WZ vom 01.12.2012:
Erfolgsmodelle statt Verzichtsdebatten
Der Kieler Wissenschaftler Mojib Latif und
Umweltminister Robert Habeck diskutieren über den Gipfel von Doha und
die Folgen des Klimawandels für Schleswig-Holstein
Herr Professor Latif, Sie haben
Klimaschutzgipfel in früheren Äußerungen als „erwiesenermaßen
ungeeignetes Instrument beschrieben, um Lösungen zu entwickeln“. Heißt
das, dass Sie von der laufenden Konferenz in Doha rein gar nichts
erwarten?
Latif: Das kann man so sagen. Wir
stecken bei den internationalen Verhandlungen in einer Sackgasse. Das
ist jetzt die 18. Veranstaltung ihrer Art seit 20 Jahren. Seitdem ist
der weltweite Ausstoß von Kohlendioxid um über 30 Prozent gestiegen.
Insofern klaffen Anspruch und Wirklichkeit ziemlich weit auseinander.
Ich habe mir deshalb überlegt, was man stattdessen tun sollte: Wir
müssen Erfolgsmodelle entwickeln. Die können kleiner oder auch großer
Art sein, wichtig ist vor allem, dass sie die Chancen einer Kehrtwende
in den Vordergrund stellen und uns von einer Verzichtsdebatte
wegbringen. Denn nichts anderes sind Klimakonferenzen.
Herr Habeck, gibt es für Sie ein Minimum, ab dem Doha für Sie kein völliger Fehlschlag ist?
Habeck: Man muss ja fast schon dankbar
sein, wenn sich die Diplomaten und Minister dort auf
Absichtserklärungen verständigen, auch wenn sie vielleicht noch nicht
jetzt, sondern ab 2015 greifen. Das müsste dann auf jeden Fall die USA,
China und Indien einschließen. Ich weigere mich aber, die Erwartung mit
jedem weiteren Gipfel immer weiter nach unten zu schrauben und schon als
Erfolg zu verkaufen, dass man sich wieder neu verabredet.
Herr Habeck, ist es für Sie realistisch, im Zusammenhang mit Klimaschutz von Verzichtsdebatten loszukommen?
Habeck: Ich würde nicht so weit gehen
wie Herr Latif und sagen, dem Klimawandel könne man nur durch die
Verheißung von Erfolg begegnen. Klimaschutzpolitik heißt für mich nicht,
dass alle nur noch in Jute herumlaufen und dass es keinen Wohlstand
mehr gibt. Klimaschutz bedeutet zwar eine gewisse Form von ökologischer
Umverteilung gemessen am Status Quo für einige – aber der Verzicht kann
für viele mehr Lebensqualität und neue Wertschöpfungsketten bedeuten.
Wenn wir weniger Benzin verbrennen, werden Öl- und bestimmte Autofirmen
Einbußen haben, andere Industriezweige jedoch Zugewinne.
Entmutigt Sie für diese Debatte nicht die
Erfahrung, die Sie dieser Tage in Sachen Energiewende machen? Jetzt, wo
allmählich konkret wird, was diese den Verbraucher kostet, lässt die
gesamtgesellschaftliche Euphorie, wie sie nach Fukushima spürbar war,
deutlich nach.
Habeck: Sicherheitsfragen,
Endlagerkosten, Umweltverschmutzung, Polizeitransporte für Atommüll
tauchen nicht auf der Stromrechnung auf, werden aber über die Steuer von
jedem einzelnen bezahlt. Die ganzen Kosten, die wir jetzt durch den
Klimawandel zu bewältigen haben – Erhöhung der Deiche, Anpassung der
Landwirtschaft, Versicherungsschäden durch Unwetter, Todesfälle durch
Hitzewellen – werden auch nirgendwo auf der Stromrechnung vermerkt. Bei
der Energiewende werden die Kosten zum ersten Mal transparent. Das ist
ehrlich. Dazu gehört auch, zu sagen: Die Kosten steigen, aber ohne
Energiewende würden sie noch stärker steigen, weil wir von den fossilen,
teurer werdenden Energien abhängig sind. Wenn wir den Mut zur
Ehrlichkeit haben, ist mir vor der Kostendebatte nicht bange.
