Nähe zu Wohngebieten
Nach Urteil sind 30 Kohlekraftwerke bedroht
10. September 2009
Für E.on ist es ein Fiasko: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat eine Baugenehmigung für ein Kohlekraftwerk für ungültig erklärt – wegen der Nähe zu Wohngebieten. Nun wittern Umweltschützer ihre große Chance. Sie wollen 30 weitere Bauprojekte zu Fall bringen. In Deutschland droht eine Flut von Klagen.
Das drohende Ende für das E.on-Kohlekraftwerk in Datteln beflügelt die Fantasie der Klimaschützer. Nach Recherchen von WELT ONLINE will eine Allianz von verschiedenen Initiativen das vom Oberverwaltungsgericht Münster verhängte Urteil gegen das E.on-Projekt nutzen, um weitere Kohlekraftwerke zu verhindern. Derzeit sind rund 30 Kraftwerke geplant. Fast überall gibt es Klagen.
Koordiniert werden die Aktivitäten von der Klima-Allianz in Berlin. In dem Verein haben sich gut 140 Initiativen vom Naturschutzbund Deutschland über das evangelische Missionswerk Leipzig bis zum Hilfswerk "Brot für die Welt" zusammengeschlossen, um für einen Wandel in der Klimapolitik zu streiten. Finanziert wird die Allianz vor allem aus Spenden von Stiftungen aus der Schweiz oder den USA, hinter denen unter anderem der Gründer des Konzerns Hewlett-Packard steht. Bei Politikern sorgt das für Unruhe. Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) sagte: "Die Erneuerung des Kraftwerksparks durch hocheffiziente, klimaschonende Kohlekraftwerke ist ohne Alternative." Das müssten auch Kohlegegner einsehen. Nur sei es derzeit kaum möglich, ernsthaft zu diskutieren.
Die Anti-Kohle-Kampagne wird vor allem von der Deutschen Umwelthilfe und dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) voran getragen. Während die Umwelthilfe versucht, im politischen Raum Druck zu machen, konzentriert sich der BUND darauf, vor Ort Bürgerinitiativen bei Klagen gegen Bauvorhaben zu unterstützen. Eine Sprecherin der Klima Allianz sagt: "Wir sorgen dafür, dass der Informationsfluss zwischen den Betroffenen zustande kommt. Wir beraten sie bei politischen und verfahrenstechnischen Fragen."
Das Dattelner Urteil wird hier als neue Waffe gesehen, die gegen Kohlekraftwerke eingesetzt werden kann. Beispielsweise gegen die geplanten Anlagen des französischen Konzerns GdF-Suez in Brunsbüttel. Derzeit steht dort die Änderung eines Bebauungsplanes für das 800 Megawatt-Projekt an. Weil der Kühlturm hier nur rund 300 Meter neben einem Wohn- und Gewerbegebiet errichtet werden soll, hoffen die Kraftwerksgegner auf Rückenwind aus Datteln. Denn auch in Nordrhein-Westfalen wurde das Projekt vor allem wegen einer zu großen Nähe zu einem Wohngebiet erfolgreich angegriffen. In Datteln lagen zwischen Kühlturm und Einzelheimen rund 400 Meter. "Das Urteil ist fast schon revolutionär", sagt Daniela Setton von der Klima-Allianz. "Viele Kommunen müssen nun prüfen, ob sie ihre Planungen nicht zu riskant aufgesetzt haben." Politisch werden die Initiativen von den Grünen unterstützt. Die ehemalige nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn hofft auf ein Bündnis nach dem Anti-AKW-Modell. "Kohlekraftwerke sind ein Auslaufmodell", sagte sie.
Allerdings gibt es auch Stimmen, die vor zu viel Euphorie der Kohlefeinde warnen. Philipp Heinz vertrat in Datteln die Gegner des Kraftwerkes. Er sagt, das Urteil sei nur bedingt auf andere Projekte zu übertragen. "Das Gericht hat nicht gesagt, dass kein Kohlekraftwerk mehr gebaut werden darf." Statt nur auf Planungsfehler zu setzen, greift deswegen der BUND auch die Emissions- und Wasserrechtlichen Genehmigungen vor Gericht an. In Hamburg etwa versucht er, so das Kohlekraftwerk Moorburg noch nach der Genehmigung zu kippen.
Für die Befürworter moderner Kohlekraftwerke ist das alles schwer nachvollziehbar. Die neuen Meiler sollen mit Wirkungsgraden von bis zu 60 Prozent in der Kraft-Wärme-Koppelung alte ineffiziente Kohlekessel ersetzen. Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsministerin Thoben sagt, es sei nicht möglich, einen 1000 MW-Block wie in Datteln durch ein Biomassekraftwerk zu ersetzen. "Sie müssten fast ganz NRW mit Brennmais bepflanzen."
Quelle: www.welt.de/wirtschaft/article4500649/Nach-Urteil-sind-30-Kohlekraftwerke-bedroht.html