Atommüll: Das lange Warten auf ein Endlager
Erkundungstour führt Steinburger
Kreispolitiker in 840 Meter Tiefe. In Gorleben holte sich die Gruppe in
der Konditionierungsanlage und im Salzstock Informationen aus erster
Hand.
Gorleben
– Die Brokdorfer werden noch mindestens 30 Jahre lange mit ihrem
Zwischenlager leben müssen. Diese Erkenntnis gewann jetzt eine Gruppe
von Steinburger Kreispolitikern bei einem Besuch des möglichen
Endlagers für radioaktive Abfälle in Gorleben.
Hauke Rathjen, Sprecher der E.ON Kernkraft in Brokdorf, hatte zu der
Tour eingeladen. Sein Ziel: Es sollte Informationen aus erster Hand
geben. Dafür sorgte unter anderem Christian Islinger. Der Geologe in
Diensten des Bundesamtes für Strahlenschutz brachte die bisherigen
Untersuchungen des umstrittenen Salzstocks auf diesen einfachen Nenner:
„Bisher gibt es nichts, was gegen ein Endlager spricht.“ Entschieden
sei allerdings auch nichts.
Das wissen vor allem die Brokdorfer nur allzu gut. Lange Jahre – und
immer wieder begleitet von heftigen Protesten vor den Kraftwerkstoren –
rollten Castortransporte aus der Wilstermarsch in Richtung La Hague
oder nach Sellafield. Inzwischen müssen die ausgedienten Brennelemente
auf dem Kraftwerksgelände zwischendeponiert werden. Was Gorleben immer
wieder in die Schlagzeilen bringt, ist der Müll, der jetzt aus
Frankreich und Großbritannien zurückkommt. Zwei Transporte mit je elf
Behältern aus Frankreich und einige weitere aus Großbritannien werden
noch erwartet. Die landen allerdings auch erst mal in einem
Zwischenlager.
Zur Besichtigung der möglichen Endlagerstätte wurden die Steinburger
Besucher zunächst mit Arbeitsschuhen und -kleidung, Helm, Grubenlampe
und Atem-Not-Set
ausgestattet. Mit zehn Metern pro Sekunde ging es dann in 840 Meter
Tiefe, wo Geologe Islinger anschaulich erläuterte, wie man sich die
Endlagerung vorstellen könnte: „Nach zehn bis 15 Jahren sind die
Behälter hier eingeschlossen wie eine Mücke im Bernstein.“ Die zuvor
angehäufte Salzhalde wird wieder ins Bergwerk geschüttet, fertig ist
ein wartungsfreies Endlager. „Risse im Salz sind unmöglich, weil sich
die wieder selbst heilen“, beugt der Sprecher kritischen Fragen vor.
Auch mit einem Wassereinbruch sei nicht zu rechnen. Und die im Sommer
bekannt gewordene Leckage im Atommüll-Salzbergwerk
Asse? „Die Sachen wurden damals nur schnell abgekippt. Das sieht nur
optisch schlecht aus“, beschwichtigt Islinger. Im übrigen lägen die
Probleme dort nur darin begründet, dass die Asse früher als Bergwerk
genutzt worden sei. „Und in jedes Bergwerk läuft Wasser.“ Gorleben
hingegen scheint auf den ersten Blick staubtrocken zu sein. Obwohl von
Salz umgeben, rosten nicht einmal die in der Tiefe eingesetzten
Geländewagen und Baufahrzeuge. Gelegentlich rollt eines davon an den
Besuchern vorbei, so als müssten die verbliebenen rund 50 Mitarbeiter
einen Tätigkeitsnachweis abliefern. Tatsächlich sorgen sie seit acht
Jahren nur noch dafür, dass die Schachtanlage betriebsbereit bleibt.
„Letztlich warten wir auf eine politische Entscheidung“, schließt
Islinger und fügt noch einmal hinzu: „Es wurde in Gorleben nichts
gefunden, was gegen eine Eignung als Endlager spricht.“
In Wartestellung ist auch die wenige Kilometer entfernte so genannte
Konditionierungsanlage. Hier könnte eines Tages auch aus Brokdorf
angelieferter Atommüll für die Endlagerung fertig gemacht werden. „Der
Stillstand kostet uns 20 Millionen Euro im Jahr. Die Stromkunden zahlen
letztlich fürs Nichtstun“, beklagt Jürgen Auer, Sprecher der
Brennelementlager Gorleben GmbH. 500 Millionen Euro stecken in dem
Gebäudekomplex mit 420 Räumen. Ein leerer Castorbehälter steht nur zu
Übungszwecken herum. „Das Gebäude ist immun gegen Flugzeugabstürze und
Erdbeben“, beruhigt Auer seine Zuhörer, die durch 1,30 Meter dicke
Bleiglasfenster einen Blick in die Gebäudeteile werfen können, wo die
hochradioaktiven Brennelemente eines Tages für die Endlagerung verpackt
werden sollen. Und was machen die 50 Mitarbeiter plus
Bewachungspersonal den ganzen Tag ? „Noch nie was von Skat gehört ?“,
fragt Auer vielsagend zurück. Immerhin: Einen Nutzen erfüllt die Anlage
schon jetzt. Es kann eifrig geübt werden und außer dem steht die top
ausgestattete Werkstatt für den Fall bereits, dass ein Flugzeug auf
einen Castortransport fällt. Apropos Castor: Für die ausgedienten
Transportbehälter hat Jürgen Auer auch schon eine Verwendung gefunden:
„Die kann man einschmelzen und Kochtöpfe daraus machen.“ Bei den
Steinburger Besuchern sorgte das eher für nachdenkliche Gesichter.
Ansonsten hat sich der Ausflug in die Unterwelt der Energiepolitik
offenbar gelohnt. „Ich bin mit einem sicheren Gefühl wieder
hochgefahren“, meinte der Hohenlockstedter Jürgen Klein. Wie fast alle
Besucher hat er sich als Andenken ein jungfräuliches Stück Salzgestein
mitgenommen. Wenn dem Wunsch des neuen bayrischen Umweltministers
Markus Söder nachgegeben wird, hat das Souvenir bald Seltenheitswert.
Der fordert nämlich, dass Gorleben umgehend als Endlager freigegeben
wird. Jürgen Auer ist da nicht so zuversichtlich: „Bis zur
Bundestagswahl herrscht weiter Stillstand“, ist er überzeugt. Zumindest
für die Brokdorfer wäre das kein akutes Problem. Von den 100
Stellplätzen für Castoren im Zwischenlager sind erst sechs belegt.
Volker Mehmel