundesweiten
Durchschnittswert von jetzt 520 auf dann etwa 460 Gramm pro
Kilowattstunde zu reduzieren. ‑Angesichts dieser Zahlen, so
erklärte Boris Palmer gestern, ‑kann ich mit Brunsbüttel ganz
gut leben.