Die Energiewirtschaft bewegt sich in langfristigen Zyklen, sagt Rainer Kübler, Chef der Stadtwerke in Bietigheim-Bissingen. Mit dem Energieprogramm und der Novelle des Atomgesetzes, die vorsieht, dass alte Reaktoren - wie etwa Neckarwestheim I - acht Jahre und neuere sogar 14 Jahre länger laufen dürfen, werde sich der Energiemarkt "drastisch verändern".
Von Jörg Palitzsch
Nach dem Beschluss für längere Laufzeiten für Atomkraftwerke sehen sich die kommunalen Versorger im Wettbewerb benachteiligt. Auch die geplante Brennelementesteuer, die dem Bund 2,3 Milliarden Euro einbringen soll, wird sich auf die Standortkommunen niederschlagen. Der Grund: Weil durch die Steuer die Gewinne der Energiekonzerne geringer ausfallen, drohen Ausfälle bei der Körperschafts- und Gewerbesteuer.
Unter klimapolitischen Gesichtspunkten sei es zwar nachvollziehbar, dass man die Laufzeiten von Atomkraftwerken neu bewerte, eine Laufzeitenverlängerung sei jedoch abzulehnen, wenn sie nicht wettbewerbsneutral ausgestaltet wird, heißt es in einem Schreiben der Stadtwerke an die Bundestagsabgeordneten. Durch die weitere Nutzung der Atomkraft werde die Kohlendioxid-Belastung nur gemindert, wenn man gleichzeitig alte und ineffiziente Kohlekraftwerke stilllegt.
Die erhofften preisdämpfenden Effekte würden bei den Verbrauchern kaum ankommen, da Atomstrom schon viele Jahre im Markt ist und die Verbraucher davon auch bisher nicht in Form von niedrigeren Preisen profitiert hätten. Vor allem aber sehen Rainer Kübler und viele seiner Geschäftsführerkollegen Nachteile für den Wettbewerb bei der Stromerzeugung, weil das Oligopol der vier großen Erzeuger so zementiert werde.
So könne man die 3,5 Millionen Euro schwere Beteiligung der Stadtwerke von Bietigheim-Bissingen am Steinkohlekraftwerk Brunsbüttel nach den jüngsten Beschlüssen zum Atomgesetz nicht mehr "losgelöst vom Gesamtszenario" betrachten. Täglich rechnet man mit der ersten Teilgenehmigung, danach müsse die Wirtschaftlichkeit des Projekts bewertet werden, ehe ein Baubeschluss erwogen werden kann, betont Kübler. Das Tübinger Unternehmen Südweststrom (SWS) plant unter Beteiligung von rund 70 Stadtwerken, darunter Bietigheim-Bissingen, an der Unterelbe den Bau eines Kraftwerkes mit einer Leistung von 1800 Megawatt.
Das Projekt ist nicht unumstritten: In einigen am Projekt beteiligten Kommunen gibt es politische Beschlüsse zum Ausstieg und Investitionsstopp.
In Bietigheim-Bissingen gibt es ebenso Kritik, die Gaspreis-Initiative vermisst grundsätzlich eine hinreichende öffentliche Diskussion über das Projekt und die Beteiligung in Brunsbüttel. Die Gründe für den Rückzug einzelner Kommunen aus dem Projekt liegen für die Kritiker auf der Hand: Kohlekraftwerke gelten mit ihrem Ausstoß von Kohlendioxid als klimaschädlich und unwirtschaftlich. Hinzu kommt: Durch die Laufzeitenverlängerung wurden die Marktchancen von neuen Kohlekraftwerke deutlich verschlechtert. Dagegen sind die Investitionen in erneuerbare Energien davon zumindest zunächst nicht betroffen, das "Gesetz für Erneuerbare Energien" (EEG) garantiert noch einen Vorrang der Einspeisung und eine feste Vergütung für den erzeugten Strom.
Rainer Kübler verweist darauf, dass es noch keine Bau-Entscheidung für das Kraftwerk in Brunsbüttel gibt. Eine Möglichkeit in Brunsbüttel auszusteigen, wäre der Verkauf der Anteile, aber ein solches Projekt sei finanziell nur zu schultern, "wenn genügend dabei bleiben". Daher habe man zum Beginn die Hürden für einen Ausstieg bewusst hoch gelegt. Auch Banken und Hersteller müssten zum Projekt stehen, wobei eines für Kübler klar ist: Gebaut wird in Brunsbüttel nur, wenn man die Kapitalkosten zurückbekomme und schwarze Zahlen geschrieben werden können.
