WZ vom 30.06.2012:
CCS – Pipelines mitten durchs Land
Neues Gesetz erlaubt Ländern Verbot von Speichern – aber nicht von Leitungen
Kiel/Berlin /bg
Durch Schleswig-Holstein könnten in Zukunft womöglich Pipelines zum Transport des Treibhausgases CO2
in Lagerstätten unter der Nordsee führen. Das ergibt sich aus dem
Gesetz zur unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid (CCS), das
gestern im Bundesrat endgültig beschlossen wurde – gegen die Stimmen
Schleswig-Holsteins und sechs weiterer SPD- oder grün geführter Länder.
Zwar erlaubt das Gesetz den Ländern künftig, die umstrittenen
Speicher auf ihrem Gebiet unter gewissen Voraussetzungen zu verbieten.
Schleswig-Holsteins Energieminister Robert
Habeck hat schon angekündigt, ein entsprechendes Gesetz nach der
Sommerpause vorlegen zu wollen. Doch kann der Grünen-Politiker damit weder verhindern, dass vor Schleswig-Holsteins Nordseeküste außerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone Lagerstätten eingerichtet werden, noch dass Pipelines durchs Land gebaut werden.
Im Gegenteil: Der Bund hat den Ländern als Gegenleistung für die Vetomöglichkeit gegen CO2-Speicher eine Abkehr von deren skeptischer Haltung gegenüber einem europaweiten CO2-Leitungsnetz
abgerungen: „Die Bundesregierung nimmt positiv zur Kenntnis, dass die
Länder den Aufbau einer transeuropäischen Infrastruktur für den sicheren
Transport von Kohlendioxid in Rohrleitungen begrüßen“, heißt es in
einer Protokollerklärung zum Bundesratsbeschluss. 20 000 Kilometer CO2-Pipelines sollen laut Empfehlung einer EU-Studie in den nächsten vier Jahrzehnten in Europa entstehen – auch in Schleswig-Holstein.
Zwar verkündete die Kieler Finanzministerin Monika Heinold gestern als Vertreterin Schleswig-Holsteins in der Länderkammer: „CO2-Leitungen durch unser Land sind unerwünscht, da sie darauf abzielen, in anderen Ländern oder unter der Nordsee CO2
zu verpressen.“ Doch Habecks Staatssekretärin Ingrid Nestle räumte
gegenüber unserer Zeitung ein, dass das neue Gesetz „keine Handhabe“
biete, Pipelines zu verhindern. „Wir würden jedoch alle anderen Hebel
dagegen in Bewegung setzen, falls es einen Interessenten gäbe.“ Das sei
aber nicht der Fall.
Allerdings könnte sich das bald ändern: So hat EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) kürzlich dafür plädiert, angesichts der Proteste gegen CO2-Depots
an Land Lagerstätten unter dem Meer einzurichten: „Die Lagerung unter
der Nordsee ist eine Option für Deutschland“, sagte er. Denn unter der
Nordsee befinden sich große geeignete Gebiete. Das Kieler Geomar-Institut
für Meereswissenschaften untersucht derzeit in bereits bestehenden
Speichern vor Norwegen, ob ein Lagern unter dem Meer gefahrlos möglich
ist.
Leserbrief:
Der Wahnsinn siegt
Zu: „Einigung auf CCS-Gesetz – mit aufgeweichter Länderklausel“ (Ausgabe vom 28. Juni)
Gegen den Rat
vieler nationaler und internationaler Sachverständiger und gegen den
Willen eines großen Teils der Bevölkerung werden wir Schleswig-Holsteiner
nun per Gesetz zu Versuchskaninchen gemacht! Es ist einfach
unverantwortlich und illusorisch zu glauben, dass, sollte CO2
außerhalb der 12-Meilenzone unter dem Meer endgelagert werden, dies
kurz oder lang keine Auswirkungen auf uns Menschen und unsere Natur
haben wird. Die neue Landesregierung kann vielleicht die Verpressung von
CO2 unter Schleswig-Holsteins
Boden verhindern, sicher aber ist das in keinem Fall, muss doch nun in
jedem einzelnen Fall begründet werden, warum eine Endlagerung des Giftes
in Stadum, unter Sylt oder anderswo ausgeschlossen wird!
Es ist menschenverachtend und zynisch zu glauben, mit der CCS-Technologie
einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Wieder einmal sind
Politiker nicht in der Lage gewesen, dem Druck der Lobbyisten
standzuhalten. Dieses Gesetz ist ein Komplott gegen die Menschen, gegen
das Leben, eine Verhöhnung der Demokratie, eine Verhöhnung von Logik und
Vernunft. Wulf Titz, Schafflund