Latif: Bei der Debatte über das Erneuerbare-Energien-Gesetz
flammt immer die Forderung auf, die Regenerativen müssten sich ohne
Subvention am Markt durchsetzen. Keine andere Energieform aber hat das
jemals getan, ganz egal, ob Kohle- oder Atomindustrie. Nur wenn es um
saubere Energie geht – da wird sofort über Subvention geredet.
Sie treten für eine Kehrtwende weg von der
Verzichtsdebatte hin zu Erfolgsmodellen ein. Wie definieren Sie solche
Modelle in der Praxis?
Latif: Das, was sich Deutschland nach
Fukushima vorgenommen hat, hat das Zeug zum Erfolgsmodell. Wenn die
Energiewende in einem Industrieland ohne allzugroße Verwerfungen
gelingt, kann die Bundesrepublik als klimaschonendes Erfolgsmodell in
den Rest der Welt ausstrahlen. Wir können es aber parallel im Kleinen
machen, mit innovativen Produkten, mit energieeffizienten
Nutzungsmethoden. Das sichert Arbeitsplätze und bezahlbare Energie, auch
wenn die Ressourcen knapper werden – und damit langfristig auch unseren
Wohlstand.
Lässt sich ein Erfolgsmodell auch auf Bundesland-Ebene, namentlich in Schleswig-Holstein schaffen?
Habeck: Eindeutig ja, auch wenn wir hier nicht das Weltklima retten. Aber gerade Schleswig-Holstein
kommt eine besondere Rolle zu. Dass sehr viele Bundesländer zu uns
gucken, ist mir in den ersten Monaten meiner Amtszeit immer deutlicher
bewusst geworden. Die Onshore-Windenergie ist
die Paradeform der neuen Energien, bei uns vor der Haustür wird sie so
günstig produziert wir nirgendwo sonst. Wenn es uns hier gelingt,
Akzeptanz in Bezug auf die Energie-Infrastruktur, auch für die Netze, herzustellen, wird Schleswig-Holstein
auf Deutschland ausstrahlen. Und auf Deutschland ist Europa angewiesen.
Klimaschutz heißt aber nicht nur Energiewende. Der Koalitionsvertrag in
Schleswig-Holstein wimmelt von Ansätzen, um sich als Vorreiter für den Klimaschutz zu profilieren.
Zum Beispiel kündigt der Koalitionsvertrag ein Klimaschutzgesetz für Schleswig-Holstein an. Das ist seit Regierungsantritt aber noch nicht wieder in der Landespolitik aufgetaucht.
Habeck: Das liegt mit daran, dass durch die Energiewende derzeit andere Aufgaben im Vordergrund stehen.
Aber wenn es kommt, worum geht es?
Habeck: Es ist ein Instrument, das es auf Bundesebene noch nicht gibt. Es geht darum, im Land verbindliche Einsparziele für CO2
vorzuschreiben. Das Ziel muss dann auf einzelne Bereiche
heruntergebrochen werden, etwa auf den Verkehrssektor oder die
Gebäudesanierung. Ein paar Daten müssen dafür noch erhoben werden. Man
kann es sich so ähnlich wie das Naturschutzgesetz vorstellen, dessen
Regelungen ja auch verschiedene Bereiche betreffen. Und wir müssen
aufpassen, dass wir damit nicht funktionierende Selbstverpflichtungen
kaputtmachen. Etwa den Klimapakt, in dem sich die großen Verbände der
Wohnungsunternehmen auf Einsparziele verständigt haben.
In wieweit entscheidet sich in Doha auch das Schicksal Schleswig-Holsteins? Die tiefliegenden Halligen haben nur wir...
Latif: Darüber, dass der
Meeresspiegelanstieg die Westküste unseres Landes in besonderer Weise
bedroht, brauchen wir hier wohl nicht zu reden, das weiß ja jeder. Schon
eher übersehen wird, dass auch Schleswig-Holstein
wettermäßig durch mehr Starkregen und Dürreperioden im Zuge des
Klimawandels betroffen sein wird. Wir werden auch mehr kleinräumige
Stürme und Gewitter haben bis hin zu lokalen Tornados. Ein Problem
gerade für Schleswig-Holstein, an das kaum jemand denkt, ist die Versauerung des Meeres. Je mehr CO2
in die Atmosphäre gepustet wird, desto mehr nehmen auch die Meere auf.
