Stern.de vom 21. Dezember 2011, 22:06 Uhr
Emissionshandel
für den Luftverkehr: EU riskiert
Handelskrieg mit den USA
Erst die Industrie,
jetzt der Flugverkehr: Von Januar an benötigen Airlines EU-Zertifikate für den Ausstoß
von Abgasen. Fluglinien aus den USA und China laufen Sturm gegen die
europäische Klimaschutzmaßnahme. Es droht ein Handelskrieg.
In wenigen Tagen will die
Europäische Union den Startschuss geben, um Fluglinien in den Handel mit
Verschmutzungsrechten einzubinden. Vom 1. Januar 2012 an soll das EU-Projekt
zum Klimaschutz auch für diese Branche - und nicht mehr nur die Industrie -
gelten. Doch hinter den Kulissen kracht es gewaltig. Auf der Zielgeraden haben
sich die Fronten zwischen den Europäern und internationalen Partnern wie USA,
China und Russland verhärtet. Die Gefahr eines Handelskriegs wächst.
Zwar hat der Europäische
Gerichtshof (EuGH) am Mittwoch der EU-Kommission den Rücken gestärkt und http://www.stern.de/reise/service/eu-emissionshandel-fuer-den-luftverkehr-us-airlines-scheitern-mit-klage-1765423.html\" href="http://www.stern.de/reise/service/eu-emissionshandel-fuer-den-luftverkehr-us-airlines-scheitern-mit-klage-1765423.html">die Klage von US-Fluglinien abgewiesen. Das
dürfte die Gemüter aber kaum beruhigen. Die USA und China haben schon
angekündigt, das europäische Leuchtturmprojekt zu torpedieren. Sie sehen die
Souveränität ihres eigenen Luftraums verletzt. Denn das Gesetz gilt für alle
Flüge, die in Europa starten oder dorthin gehen, und für die gesamte Strecke -
also auch außerhalb des alten Kontinents.
Clinton
droht mit Vergeltungsmaßnahmen
Das Thema ist längst Chefsache:
US-Außenministerin http://www.stern.de/politik/ausland/hillary-clinton-90260033t.html?sort=datedown\" href="http://www.stern.de/politik/ausland/hillary-clinton-90260033t.html?sort=datedown">Hillary Clinton schaltete sich ein und
kritisierte in einem Brief an die EU-Spitze: "Die EU ist in dieser Sache
immer mehr isoliert." Clinton drohte gar mit Vergeltungsmaßnahmen, sollten
die Europäer die Pläne nicht überdenken: "Wir werden gezwungen sein,
angemessene Maßnahmen zu ergreifen."
Die Liste der möglichen Sanktionen
ist lang. Dazu zählen Handelsbeschränkungen, zusätzliche Steuern oder
Strafzölle. China hat bereits angedeutet, Milliardenaufträge beim
deutsch-französischen Flugzeugbauer Airbus platzen zu lassen. Russland und
Indien drohen damit, EU-Airlines Überflugrechte zu streichen.
"Das
wahre Problem ist ein politisches"
Es gibt noch ein Hintertürchen für
einen Kompromiss: Nicht-EU-Staaten könnten die Regeln umgehen, wenn sie
vergleichbare Emissionshandelssysteme einführten. EU-Klimakommissarin Connie
Hedegaard diskutiert mit mehreren Ländern derlei Lösungen, eine Einigung
zeichnet sich aber nicht ab. Bei einer Eskalation des Streits drohen im
Extremfall Flugverbote in der EU.
Die Branche ist besorgt, dass
Drittstaaten zurückschlagen: "Das wahre Problem ist ein politisches, kein
juristisches", sagt der Generalsekretär des Europäischen
Luftfahrt-Verbandes AEA, Ulrich Schulte-Strathaus. Gäbe es Ausnahmen für
internationale Konkurrenten, bedeutete dies Wettbewerbsnachteile. Europa könnte
Marktanteile an Asien und Amerika verlieren.
Jede
neue Abgabe gilt als Bedrohung
Schon 2008 hat die EU beschlossen,
das Konzept auf Fluglinien auszuweiten. Denn die Emissionen von Europas
Flugverkehr haben sich seit 1990 fast verdoppelt. Laut EU-Berechnung erzeugt
ein Flugzeug auf einem Flug von Brüssel nach New York rund 800 Kilogramm CO2
pro Passagier. Im nächsten Jahr erhalten Airlines noch 85 Prozent der
Zertifikate umsonst, den Rest müssen sie kaufen.
Die Luftfahrtbranche zittert, weil
sie selbst in guten Zeiten mit knappen Margen fliegt. Da gilt jede neue Abgabe
als echte Bedrohung, zumal 2012 vieles auf eine Krise hindeutet. Der
Emissionshandel könnte den Sektor im nächsten Jahr nach einer Studie der
Deutschen Bank mit bis zu 1,1 Milliarden Euro belasten. Dabei gingen die
Experten allerdings von 15 Euro je Zertifikat aus - fast doppelt so viel, wie
derzeit an der Börse verlangt wird. Allein für deutsche Airlines fallen
schätzungsweise 185 Millionen Euro an.
Hedegaard
rechnet mit bis zu 12 Euro mehr pro Ticket
Entscheidend wird das Datum April
2013 sein: Dann wird anhand der 2012 geflogenen Meilen abgerechnet. Wer als
Fluggesellschaft mehr als die ihm kostenlos zustehenden Zertifikate verflogen
und keine dazugekauft hat, muss zahlen. Es drohen Strafen bis zu 100 Euro pro
Tonne CO2, die nicht durch ein Zertifikat gedeckt ist.
Die Kosten werden die Airlines
wohl erst einmal an die Passagiere weitergeben. Kommissarin Hedegaard rechnet
für Verbraucher mit Zusatzkosten von bis zu 12 Euro pro Ticket auf einem
Langstreckenflug. Der Europa-Abgeordnete Peter Liese (CDU) kritisiert:
"Zumindest in Deutschland gibt es dafür überhaupt keinen Grund." Denn
das Bundesfinanzministerium senkt zum 1. Januar die nationale Ticket-Abgabe,
das gleiche die höheren Kosten mehr als aus.