Claudia
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Erstellt: 27.03.09, 23:21 Betreff: Merkels Klimaberater setzt auf Obama. Nürnberger Nachrichten vom 27.03.2009
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Merkels Klimaberater setzt auf Obama |
Professor Schellnhuber hofft auf eine neue Sichtweise und die Technik | Merkels Klimaberater setzt auf Obama | ![](http://images.nordbayern.de/bilder/1/1/1/20090327_schellnhuber_thumb.jpg) | Bitte Bild anklicken! |
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Der Chef-Klimaberater der Bundesregierung, Prof. Hans Joachim Schellnhuber, setzt große Hoffnungen in die Politik des US-Präsidenten Barack Obama aber auch in eine mögliche technische Revolution. Angesichts neuer Studiendaten fordert der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zugleich deutliche Zeichen der Industrieländer bei den kommenden Verhandlungen in Bonn. Dort beginnt am Sonntag die letzte Runde der Vorbereitungstreffen zur UN-Klimakonferenz in Kopenhagen Ende Dezember, wo ein neues weltweites Klimaabkommen entstehen soll.
Inwieweit übertreffen die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Vorkonferenz in Kopenhagen Anfang März die Aussagen des jüngsten Weltklimareports von 2007?
Schellnhuber: Die meisten Klimawirkungen treten stärker ein, als wir vorher gedacht haben. Das gesamte System ist sensibler gegenüber Temperaturerhöhungen. Im Bereich der Kippelemente wie dem arktischen Meereis oder dem Amazonasregenwald könnten schon unterhalb einer Temperaturerhöhung von zwei Grad grundlegende Veränderungen ausgelöst werden, die man nicht mehr umkehren kann. Der Meeresspiegel wird nach neuesten Rechnungen bis 2100 um 75 Zentimeter bis 1,90 Meter steigen, nicht wie im letzten Bericht des Weltklimarates um 18 bis 59 Zentimeter.
Was folgt daraus für die Politik?
Schellnhuber: Das Zwei-Grad-Ziel maximaler Temperaturerhöhung hat zuvor als noch relativ sichere Linie gegolten, bei dem die Folgen beherrschbar bleiben sollten. Jetzt sehen wir, dass es ein ziemlich fauler Kompromiss ist und die absolute Obergrenze der Erwärmung markieren sollte. Die Politik wird wohl trotzdem dabei bleiben.
Genügt es für das Zwei-Grad-Ziel noch, den weltweiten Treibhausgasausstoß bis 2050 zu halbieren?
Schellnhuber: Wenn wir dem Szenario der G8-Staaten folgen, also der Halbierung der Treibhausgase weltweit bis 2050 wobei sich dies auf das Basisjahr 2000 bezieht – dann werden wir wohl eher bei drei Grad landen. Die Sensitivität der Ökosysteme kann man mittlerweile besser berechnen: Man weiß, dass die Aufnahmekapazität für Kohlendioxid von Ozeanen und Wäldern nachlässt. Es kommt hinzu, dass im Augenblick der Treibhauseffekt maskiert wird durch die Luftverschmutzung, die überwiegend aus kühlenden Partikeln – etwa Schwefelpartikeln aus China – besteht. Wenn man die heutige Treibhausgaskonzentration einfrieren und den Schmutzschleier wegziehen würde, dann würde dies wahrscheinlich schon zu einer Erwärmung von 2,4 Grad führen. Um wenigstens wie beim russischen Roulette eine 5/6-Chance für das Zwei- Grad-Ziel zu haben, müsste man die Treibhausgase global um 80 Prozent bis 2050 reduzieren, und zwar im Vergleich zu 1990. Für ein Land wie die USA würde das eine Reduktion von 95 Prozent bedeuten.
Ist das nicht etwas viel verlangt?
Schellnhuber: Was sollen wir tun? Wir sind in einer Zwangslage. Wenn wir das Zwei-Grad-Ziel für sinnvoll erachten, müssen wir fragen: Können wir es erreichen? Und ich kann aus der Klimaphysik heraus nur sagen, was dann an Reduktionen notwendig ist. Die Antwort lautet: Wir können es wohl mit einer Wahrscheinlichkeit von 5/6 erreichen, wenn wir diese tiefen Einschnitte machen. Meine Hoffnung ist in der Tat die, dass die Teilnehmerländer in Kopenhagen im Dezember mindestens die 50 Prozent weltweite Reduktion mit Basisjahr 2000 anpeilen und die Industrieländer entsprechend 80 Prozent bis 2050. Beim Einsetzen der Maßnahmen lernen wir dann vielleicht, diese zu optimieren. Dass wir es schaffen, in den nächsten Jahrzehnten nachzubessern, das ist meine einzige realistische Hoffnung, die ich habe.
Was erwarten Sie daher von den nächsten Vorbereitungstreffen in Bonn?
Schellnhuber: Allein, um global auf 50 Prozent Reduktion zu kommen, müssen China und Indien sich beteiligen. Dazu müssen die Industrieländer bereits in den Vorbereitungskonferenzen deutliche Reduktionsmaßnahmen auf den Tisch legen. Das wird natürlich ein Pokerspiel werden. Wenn die Industrieländer noch mehr Emissionsreduktion anbieten, werden die Schwellenländer vielleicht sagen, im Vergleich zum Business-as-usual-Ausstoß reduzieren wir um 20 Prozent oder 30 Prozent.
