Der Ohne-Michel
Gegen neue Stromleitungen und Windräder: Horst Seehofer stellt die Energiewende in Frage
Henning Baethge
Es geht voran: Gestern haben die Netzbetreiber ihren Vorschlag für den Verlauf der großen Nord-Süd-Leitung vorgestellt, die Windstrom von Schleswig-Holstein
nach Bayern bringen soll. Wenn bis 2022 alle deutschen Kernkraftwerke
stillgelegt werden, kann so die Versorgung Süddeutschlands mit
erneuerbarer Energie sichergestellt werden. Dort stehen sechs der neun
noch abzuschaltenden Atommeiler.
Tatsächlich geht es aber doch nicht voran. Denn plötzlich legt sich
einer quer und sagt: Ohne mich. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer
will auf einmal keine neuen Leitungen mehr. Vor allem eine geplante
Trasse aus Sachsen-Anhalt stört ihn und viele Bürger. Daher will der CSU-Chef sehr zum Unmut von seinem schleswig-holsteinischen
Amtskollegen Torsten Albig die neuen Stromleitungen erst mal nicht mehr
weiterplanen – jedenfalls so lange nicht, bis Bundeswirtschaftsminister
Sigmar Gabriel seine endgültigen Reformpläne für die Energiewende
vorgelegt hat.
Dabei ist unabhängig von Gabriels Plänen klar, dass gerade das
wirtschaftsstarke Bayern nach der Energiewende mehr Ökostrom braucht.
Und da Seehofer Windräder im eigenen Land auch nur in weiter Ferne sehen
mag, wird der Freistaat auf Stromexporte und damit auf Leitungen aus
dem Norden angewiesen sein – deren Bau Seehofer im Bundesrat übrigens
zugestimmt hat.
Dass der Bayer davon nun nichts mehr wissen will und anders als Albig
und dessen grüner Energieminister Robert Habeck den Weg des geringsten
Widerstands in seinem Land einschlägt, kann zwei Gründe haben. Entweder
will der Ohne-Michel Seehofer nur für seine CSU
ein möglichst gutes Ergebnis bei den bayrischen Kommunalwahlen im März
herausholen. Dann wirft sein Widerstand die Energiewende wohl nur um
einige Wochen zurück. Oder aber er will ernsthaft den Atomausstieg in
Frage stellen und die vier bayrischen Kernkraftwerke weiterlaufen
lassen. Dann wäre die Energiewende gescheitert.