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2.02.2011, 10:30 Uhr
DUH und BUND klagen gegen Bebauungsplan für Europas größtes Steinkohlekraftwerk in Brunsbüttel
Deutsche Umwelthilfe, BUND Schleswig-Holstein und Anwohner reichen
Klageantrag gegen Bebauungsplan für Steinkohle-Doppelblock an der Elbe
ein – Plan verstößt gegen europäische und nationale Umwelt- und
Gesundheitsschutzvorgaben – Realisierung des Kohlekraftwerks energie-
und klimapolitisch unverantwortlich und baurechtlich höchst zweifelhaft –
Nach Niederlage vor Gericht drohen Schadensersatzansprüche der
Kraftwerksbauer gegen Stadt Brunsbüttel und schleswig-holsteinische
Genehmigungsbehörden
Berlin/Kiel/Brunsbüttel, 2. Februar 2011: Die Deutsche
Umwelthilfe e.V (DUH) und der Landesverband Schleswig-Holstein des Bund
für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie ein Anwohner aus
Brunsbüttel haben heute beim Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein
den Antrag auf Normenkontrolle gegen den Bebauungsplan Nr. 56
„Kohlekraftwerk an der Holstengrenze, zwischen SAVA und Kernkraftwerk“
der Stadt Brunsbüttel eingereicht. Der Bebauungsplan soll die Grundlage
für die Ansiedlung des geplanten Steinkohle-Doppelblockkraftwerks von
SüdWestStrom auf dem Gelände nördlich des Elbehafens sein. Mit dem von
dem Berliner Rechtsanwalt Peter Kremer formulierten Normenkontrollantrag
wird die planungsrechtliche Grundlage für das 1.820 MW-Kraftwerk
angegriffen. Kremer vertritt die Umweltverbände schon in dem seit Mai
2010 laufenden Normenkontrollverfahren gegen das benachbarte
Kraftwerksprojekt von GDF SUEZ.
Der aktuelle Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan für das von
einer Tochter der kommunalen Beteiligungsgesellschaft SüdWestStrom
(SWS) geplante Kraftwerk stützt sich auf ein ganzes Bündel von Fehlern
und Mängeln in dem von der Stadt Brunsbüttel kurz vor Weihnachten
beschlossenen Bebauungsplan.
„Die Stadt Brunsbüttel und die Genehmigungsbehörden in Schleswig-Holstein laufen sehenden Auges in ein Datteln II“, sagte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH), Rainer Baake, unter Hinweis auf das 2009 gerichtlich gestoppte Kohlegroßkraftwerk in Nordrhein-Westfalen.
„Wer heute noch Kohlegroßkraftwerke plant, die Atmosphäre und Umwelt
nach ihrer Inbetriebnahme über ein halbes Jahrhundert mit Millionen
Tonnen Kohlendioxid und anderen Schadstoffen belasten, muss wissen, dass
er überall auf erbitterten Widerstand von Anwohnern und Klimaschützern
stoßen wird“.
Der Landesgeschäftsführer des BUND Schleswig-Holstein, Hans-Jörg Lüth,
erinnerte daran, dass sich der französische Energiekonzern GDF SUEZ
kurz vor Weihnachten 2010 von eigenen Plänen für ein Kohlekraftwerk
neben dem SWS-Standort wegen exakt der gleichen rechtlichen
Unsicherheiten zurückgezogen habe, die nun auch das SWS-Kraftwerk
bedrohten. Bisher wolle die SWS-Betreibergesellschaft – je zur Hälfte
eine Tochter des Schweizer Energieversorgers Repower AG und deutscher
Stadtwerke – ein deutlich höheres Risiko eingehen. Insgesamt sei das
Kraftwerksprojekt aus Naturschutzgründen, aber auch energie- und
klimapolitisch unverantwortlich, erklärte Lüth: „Mehr als die Hälfte
der eingesetzten Energie geht ungenutzt in die Elbe und belastet dort
das Ökosystem. Stattdessen könnten zehntausende Haushalte in der Region
mit der anfallenden Wärme versorgt werden“. Wer heute noch
Kohlekraftwerke baue, behindere und verzögere über Jahrzehnte die
letztlich unausweichliche Energiewende hin zu einer 100%igen Versorgung
mit Erneuerbaren Energien.
Die Bürgerinitiative Gesundheit und Klimaschutz
Unterelbe/Brunsbüttel, die sich seit Jahren vor Ort gegen die
Kraftwerksplanung engagiert, begrüßte den Klageantrag ausdrücklich.
„Der von der SWS zur Schau gestellte Optimismus ist für die
Bürgerinitiative nicht nachvollziehbar. Schon vor der
Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke gab es massive Zweifel an der
wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Monsterkraftwerks. Inzwischen laufen
dem Stadtwerkekonsortium reihenweise die Gesellschafter davon. Die
verbliebenen Stadtwerke sollten froh sein, wenn die Kraftwerksgegner sie
vor einem finanziellen Desaster bewahren.“ erklärte BI-Sprecher Stephan Klose.
