Gleich fünf Minister hat die Kanzlerin geschickt. Sie sollen an
diesem trüben Dienstag öffentlich verkaufen, was nach Meinung von Angela
Merkel eine Revolution ist. Auch wenn inzwischen wesentliche Punkte,
die selbst SPD-Chef Sigmar Gabriel lobte, aus dem Energiekonzept wieder
herausgestrichen worden sind. So schwirren schwarz-gelbe Zahlen und
Lobeshymnen durch den Raum der Bundespressekonferenz.
Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), Umweltminister Norbert
Röttgen (CDU), Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU),
Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) und Finanzminister Wolfgang
Schäuble (CDU) untermauerten allein durch ihre Anwesenheit, welche
Bedeutung die Regierung dem Konzept beimisst. Man will zeigen, dass
diese Bewertung einhellig erfolgte.
Wirtschaftsminister Brüderle ist gewohnt bildreich und zählt drei
Vorteile auf, die die längeren Laufzeiten brächten: bezahlbarer Strom,
mehr Klimaschutz und Schecks von den Konzernen. Wie die Regierung ihre
Ziele eines Ökostrom-Anteils von 80 Prozent und bis zu 95 Prozent
weniger CO2-Emissionen bis 2050 erreichen will, bleibt im Vagen.
Umweltminister Röttgen spricht von über 60 konkreten Maßnahmen. Dafür
gibt es aber auch über 30 Prüfaufträge – Luftbuchungen, sagen dazu
Opposition und Umweltschützer.
Der World Wildlife Found (WWF) nennt das Energiekonzept einen
Wegweiser in die klimapolitische Sackgasse. „Herausgekommen ist eine
ideologisch festgelegte und fachlich nicht gerechtfertigte Verlängerung
der Atomlaufzeiten, die mit ein paar wohlklingenden und unverbindlichen
Absichtserklärungen garniert wurde“, kritisiert Leif Miller,
Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbundes. Der Bundesverband der
deutschen Industrie (BDI) begrüßt das Energiekonzept dagegen als
richtigen Weg. „Das anspruchsvollste seiner Art weltweit“, würdigt
BDI-Präsident Hans-Peter Keitel das Konzept. Der geplante Wandel der
Energieversorgung sei „beispiellos klar in die grüne Richtung“. Die
längeren Laufzeiten sorgten für eine günstigere Stromversorgung. „Dies
ist gut für Kunden und für die Energiekonzerne, die viel Kapital
brauchen für Investitionen in erneuerbare Energien.“
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) verweist darauf, dass durch
längere Atomlaufzeiten die Vormachtstellung der Energiekonzerne gestärkt
werde. „Angesichts der bereits getätigten und der geplanten
Investitionen kommunaler Unternehmen ist dies sehr bedauerlich“, sagt
VKU-Hauptgeschäftsführer Hans-Joachim Reck. Der Präsident des
Bundesverbandes Erneuerbare Energien, Dietmar Schütz, kritisiert die
Änderungen gegenüber dem ersten Entwurf. „Zuerst wurden die vier großen
Stromkonzerne mit Milliardengeschenken bedacht, anschließend hat die
Regierung auch die vernünftigen Ansätze des Entwurfs entweder
aufgeweicht oder ganz gestrichen.“
Just am Dienstag wird ein Gutachten bekannt, das 80 Mängel am
südhessischen AKW Biblis auflistet: veraltete Kabel und Rohre, kein
Schutz gegen die Folgen von Überschwemmungen und Erdbeben und weitere
gravierende Schwachstellen. Mindestens 80 sicherheitsrelevante Defizite
habe das Darmstädter Öko-Institut im fast 35 Jahre alten Block B
gefunden, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“. Hessens Umweltministerin
Lucia Puttrich (CDU) erklärt umgehend, Biblis sei sicher. Die Opposition
im hessischen Landtag fordert, den Meiler abzuschalten. Die
Biblis-Blöcke von 1974 und 1976 gehören zu den ältesten Meilern in
Deutschland, die am Netz sind. Die vom Bundeskabinett beschlossene
Laufzeitverlängerung gibt ihnen je nach Auslastung eine Frist bis etwa
2020.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) enthielt sich bei der
Abstimmung in der Unions-Fraktion über das Energiekonzept offenbar. Er
sagt: „Ich halte die gefundene Lösung, die auch ohne eine Zustimmung des
Bundesrats realisiert werden soll, nicht für einen Geniestreich.“ Text:
DPA, DAPD, AFP
Kernpunkte aus dem Energiekonzept der Bundesregierung
• 2050 soll der Anteil der Erneuerbaren am Energieverbrauch 60
Prozent betragen. Als Zwischenschritt sollen es 2020 rund 18 Prozent
sein. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung soll bis
2050 sogar 80 Prozent betragen. Zwischenstation: 35 Prozent im Jahr
2020. • Erstmals werden Klimaziele festgeschrieben: Der
Treibhausgasausstoß soll bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent
gesenkt werden, bis 2050 um „mindestens 80 Prozent“. • Die
Offshore-Windenergie soll ausgebaut werden. Dafür werden Investitionen
in Höhe von 75 Milliarden Euro veranschlagt. Ältere Windkraftanlagen an
Land sollen durch effizientere ersetzt werden. Zusätzlich sollen die
Stromnetze ausgebaut und die Speicherkapazitäten verbessert werden. •
Anfallendes CO2 soll in unterirdischen Speichern gelagert werden. Bis
2020 sollen zwei Demonstrationsvorhaben für „Carbon Capture and Storage“
gebaut werden. • Deutsche Atomkraftwerke sollen durchschnittlich zwölf
Jahre länger am Netz bleiben als im Atomausstieg vereinbart. Die sieben
älteren Meiler bekommen acht zusätzliche Jahre Produktionszeit, die zehn
Reaktoren, die ab 1980 ans Netz gingen, 14 Jahre. • Der zusätzliche
Atommüll soll im Endlager Konrad gelagert werden. Für hochradioaktiven
Müll gibt es noch kein Endlager. Ab Oktober soll der Salzstock Gorleben
wieder erkundet werden. • Ein Teil der zusätzlichen Gewinne der
Energieunternehmen aus der Laufzeitverlängerung soll abgeschöpft werden.
Die Betreiber von Atomkraftwerken sollen sechs Jahre lang von 2011 bis
2016 jährlich 2,3 Milliarden Euro Brennelementesteuer an den Bund und
einen Teil ihrer Gewinne an einen Fonds zum Ausbau erneuerbarer Energien
zahlen – zunächst 300 und später 200 Millionen Euro pro Jahr.
• Insgesamt soll der Energieverbrauch bis 2050 im Vergleich zu 2008
um die Hälfte sinken, der Stromverbrauch soll zur Mitte des Jahrhunderts
um ein Viertel gesenkt werden, im Verkehr soll bis 2050 rund 40 Prozent
eingespart werden. • Die Bundesregierung will ab 2011 einen
Energieeffizienzfonds auflegen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen
stellte einen Fonds in Höhe von 500 Millionen Euro in Aussicht, von dem
Bürger, kleine und mittlere Unternehmen und Kommunen profitieren sollen.
Text: DAPD
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