Zurück auf Null
Bund und Länder einig: Suche nach Atommüll-Endlager „ergebnisoffen und ohne Tabus“ / Gorleben bleibt im Rennen
Berlin
Plötzlich ist die Landkarte wieder weiß. Es ist für die deutsche
Atomgeschichte eine kleine Revolution, die Bundesumweltminister Norbert
Röttgen (CDU) zu verkünden hat. „Wir sind uns einig, dass diese
Verantwortung nicht ins Ausland abgeschoben wird“, betont Röttgen mit
Blick auf 29 000 Tonnen hochradioaktiven Müll aus deutschen Atommeilern.
„Es gibt eine weiße Landkarte, kein Tabu“, sagt er. Das bedeutet:
Bundesweit wird wohl bald nach einem geeigneten Endlager gesucht.
35 Jahre lang galt der Salzstock im niedersächsischen Gorleben gerade
bei Union und FDP als alternativlos. Nun haben sich Vertreter der 16
Bundesländer gestern in Röttgens Haus dazu bereiterklärt, zurück auf Los
zu gehen. Selbst Bayern, das jahrelang mantraartig wiederholt hatte,
bei ihnen gebe es keine geeigneten Standorte, rückt nun vom Credo ab,
dass Gorleben schon irgendwie passen werde. „Die Geologie ist das
Entscheidende, nicht die Geografie“, betont Umweltminister Marcel Huber
(CSU).
Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU), der mit dem
für Sommer 2012 geplanten Endlagersuchgesetz rechtzeitig vor der
Landtagswahl 2013 das Gorleben-Dilemma etwas
entschärfen könnte, betont: „Wir müssen in jedem Fall ergebnisoffen und
ohne Vorfestlegungen in diesen Prozess hineingehen.“ Es geht hier nicht
mehr um Geografie und Ideologie. „Wir sollten diese möglicherweise nur
einmal vorhandene Chance zum Konsens bei der Endlagerung auch nutzen.“
Zu klären sei auch, ob der Müll in Salz oder Ton gelagert werden soll,
in tiefen Schichten oder nicht – und ob er notfalls rückholbar sein
soll.
Doch eines macht Röttgen auch klar: Gorleben wird trotzdem weiter
erkundet. Das löst bei SPD, Grünen, Linken und Atomgegnern starken
Protest aus. Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg,
die den Widerstand gegen Gorleben organisiert, hält den Neustart ohne
Stopp für Gorleben für höchst unehrlich. Kritiker fürchten, ohne
Erkundungsstopp lande man am Ende wieder bei Gorleben. Jeder Vergleich
müsse hinken, da in Gorleben bereits 1,6 Milliarden Euro investiert
worden sind. Ein fehlendes Deckgebirge und damit drohende
Wassereintritte sowie Gasvorkommen machen Gorleben aus Sicht der Gegner
zu einer schlechten Wahl.
Röttgen will nicht schätzen, wie lange es bis zum Endlager dauern
wird – das Bundesamt für Strahlenschutz rechnet jetzt schon, dass
Deutschland nicht vor 2035 oder 2040 ein Endlager haben wird.
Egal ob Gorleben am Ende noch dabei ist oder nicht: Es soll auf jeden
Fall eine Entscheidung zwischen den beiden besten Standorten geben. Die
Bürger sollen von Anfang an eingebunden werden, zudem soll das Endlager
nach höchsten wissenschaftlichen Kriterien ausgesucht werden. Die
Schweiz macht ein ähnliches Verfahren, etwa 2020 stimmt dort das Volk
über das Endlager ab.
Just auf den Tag genau vor 35 Jahren war bei einem Treffen von
Niedersachsen Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) mit den
Bundesministern Hans Friderichs (Wirtschaft/FDP), Hans Matthöfer
(Forschung/SPD) und Werner Maihofer (Innen/FDP) am 11. November 1976 das
an der Grenze zur DDR gelegene Gorleben aus dem Hut gezaubert worden –
obwohl andere Standorte favorisiert worden waren. Der 11. November 2011
markiert nun ein vorsichtiges Abrücken von Gorleben.
Georg Ismar