Es ist ein unabwendbarer chemischer Prozess, dass Wasser und CO2
Kohlensäure ergibt. Übrigens umso mehr, je kühler das Wasser ist.
Kohlensäure aber schränkt Organismen, die Kalkschalen oder Kalkskelette
ausbilden, dabei erheblich ein. Es geht unter anderem um Kalkalgen, die
man mit dem bloßen Auge gar nicht sieht, es geht um Muscheln und kleine
Krebse. Da sie weit am Anfang der Nahrungskette stehen, wird das für
viele Lebewesen im Meer Folgen haben, auch für die Fischbestände.
Herr Habeck, Sie haben die Konferenz in Doha zum Anlass genommen, in dieser Woche verschiedene Klimaschutzprojekte in Schleswig-Holstein
zu besuchen. In welcher Hinsicht ist es Ihnen gelungen, dabei auf das
Bedrohungspotenzial für unser Land durch den Klimawandel aufmerksam zu
machen?
Habeck: Klimastrategien im Land sind
weit mehr als der Generalplan Küstenschutz, der die Deicherhöhung über
100 Jahre dem Anstieg des Meeresspiegels um anderthalb Meter anpasst.
Ein 1,50 Meter höherer Meeresspiegel entspräche einer Erderwärmung von
maximal vier Grad. Behüte uns Gott, dass es so weit kommt. Aber es gibt
eine Menge anderer Aspekte. Der Wald ist nicht nur Senke und Speicher
von CO2. Wir müssen – Herr Latif sprach es
an – mit höheren Sturmschäden rechnen und auch mit höherem
Schädlingsbefall durch den Klimawandel. Der Wald ist umso verwundbarer,
je höher der Nadelbaumanteil ist. Deshalb treiben wir den Umbau zu
Mischwäldern voran. Moore binden außerordentlich viele Treibhausgase.
Sie wiederzuvernässen, ist ein Landesprojekt. Auf der anderen Seite:
Weite Teile des Landes, die Niederungen, werden entwässert. Wenn der
Meeresspiegel steigt, wird man permanent pumpen müssen. Siel- und
Deichverbände werden dadurch vor enormen Herausforderungen stehen.
Obwohl sich dies alles abzeichnet, ist mein Eindruck aus der
internationalen Diskussion: Die Mühen, sich dem Klimawandel anzupassen,
werden im Allgemeinen weit weniger gescheut als Maßnahmen gegen den
Klimawandel.
Wenn Sie als jetzt zuständiger Minister den Deichbau vorantreiben, betreiben Sie auch Anpassung.
Habeck: Genau. Und ich habe mich oft
gefragt: Ist es zynisch, wenn du dich der Frage der Anpassung auch
stellst, weil du den Klimawandel doch eigentlich verhindern willst? Ich
beantworte das für mich so: Die Anstrengungen, sich dem Klimawandel
anzupassen, sind so enorm, dass es doch besser ist, ihn aufzuhalten. Es
ist viel teurer, ihn zu bewältigen als ihn aufzuhalten.
Ob Doha oder anderswo: Krankt
Klimaschutzpolitik nicht vor allem daran, dass die bedrohlichen Folgen
noch nicht im Hier und Jetzt spürbar sind? Ist das nicht die Erklärung,
weshalb Klimaschutz scheitert?
Latif: In der Tat, wir haben eine räumliche und eine zeitliche Entkopplung...
Habeck: Es kommt noch etwas hinzu: die
Dimension. Es gibt Probleme, die einfach zu groß scheinen, als dass der
einzelne sie sich noch vorstellen möchte. Klimawandel gehört dazu. Und
das macht es brutal schwierig, Klimaschutzpolitik zu gestalten.
Wie kann ein Grünen-Politiker trotz dieser Entkopplung von der Notwendigkeit überzeugen?