Was erwarten Sie insbesondere von den USA auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen?
Schellnhuber: Es wird ein spannendes Dreieck geben, in dem die Hauptakteure USA, China und Europa heißen. Damit sich die Chinesen auch nur auf sogenannte relative Ziele einlassen, werden die USA wahrscheinlich mehr versprechen müssen als nur das, was Präsident Barack Obama bisher angekündigt hat. Er will die US-Emissionen bis 2020 zurückführen auf das Niveau von 1990, die USA liegen derzeit 14 Prozent darüber. Und Europa wiederum hat gesagt, wir reduzieren um 30 Prozent, wenn andere mitmachen. Damit die EU 30 Prozent liefert, muss sich China verpflichten zu handeln, und dies setzt eben wiederum voraus, dass die USA zu einem größeren Reduktionseinschnitt bereit sind. Das ist ein Dreiecksverhältnis der besonderen Art.
Trauen sie Obama zu, dass er die USA auf Klimakurs bringt?
Schellnhuber: «Er möchte es auf jeden Fall. Davon bin ich überzeugt. Er hat sich das optimale Team zusammengestellt und ich kenne einige seiner engsten Berater persönlich. Aber viel wird davon abhängen, ob Obama an der Wirtschaftsfront relativ schnell Erfolg hat oder nicht.
Gibt es für Sie wichtige Wege zum Klimaschutz außerhalb der UN-Klimakonferenzen und wie sehen die aus?
Schellnhuber: Es gibt die einseitigen Verpflichtungen und Systeme wie den europäischen Emissionshandel und entsprechende regionale Initiativen etwa in den USA. Wahrscheinlich werden die USA demnächst ein nationales System einführen, das dann mittelfristig so meine Hoffnung – mit den Emissionshandelssystemen anderer Weltregionen verknüpft wird. Aber letztendlich ist es die Innovation, die entscheidend ist, das zeigt auch die Geschichte: Die erste industrielle Revolution 1750 ist ja nicht von den Nationen durch eine Konferenz beschlossen worden. Es haben sich ja nicht England und Deutschland und Belgien an den Tisch gesetzt und gesagt: Jetzt erfinden wir das Kohlezeitalter. Sondern die Entwicklung hat durch Erfindungen und wirtschaftliche Möglichkeiten ihren Lauf genommen. Ich hoffe, dass man durch die vielen schon vorhandenen Ansätze, von Photovoltaik bis zur Abfallwirtschaft, erkennen wird: Hier geht noch etwas und dort geht noch ein bisschen mehr und die Politik dadurch mehr Mut fasst.
Warum tun noch immer relativ wenig Menschen etwas für den Klimaschutz?
Schellnhuber: «Die Schwierigkeit liegt in der relativ einmaligen Situation, dass wir mit den streng wissenschaftlichen Methoden sehr weit in die Zukunft blicken können. Wir sind in der Lage, mit Modellen zu erkennen, dass bei fortschreitender Erwärmung in 100 Jahren alle Himalaya-Gletscher verschwunden sein dürften. Doch eine nötige Übersetzungsleistung solcher Einsichten für entsprechende Alltagsentscheidungen ist schon im privaten Leben schwierig. Das zu überbrücken geht eigentlich nur, wenn man so etwas wie eine Klimaschutzkultur entwickeln würde. Ich betrachte das wirklich als eine kulturelle Herausforderung. Dass kulturelle Transformationen möglich sind, hat sich auch in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt: Unsere Gesellschaft ist viel offener und toleranter geworden und hat es geschafft, die nationalistische und rassistische Alltagskultur der 30er und 40er Jahre hinter sich zu lassen. Auch beim Klimaschutz bräuchten wir einen grundlegenden Bewusstseinswandel.
Was müsste denn dafür passieren?
Schellnhuber: «Es müsste einfach zum guten Ton gehören, wenn man sagt, für mich ist Klimaschutz ein wichtiges Thema und ich drücke dies auch durch meinen Lebensstil und meine Konsumentscheidungen aus. Damit so etwas aber Bestandteil des guten Tons wird, muss es zum kulturellen Gegenstand werden. Eine Transformation unserer Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit wäre notwendig. Immerhin: Für Psychologen, Soziologen und natürlich die Medien wäre dies ein interessanter Prozess. Bestimmte Tendenzen bemerkt man aber auch schon heute: Vor drei Jahren ist jemand, der mit einem riesigen Geländewagen am Ernst-Reuter-Platz in Berlin vorgefahren ist, noch bewundert worden, inzwischen macht man sich eigentlich lustig darüber. Die Erkenntnisse zum Klimawandel greifen schon ein bisschen.
Interview: Simone Humml, dpa | 27.3.2009 13:20 MEZ |
Quelle: http://www.nn-online.de/artikel.asp?art=992105&kat=3
[editiert: 27.03.09, 23:27 von Claudia]
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