Das Atomkraftwerk ist abgeschaltet - wohl für immer. Kohle und Wind
sollen es jetzt an der Unterelbe bringen: Brunsbüttel positioniert sich
als Energiestandort. Aber noch rollt kein Bagger fürs Kohlekraftwerk,
und ein Offshore-Windhafen ist nicht gesetzt.
Wenn Frank Schnabel aus dem Fenster blickt, sieht er Schafe auf dem
Deich grasen; die Wellen der Unterelbe schwappen ans Ufer. Auf der
anderen Seite blickt er auf seinen Hafen. Kräne stehen da, Kiesberge
türmen sich auf, und dazwischen liegt die Zukunft: 15 weiße Flügel für
einen Windpark in der Nordsee, 60 Meter lang, zwei Mann hoch. Wenn es
nach dem Hafen-Geschäftsführer geht, sollen in Brunsbüttel bald solche
Flügel, Turmsegmente, Fundamente und vielleicht sogar Getriebe für große
Offshore-Windräder gebaut und von hier aus verschifft werden.
Brunsbüttel als Offshore-Windhafen ist Schnabels Ziel. „Offshore ist für
mich gesetzt.“
Brunsbüttel, Industriestadt mit rund 13 400
Einwohnern und Schleswig-Holsteins ältester Atomstandort, positioniert
sich spätestens seit der Energiewende in Bund und Land neu. Das
störanfällige Kernkraftwerk liefert seit bald vier Jahren keinen Strom
mehr. Nach dem Willen der schwarz-gelben Landesregierung in Kiel soll es
das auch nie wieder tun. Die Stadt müsse sich auf jeden Fall neu
orientieren, sagt der neue Bürgermeister Stefan Mohrdieck. Im Energiemix
sieht er die Zukunft. Kohle und Wind sollen Geld, Strom und
Arbeitsplätze bringen.
Der Hafen - sechstgrößter in
Norddeutschland - spielt dabei eine entscheidende Rolle. Seit gut einem
Jahr schlägt er Komponenten für Offshore-Windräder um; auch eine
Plattform für einen Windpark wurde hier ausgerüstet. Das Wasser ist tief
genug, und strategisch liegt der komplett privatisierte Hafen günstig:
Die Ostsee ist über den Nord-Ostsee-Kanal (NOK) zu erreichen, die
Nordsee über die Elbe. Außerdem breiten sich bis zu 450 Hektar freie
Fläche im Industriegebiet aus, die sich aus Sicht des Hafenchefs
Schnabel für die Fertigung von Windrad-Komponenten eignen. „Wir haben
Platz, und zwar kainah.“
Als Basishafen braucht Brunsbüttel aber
eine schwerlastfähige Pier. Ihr Bau wird auf 50 bis 60 Millionen Euro
geschätzt; wer es zahlt, was das Land fördert und ob sie tatsächlich in
Brunsbüttel entsteht, ist nicht ausgemacht. „Brunsbüttel gehört
zweifellos zu den heißen Favoriten. Aber das Rennen ist offen“, sagt der
Kieler Wirtschaftsminister Jost de Jager (CDU). Auch Hörnum auf Sylt
und Büsum kämen infrage. Nach Ansicht der Wirtschaftsförderungsagentur
Windcomm Schleswig-Holstein kommen die aber nicht infrage, weil sie zu
flach und zu klein sind.
Die größte Konkurrenz liegt ohnehin
weiter weg, aber bei klarem Himmel kann Schnabel sie von seinem Fenster
aus sehen. Das niedersächsische Cuxhaven taucht dann am Horizont auf.
Auch Bremerhaven ist im Wettbewerb. Für die ersten Offshore-Projekte
haben sie das Rennen gemacht. „Wir sind hier in Brunsbüttel relativ spät
gestartet“, sagt Schnabel.
Um sich gegen die Konkurrenz zu
behaupten, treten mehrere Hafenstandorte Schleswig-Holsteins gemeinsam
auf. Helgoland und Hörnum sollen dem gemeinsamen Konzept zufolge
Servicehäfen werden, Büsum für die Versorgung zuständig sein;
Osterrönfeld am NOK wird eingebunden - und Brunsbüttel wäre eben der
Basishafen für Großkomponenten. 500 Arbeitsplätze könnten so in
Brunsbüttel entstehen, schätzt Martin Schmidt von der Windcomm. Die Zeit
drängt aber. Bis 2015 müsste die Offshore-Pier am Start sein, sonst
dürften Aufträge aus Europa schon „abgefrühstückt“ sein. Bis 2020 sind
sieben Windparks allein vor Schleswig-Holsteins Westküste genehmigt.
Wie
die Landesregierung setzt Brunsbüttel neben Windenergie auf Steinkohle.
„Ich bin eigentlich kein Freund von Kohlekraft“, sagt der neue
Bürgermeister Stefan Mohrdieck. Aber: „Wenn ich in so einer
strukturschwachen Region lebe, muss ich Arbeitsplätze schaffen.“ In
Hafennähe soll Deutschland größtes Steinkohlekraftwerk entstehen -
eigentlich. Das Stadtwerkekonsortium Südweststrom (SWS) hat zwar die
Teilerrichtungsgenehmigung bekommen, doch der Investor wartet ab.
Nicht
nur, dass es Widerstand und Klagen von Anwohnern und Umweltverbänden
gibt - aus Sorge um die Fische und vor Kohlestaub, der Menschen und
möglicherweise auch der Produktion von Windrad-Komponenten schaden
könnte. Vor allem die Unklarheit über den Energiekurs der schwarz-gelben
Bundesregierung lässt SWS zögern. Die Frage ist schlicht, ob sich das
mit zwei Blöcken mit einer Gesamtleistung von 1740 Megawatt geplante
Kraftwerk rechnet. Es gebe keinen Zeitplan, sagt SWS-Sprecher Alexander
Raithel. Und auch der Bau nur eines Block scheint denkbar. Schon ein
anderer Investor ist von Plänen, ein Kohlekraftwerk in Brunsbüttel zu
bauen, abgerückt.
Rund 200 Jobs könnte das Kohlekraftwerk der
regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaft Egeb zufolge bringen, auch
der Hafen würde profitieren. Für die Fabriken im Industriegebiet,
darunter Shell, Sasol und Bayer, die Rohstoffe und Strom verschlingen
und Mineralöle, Bitumen, Tonerden, Lacke und Farben herausbringen, wäre
eine sicherere Energieversorgung direkt vor der Haustür sinnvoll, meint
der Wirtschaftsförderer Jens Wrede. Doch letztlich sei es für die Firmen
nicht relevant, woher der Strom komme. „Wichtig ist, dass er
verlässlich vom Preis und von der Versorgung ist.“
http://www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Wirtschaft/Regionale-Wirtschaft/Brunsbuettel-nach-der-Atomwende