Dienstag, 13. April 2010
"Hätte nie Endlager werden dürfen"Greenpeace
enthüllt Geheimakten
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace präsentiert bislang
unveröffentlichte Akten zu Gorleben. Daraus gehe hervor, dass der
Salzstock nie als Endlager hätte in Frage kommen dürfen. "Das Verfahren
war nie ergebnisoffen", erklärt die Umweltschutzorganisation.
Der niedersächsische Salzstock Gorleben hätte nach Einschätzung von
Greenpeace niemals als atomares Endlager infrage kommen dürfen. Das
sollen bislang unbekannte Behördenakten aus den 70er Jahren belegen, die
die Umweltorganisation vorstellte. Darin zeige sich, dass damals
Wassereinlagerungen "verschwiegen wurden, die zum Ausschluss des
Standortes hätten führen müssen", erläuterte Greenpeace-Atomexperte
Mathias Edler. "Das Verfahren war nie ergebnisoffen. Geologische
Kriterien für ein Endlager im Salzstock spielten in allen Studien eine
untergeordnete Rolle", erklärte Edler. Derzeit befasst sich auch ein
Untersuchungssauschuss des Bundestags mit Gorleben.
Belegt werde in den Unterlagen zudem, dass die Auswahl von Gorleben
unter dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht
(CDU) politisch motiviert und wissenschaftlich nicht abgesichert war.
Albrecht wird in einer Notiz von 1977 mit den Worten zitiert, das
Endlager werde "entweder bei Gorleben oder überhaupt nicht in
Niedersachsen gebaut".
Niedersachsens Umweltministerium in Hannover erklärte jedoch, bei den
Wassereinlagerungen in Gorleben handele es sich - ganz anders als beim
einsturzgefährdeten Atommülllager Asse - um Laugen fossiler Art. Das
heißt, sie resultieren aus der Entstehungsphase der Salzstöcke vor
Millionen Jahren. Die Landesregierung habe Greenpeace die Akten zur
Verfügung gestellt, von Geheimpapieren könne keine Rede sein, sagte die
Sprecherin des Umweltministeriums. Eine Veröffentlichung der Akten sehe
die Behörde gelassen.
Verschwiegene Informationen
Nach eigenen Angaben erwirkte Greenpeace seit August vergangenen
Jahres systematisch Einsicht in die Akten der Bundesanstalt für
Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), des niedersächsischen
Staatskanzlei und des niedersächsischen Umweltministeriums. Aus
Unterlagen der BGR geht den Angaben zufolge hervor, dass den Bürgern
noch während der späteren Erkundung des Salzstocks wesentliche
Informationen vorenthalten wurden. So habe die Bundesanstalt einen
Vermerk des für Gorleben zuständigen Bundesamts für Strahlenschutz (BfS)
vom August 1996 unter Verschluss gehalten, wonach in Gorleben in 840
Meter Tiefe eine große Salzlaugen-Ansammlung von bis zu einer Million
Kubikmetern entdeckt worden sei. Laugenzuflüsse hatten zuletzt in dem
mit leicht- und mittelradioaktiven Abfall gefüllten Endlager Asse für
große Probleme gesorgt. Das marode Bergwerk ist einsturz- und
überflutungsgefährdet.
Nach einem Dokument vom Februar 1976 werden in einer geologischen
Studie für die Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft (KEWA) die
niedersächsischen Standorte Börger, Weesen-Lutterloh und Ahlden
favorisiert. Eine Studie des TÜV Hannover sprach sich im gleichen Jahr
für das schleswig-holsteinische Nieby aus. In beiden Dokumenten ist von
Gorleben keine Rede. Der Salzstock im Wendland an der damaligen
innerdeutschen Grenze taucht erst im November 1976 durch eine
schriftliche Notiz in den vorliegenden Unterlagen auf - drei Monate vor
der Entscheidung der niedersächsischen Landesregierung für eine
Erkundung von Gorleben.
CDU hält an Gorleben fest
Vor diesem Hintergrund forderte die atompolitische Sprecherin der
Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl: "Die Gorleben-Historie
ist ein Sumpf, der trocken gelegt werden muss." Die Grünen-Vorsitzende
Claudia Roth nannte es einen "atompolitischen Wahnsinnskurs", dass die
jetzige Bundesregierung am Standort Gorleben festhalten wolle. Auch
Edler rief zur Aufgabe des Standorts auf. Der jetzige
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) will den vor zehn Jahren von
Rot-Grün verhängten Erkundungsstopp für den Salzstock aufheben.
Greenpeace will die Akten nach und nach ins Internet stellen.
Die Organisation stützt den Anspruch auf Akteneinsicht bei der
Landesregierung auf das Umweltinformationsgesetz. "Bis jetzt konnten 110
Aktenbände mit vertraulichen Kabinettsvorlagen, Gesprächsprotokollen,
Vermerken und Studien mit mehr als 12.000 Einzelseiten ausgewertet
werden", sagte Edler.
In den 80er Jahren hatte sich auch die damalige Bundesregierung von
Helmut Kohl (CDU) für Gorleben ausgesprochen. Ob fachliche Erwägungen
bei der Entscheidung die Hauptrolle spielten oder ob damals Gutachten
aus politischen Gründen manipuliert wurden, soll ein Ende März
eingesetzter Untersuchungsausschuss des Bundestags klären.