Im Einzelnen stützt sich der am heutigen Mittwoch eingereichte Normenkontrollantrag auf folgende Sachverhalte:
Nach Überzeugung der Kläger würden mit der Inbetriebnahme des
Großkraftwerks die zulässigen Feinstaub-Grenzwerte überschritten. Bei
Feinstaub handelt es sich nach Auffassung von Gesundheitsforschern um
das derzeit schwerwiegendste Luftreinhalteproblem in Deutschland. Die
Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass hierzulande
insgesamt jährlich 75.000 Menschen vorzeitig an der Feinstaubbelastung
sterben. Betroffen sind insbesondere Kinder und ältere Menschen.
Die Stadt Brunsbüttel hat es versäumt, Konsequenzen aus dem
„Datteln-Urteil“ zu ziehen. In der Entscheidung des OVG Münster vom
September 2009 zu dem E.ON-Kraftwerk, mit dem der entsprechende
Bebauungsplan in Nordrhein-Westfalen aufgehoben wurde, wird unter
anderem auf das unzulässige Nebeneinander des Kraftwerksneubaus und
naher Wohnbebauung abgestellt. Nach Ansicht der Kläger wird auch in
Brunsbüttel der Mindestabstand von 1.500 Metern nicht eingehalten.
Vor allem aber werden bei dem SWS-Kraftwerksprojekt in Brunsbüttel
europarechtlich geschützte Tier- und Pflanzenarten in Schutzgebieten
unzulässig beeinträchtigt. Der Betrieb des Kraftwerks bedrohe seltene
und vom Aussterben bedrohte Fischarten, aber auch Speisefische wie Aal
und Stint, die die Existenz der verbliebenen Elbfischer sichern.
Naturschutzrechtlich besonders relevant sind nach Überzeugung der
Kläger die Auswirkungen auf eine seltene Fischart, den Schnäpel
(Coregonus oxyrhynchus). DUH und BUND haben gemeinsam mit den
Elbfischern nachgewiesen, dass sich dieser Fisch in der Elbe wieder
angesiedelt hat, nachdem er lange Zeit in Deutschland als ausgestorben
galt. Die Landesbehörden haben mittlerweile eingestanden, dass sie das
Gegenteil nicht beweisen können. Der Schnäpel ist in die höchste
europarechtliche Schutzkategorie (prioritäre Art nach der
FFH-Richtlinie) eingestuft. Schon eine mögliche Beeinträchtigung des
Schnäpels steht demnach der Genehmigungsfähigkeit des Kraftwerks und
damit auch des Bebauungsplans entgegen. Darüber hinaus habe die Stadt
Brunsbüttel versäumt, die EU-Kommission vorab zu beteiligen. Dies wäre
schon wegen der gefährdeten Fischart rechtlich zwingend gewesen.
Zudem gibt eine aktuelle EU-Richtlinie für Fische, Muscheln und
andere Tiere Quecksilber-Grenzwerte vor, die in der Elbe schon heute um
ein Vielfaches überschritten werden. Die Verbände haben mit einem
ausführlichen Rechtsgutachten nachgewiesen, dass diese Grenzwerte
einzuhalten sind und jedenfalls kein zusätzliches Quecksilber in die
Elbe eingetragen werden darf. Jeglicher zusätzliche Schwermetalleintrag
in die Elbe verstoße deshalb gegen europäisches Recht.
Außerdem gehen die Kläger davon aus, dass die mit dem
Kraftwerksbetrieb unvermeidlichen erhöhten Stickstoffbelastungen in
benachbarten FFH-Gebieten empfindliche Pflanzen zerstören würden. Auch
diese Pflanzengesellschaften stehen unter dem Schutz des
EU-Naturschutzrechts, ebenso wie seltene Zugvögel und Fledermäuse, die
mit dem Bau des Kraftwerks massiv beeinträchtigt würden. Die zahlreichen
in dem Normenkontrollantrag formulierten Beeinträchtigungen von Flora
und Fauna machten den Kraftwerksbau von vornherein rechtlich unzulässig.
DUH und BUND rechnen mit einer Verfahrensdauer von etwa einem Jahr.
Sollte das Oberverwaltungsgericht in Schleswig der Argumentation der
Kläger folgen, würde die planungsrechtliche Grundlage für das beantragte
Kohlekraftwerk entfallen. Falls für das Kohlekraftwerk dennoch vor der
Entscheidung über den Normenkontrollantrag erste Genehmigungen erteilt
würden, müssten diese nachträglich aufgehoben werden. Deshalb gingen die
Stadt Brunsbüttel und die zuständigen Genehmigungsbehörden in
Schleswig-Holstein ein erhebliches Haftungsrisiko ein, wenn auf der
Grundlage letztlich rechtswidriger Beschlüsse und Genehmigungen mit dem
Kraftwerksbau begonnen werde. Bereits im Vorfeld des Beschlusses über
den Bebauungsplan hatten die Kraftwerksgegner die Stadt in einem
Rechtsgutachten auf dieses Risiko hingewiesen. Sie hielt bisher trotzdem
an der Planung fest.