Habeck: Das einfachste wäre, über
Angstmache zu argumentieren. Aber das verbietet sich selbstverständlich,
weil es an bestimmten Stellen billig, gar demagogisch wird. Argumente
müssen über Vernunft funktionieren. Ein solches Argument ist: Gerade
derjenige, der aus der Trägheit der Masse ausschert, wird Profiteur.
Entwickelt neue Produkte und werdet damit Marktführer! Oder bezogen auf
den politischen Dialog: Traut euch die abweichende Meinung zu. Politik
ist nicht allein dazu da, Mehrheiten auszufüllen, sie muss auch
Mehrheiten herstellen wollen.
Latif: Wir müssen schon unterscheiden
zwischen Ursache und Anlass. Die Ursache für den Atomausstieg in
Deutschland ist nicht Fukushima. Sie liegt viel tiefer. Das Feld war
vorbereitet. Der Grund liegt darin, dass es in Deutschland seit
Jahrzehnten ein atomkritisches Bewusstsein gibt. Mit dem entsprechenden
Bewusstsein in der Zivilbevölkerung werden auch unmöglich erscheinende
Dinge möglich. Andere Beispiele dafür sind der Käuferboykott in den USA,
der im Angesicht des Ozonlochs zum FCKW-Verbot geführt hat, oder der Straßenprotest, der die Wiedervereinigung gebracht hat.
Dann ist die Frage doch: Wie bekomme ich eine Bürgerbewegung für den Klimaschutz hin?
Latif: durch Kontinuität. Wir dürfen
nicht wackeln, die Menschen brauchen Orientierung. Es gibt dann immer
wieder Anlässe, bei denen die Dinge in Bewegung kommen.
Bei aller grundsätzlichen Einigkeit hier am
Tisch: Macht es den Politiker wahnsinnig, dass der Wissenschaftler zwar
sagen kann: Ihr müsst die Deiche erhöhen – aber nicht, um wieviel?
Latif: Die Debatte darüber, in welcher
Dimension der Klimawandel denn nun tatsächlich zuschlagen wird, ist
absurd, weil es unserer täglichen Lebenspraxis widerspricht. Wenn die
Chance, überfahren zu werden, 50:50 steht, gehen wir doch auch nicht
über eine stark frequentierte Straße. Es gilt also das Vorsorgeprinzip.
Warum müssen eigentlich nicht diejenigen, die die Atmosphäre verpesten,
nachweisen, dass dies unschädlich ist? Warum muss ich zu einhundert
Prozent nachweisen, dass etwas schädlich ist? Die Diskussion ist auf den
Kopf gestellt.
Habeck: Ich finde den Grad an
Unwissenheit beim Klimawandel vergleichsweise gering im Verhältnis zu
Entscheidungen, die sonst in der Politik getroffen werden. In den
Wahnsinn treibt mich nicht, ob es zwei oder drei Grad Erderwärmung sind –
das Handlungsziel ist doch trotzdem klar wie Kloßbrühe. In den Wahnsinn
treibt mich, dass wir trotz der Erkenntnisse so viel Unbeweglichkeit in
der Politik und der Gesellschaft erleben.
Was tun Sie persönlich für den Klimaschutz?
Latif: Meine CO2-Bilanz
ist katastrophal, weil ich so viel unterwegs bin, das sollen die Leser
ruhig wissen. Aber ich habe mein persönliches Tempolimit. Ich fahre auf
der Autobahn nicht schneller als 100 Stundenkilometer.
Habeck: Ich glaube, meine berufliche CO2-Bilanz
ist noch schlechter. Ich bin noch nie so viel Auto gefahren wie in
meiner Zeit als Umweltminister. Es aber nicht zu tun, würde bedeuten,
dass ich ein Minister bin, der nicht kennt, worüber er entscheidet.
Latif: Ich wünsche mir ein anderes
Schlusswort. Ich möchte Albert Einstein zitieren: „Wir können die
Probleme der heutigen Zeit nicht mit derselben Denkart, lösen, die jene
Probleme hervorgebracht hat.“ Wir müssen also die Mauern in unseren
Köpfen einreißen. Klimawandel muss sein – im übertragenen Sinne.
Habeck: politischer Klimawandel.
Interview: Frank Jung