Das Meer als Deponie: Hässlich und gefährlich
700 Müllteile auf 100 Metern Nordseeküste / Bundesregierung will Fischer zu Abfallsammlern machen
Kiel
Die Horizonte sind weit, der Grund nur zu erahnen. Es sind die
unendlichen Weiten der Meere und Ozeane, die jeden Gedanken an ein
dramatisches maritimes Müllproblem so unwirklich erscheinen lassen.
Dennoch schlagen die Experten Alarm: „Wir kommen im Kampf gegen den
Meeresmüll nicht voran“, konstatiert Bernd Scherer vom Kieler
Umweltministerium. Und seine Kollegen in der Bundesregierung hissen
bereits die weiße Fahne. In einem vertraulichen Dokument hat die
Behörde von Minister Norbert Röttgen (CDU) festgestellt: UN und EU sind
im Kampf gegen die Müllflut komplett gescheitert. So berichtete es
„Spiegel online“ gestern.
Besonders betroffen sind demnach Nord- und Ostsee. Allein in der
Deutschen Bucht treiben rund acht Millionen Müllteile. Strömungen
sorgen zudem für eine Konzentration in bestimmten Bereichen – und
spülen den Dreck an Land. Der Tönninger Umweltbeobachter David Fleet
schimpft über endlos verschmutzte Strände: „Der Anblick ist oft
unerträglich.“ Dem Regierungsbericht zufolge kommen auf 100 Meter Küste
an Nordsee und Nordatlantik mehr als 700 Müllteile.
Die Ästhetik ist das Eine, die Schäden für die Tierwelt sind das
Andere. Vor allem Vögel fressen unverdauliche Abfälle, weil sie zum
Beispiel kleine Plastikteile für Körner halten. „Rechnet man die
Müllmengen, die ein Vogel im Durchschnitt aufnimmt, auf den Menschen
hoch, käme man auf zwei Liter Abfall im Magen.“ Und da es sich dabei
zumeist um unverdauliche Stoffe handelt, verenden viele Vögel. Für
Fische und Krebse stellen verloren gegangen Kutter- und Treibnetze ein
größeres Problem dar. Ob sich die Idee durchsetzt, Fangnetze mit
Sendern auszustatten, um sie gegebenenfalls wiederfinden zu können, ist
angesichts der Kosten unwahrscheinlich.
Auch an anderer Stelle macht die Not erfinderisch. Die
Bundesregierung erwägt offenbar, Fischer mit speziellen Säcken
auszustatten. Sie könnten so zu Müllsammlern auf offener See werden –
ähnlich wie sich viele Landwirte mittlerweile dem Naturschutz widmen.
Schärfere Kontrollen der Schifffahrt sind dagegen nach Expertenansicht
wenig erfolgversprechend. „Wie soll das gehen?“, fragt etwa der Kieler
Bernd Scherer. „Das Polizeirecht greift nicht, eine hinreichende
Überwachung ist unmöglich.“ Zu weit sind die Horizonte auf den
Weltmeeren.
Ulrich Krökel