Das Kohlekraftwerk zeigt das ganze Dilemma auf, in dem Stadtwerke stecken, die bereits in solche Projekte investiert haben. Hohe Investitionen in Kraftwerke auf neuestem technischen Stand, getätigt im Hinblick auf den Ausstieg aus der Atomenergie, werden nun durch die Laufzeitenverlängerung entwertet. Die Umverteilung von Gewinnen, wobei Stromkonzerne mit abgeschriebenen Atomanlagen täglich Millionen machen, führt dazu, dass diese Konzerne auch ausreichend Mittel haben, um im regenerativen Energie-Segment eine dominierende Rolle zu spielen. Die Folge: Das bestehende Erzeugungsoligopol wird zementiert, während Stadtwerke sich an solchen Projekten kaum beteiligen können, weil ihnen in der Regel die Mittel dafür fehlen. Von ausbleibenden Investitionen in Kraftwerkserneuerungen ganz abgesehen, weshalb das umweltpolitische Potenzial auch nicht ausgeschöpft werden kann.
Die Eckpfeiler des Energiekonzeptes, wonach Kohle und Atom zwar vorerst weiter vorrangig zur Stromgewinnung herangezogen werden, der Anteil der erneuerbaren Energie aber gleichzeitig bis 2020 auf 40 Prozent ansteigen soll, beschreibt Kübler als "ehrgeizige" Ziele.
"Die Frage lautet, welche Energiequelle wird durch die Erneuerbaren vorwiegend verdrängt?" Die Atomenergie aus abgeschriebenen Kraftwerken sei konkurrenzlos bei den Stromerzeugerkosten und durch die Laufzeitverlängerung für die nächsten 20 bis 35 Jahre "gesetzt". Ähnlich ist es bei der Braunkohle, die ebenfalls sehr billig Strom produziert, aber auch am meisten CO2 emittiert. Gas hat keinen großen Anteil im Strommarkt, sei jedoch unverzichtbar in Verbindung mit den Erneuerbaren, deren Erzeugung stark schwankt. Dies bedeutet, so Kübler, dass vor allem die Steinkohle Marktanteile abgeben wird, wenn der Anteil der erneuerbaren Energien so massiv zunimmt wie geplant.
Die gerade viel diskutierten Netzkapazitäten sieht Kübler dabei nicht als erstes Problem, sondern dass der Verbrauch nicht dem Angebot an erneuerbarem Strom folgt - schon heute müssen an Wochenenden zeitweise Anlagen gedrosselt werden.
Auch fehle es an technisch ausgereiften Speichermöglichkeiten, wenn etwa überschüssiger Strom produziert wird. Unklar sei ebenso, wer solche Anlagen überhaupt bauen und bezahlen soll. Und wenn, wie in hiesigen Gefilden nicht unüblich, die Sonne gar nicht scheint und der Wind nicht weht? Durch Verbrauchsverlagerung lässt sich nach Meinung Küblers nur ein kleiner Teil des Problems lösen. Den Menschen zuzumuten, ihre Wäsche nur zu waschen, wenn sich die Windräder drehen, sei fern jeder Lebensrealität und die finanziellen Anreize dafür zu gering.
Zwar gebe es zahlreiche bekannte Techniken, wie etwa Sonnenkraft in Wasserstoff umzuwandeln, nur entstehen dadurch hohe Verluste plus hoher Kosten. "Diese Umwandlung ist nicht für fünf Cent je kWh Mehrkosten zu machen", sagt Rainer Kübler.
So werde in der nächsten Zeit bei den Erneuerbaren, aber auch bei der E-Mobilität Ernüchterung eintreten, weil die hohen Ziele des Energieprogramms nicht leicht erreichbar seien. Jeder, der heute wie die Stadtwerke Bietigheim-Bissingen an Projekten zur Erzeugung von regenerativem Strom arbeite, sei es aus Biogas oder Holzgas, der wisse, wie schwierig und anspruchsvoll deren Umsetzung ist.
Hohe Investitionen in Kraftwerke, im Hinblick auf den Ausstieg aus der Atomenergie getätigt, werden durch die Verlängerung der Laufzeiten entwertet.