Nur vorläufige Entwarnung für den Norden
Berlin/Kiel /bg
Der Streit um die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid droht
weiter zu gehen: Im Gesetzentwurf der Bundesregierung, der heute in
Berlin vorgestellt wird, fehlt nach Informationen unserer Zeitung eine
Regelung, die es den Bundesländern ermöglicht, die umstrittenen Anlagen
auf ihrem Gebiet grundsätzlich zu verbieten. Die schleswig-holsteinische Landesregierung hatte nach massiven
Protesten der Bürger vor allem in Nordfriesland gegen die sogenannte CCS-Technik darauf gedrängt (das Foto zeigt eine
Demonstrantin im Juni 2009 vor dem Kieler Landeshaus). Statt dessen
räumt Berlin den Ländern nur die Gelegenheit ein, die Speicher durch
strenge Auflagen de facto und vorläufig zu verhindern. Die Grünen
befürchten, dass Schleswig-Holstein damit
„langfristig nicht sicher vor den Anlagen ist“.Seite 7:CCS: Der Norden muss weiter bangen
Land erhält zwar Einfluss auf Genehmigung –
aber Grüne sehen „langfristig keine Sicherheit für Schleswig-Holstein“
Berlin/Kiel
Anders als von Schleswig-Holsteins
Landesregierung gefordert, wird das neue Gesetz für unterirdische
Kohlendioxidspeicher den Bundesländern nicht die Möglichkeit geben, die
umstrittenen Anlagen auf ihrem Territorium grundsätzlich zu verbieten.
Allerdings sollen die Länder die Speicher durch strenge Auflagen de
facto zumindest in den nächsten sieben Jahren verhindern können. Das
sieht der gemeinsame Gesetzentwurf von Bundesumweltminister Norbert
Röttgen (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) vor,
den beide heute in Berlin vorstellen wollen. Die Eckpunkte liegen
unserer Zeitung vor.
Demnach gibt es für die Bundesländer weder eine Optionsklausel, nach
der sie frei entscheiden können, ob sie die Anlagen auf ihrem Gebiet
wollen, noch ein eigenes Raumordnungsrecht, mit dem sie sämtliche
Flächen für die Speicherung sperren könnten. Zwar wurde Röttgen am
Wochenende vorab aus einem Interview mit der Aussage zitiert, dass die
Landesregierungen „im Zuge der Raumordnung“ beschließen könnten, ob sie
die Erprobung der neuen „CCS“-Technik (Carbon Capture and Storage)
generell möglich machen oder nicht. Doch habe es dabei ein
Missverständnis bei der Formulierung gegeben, sagte gestern ein
Ministeriumssprecher.
Tatsächlich wollen Röttgen und vor allem Brüderle die Entwicklung der
Technik nicht zu sehr erschweren. Schließlich gilt die unterirdische
Kohlendioxid-Speicherung als wichtiges
Instrument zur Verringerung der Treibhausgas-Emissionen
– und als wichtiger Zukunftsmarkt. Bei der Technik wird abgeschiedenes
CO2 durch eine Pipeline aus einem Kraftwerk
in einen Speicher geleitet. Allerdings sind noch viele
Sicherheitsfragen offen. In Nordfriesland, wo der Energiekonzern RWE
letztes Jahr Voruntersuchungen für eine Anlage plante, befürchteten die
Bürger einen Austritt des Gases aus der Erde, eine Gefährdung des
Trinkwassers und negative Folgen für den Tourismus.
Wegen der massiven Bedenken und Proteste will Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen
keine CCS-Anlagen im Norden. Röttgen und
Brüderle räumen den Ländern daher wenigstens vorläufig eine Gelegenheit
ein, die Speicher nicht zulassen zu müssen. „Es gibt kein CO2-Endlager, wenn die Bevölkerung es nicht will“,
hatte Röttgen kürzlich bei einem Besuch in Nordfriesland gesagt. Zum
einen schränken er und Brüderle daher die Kapazität und damit die Zahl
der Anlagen ein: Bundesweit dürfen nur insgesamt acht Millionen Tonnen
jährlich anfallen, die einzelnen Anlagen nicht mehr als drei Millionen
Tonnen speichern – was der Größenordnung der einzigen derzeit geplanten
Demonstrationsanlage in Brandenburg entspricht. Die dortige
Landesregierung unterstützt das Projekt trotz des Widerstands der
Bürger.
Zum anderen schreibt das Gesetz mit dem „Stand von Wissenschaft und
Technik“ hohe Auflagen für die Speicher fest. Und: Künftig ist ein
Planfeststellungsverfahren samt Umweltverträglichkeitsprüfung Pflicht.
Alle drei Maßnahmen zusammen sollen es den für den Gesetzesvollzug
zuständigen Lände ermöglichen, die Genehmigung eines Speichers so lange
hinzuziehen, bis es für die Betreiber zu spät ist: Der Zulassungsantrag
für eine Anlage muss bis Ende 2015 vorliegen. Danach geht erst mal
nichts mehr. 2017 soll das Gesetz dann evaluiert werden und nur bei
Nachweis der Unbedenklichkeit dauerhaft gelten.
Die Grünen in Schleswig
-Holstein befürchten
dennoch, dass auf Dauer auch im Norden CCS
-Speicher
gebaut werden könnten. Zwar gibt es seit der Zurückstellung der Pläne
von RWE derzeit keinen Interessenten im Norden. „Doch langfristig ist
Schleswig
-Holstein nicht sicher vor den
Anlagen“, fürchtet die Flensburger Bundestagsabgeordnete und
energiewirtschaftliche Sprecherin der Grünen, Ingrid Nestle. Auch die
strengen Auflagen im geplanten Gesetzes könnten das auf Dauer nicht
verhindern: „Wenn in Brandenburg eine Anlage dem geforderten Stand
entspricht, kann man ja in Schleswig
-Holstein
nicht für ewig das Gegenteil behaupten.“
Henning
Baethge