GAU
Der Atom-Gipfel im Kanzleramt
Frank Albrecht
Im Milliarden-Poker um die verlängerte Zukunft der deutschen Atomkraftwerke liegen die Karten nun auf dem Tisch. Die schwarz-gelbe
Koalition hat den Argumenten – aber auch blanken Drohungen – der
Atomkonzerne nicht widerstehen können und ohne Not den einst unter Rot-Grün
mühsam ausgehandelten Atomkonsens aufgekündigt. Doch der Wunsch von
Kanzlerin Merkel, das brisante Reizthema damit zu entschärfen, wird sich
nicht erfüllen. Im Gegenteil: In der Koalition wird der Spaltpilz
weiter wuchern und die Kritik von Außen wird nicht verstummen. Der von
den Grünen bereits angekündigte heiße Herbst wird kommen. Ganz sicher.
Es ist müßig darüber zu diskutieren, wie viel die Energieriesen von
ihren Zusatzgewinnen abgeben müssen. Die Koalition wird den Vorwurf nie
ausräumen können, sie habe sich die Entscheidung abkaufen lassen. Die
Atomriesen als Geldquelle für den maroden Bundeshaushalt – nicht als
Finanziers für den ökologischen Umbau. Welche Auswirkungen das haben
kann, musste die FDP ja schon mit der Hotel-Steuer schmerzlich erfahren.
Sicherheitsbedenken, Terror-Szenarien und die ungelöste Entsorgungsfrage: Die gestern gefassten Beschlüsse werden die große Atom-Skepsis
in der Bevölkerung nicht besänftigen. Die Wähler könnten sich an das
Gefeilsche der vergangenen Monate erinnern und die Restlaufzeit von
Schwarz-Gelb nicht verlängern. Schon jetzt ergeben die Umfragen keine Mehrheit für die Laufzeitverlängerung.
Das von Merkel für Ende September angekündigte Energiekonzept ist nach der Kompromiss-Runde
von gestern noch lange nicht in trockenen Tüchern. SPD und Grüne, aber
auch mehrere Länder drohen mit dem Bundesverfassungsgericht, sollte die
Regierung versuchen, die Laufzeitverlängerung am Bundesrat
vorbeizumogeln. Und ein Greenpeace-Gutachten erklärt, sogar die EU-Kommission
müsse den Ausstieg aus dem Ausstieg absegnen. Vor diesem Hintergrund
droht der Koalition kein „heißer Herbst“, sondern der energiepolitische
GAU.