„Der Haushalt entscheidet die Koalitionsfrage“
CDU-Spitzenkandidat
Jost de Jager will keine Politik mit wachsenden Schulden machen / Trotz
Widerstands gegen Windkraftanlagen glaubt er bei der Energiewende die
Schleswig-Holsteiner hinter sich
(...)
Aber lässt sich allein mit dem Thema Haushaltskonsolidierung ein Wahlkampf bestreiten?
An der Haushaltskonsolidierung muss sich alles messen lassen. Aber es
ist natürlich nicht das einzige Thema. Ein weiterer Schwerpunkt wird
die wirtschaftliche Entwicklung Schleswig-Holstein
sein. Hier haben wir in den vergangenen Jahren gute Arbeit geleistet.
Die Wirtschaft im Lande brummt, der Arbeitsmarkt ist so gut wie seit 20
Jahren nicht mehr. Das ist vor allem ein Verdienst der Unternehmen und
ihrer Mitarbeiter – aber auch der Politik, die Weichen stellt.
Wo sollen Sie Weichen stellen?
In der Verkehrspolitik und auf dem Gebiet der Energiepolitik. Die
regenerativen Energien sind ein Jobmotor und sorgen für wirtschaftliches
Wachstum im Land. Die Energiewende wird von vielen Bürgern im Land
nicht mitgetragen. Es gibt Protest gegen die Vermaisung der Landschaft
oder an der Ausweitung der Eignungsflächen für den Ausbau der
Windenergie. Es gibt Kritik an einzelnen Entwicklungen. Aber im Kern
wird die Energiewende von der großen Mehrheit mitgetragen.
Aber gegen den Ausbau der Windenergie wächst der Widerstand.
Es gibt Gemeinden, die sich gegen die Ausweitung der Eignungsflächen
ausgesprochen haben. Aber mit noch mehr Kommunen haben wir Probleme,
weil sie sehr viel mehr Eignungsflächen gemeldet haben als sie bekommen
können. Allein im Kreis Nordfriesland sind acht Mal mehr Flächen
beantragt worden. Die Akzeptanz für die erneuerbaren Energie ist da. Sie
hängt allerdings auch an der Wertschöpfung in der jeweiligen Region.
Aktuell rechnen die Netzbetreiber in Schleswig-Holstein
vor, dass 2011 rund 20 Millionen Euro an Entschädigungen gezahlt worden
sind für Strom aus erneuerbarer Energie, der aber nicht abgenommen
werden konnte, weil es keinen Netzanschluss gab. Geld fließt für nichts –
wie erklären Sie das dem Verbraucher?
Natürlich ist das ein Problem. Es zeigt: Die Achillesferse der
Energiewende ist der Ausbau der Stromnetze. Wir haben mit den Kommunen
und den Netzbetreibern eine Vereinbarung getroffen, wie der Netzausbau
beschleunigt werden soll. Dazu müssen die Bürger an den Planungen
beteiligt werden, und die Planungsschritte müssen vereinfacht werden.
Also kein Korrekturbedarf bei der Energiewende?
Wir werden uns bei der CDU-Klausurtagung am
Wochenende in Ahrensburg mit Bundesumweltminister Norbert Röttgen zu
diesem Thema beraten und fordern, dass es einmal im Jahr einen
Fortschrittsbericht zur Energiewende gibt.
(...)
Interview: Helge Matthiesen / Stephan Richter
Kommentar von Seite 2:
Ohne Netz und doppelten Boden
Wenn teurer Strom in den Wind geschlagen wird: Der Netzausbau ist Dreh- und Angelpunkt der Energiewende
Stephan Richter
Im März ist es ein Jahr her, dass die Katastrophe von Fukushima die
Energiewende in Deutschland einleitete. Beim Abschalten der ältesten
Atomkraftwerke, so orakelten damals die großen Konzerne, würden
vielerorts die Lichter ausgehen. Das passierte nicht. Stattdessen wächst
die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien rasant. In Schleswig-Holstein,
dem Geburtsland der Windenergie, ist dies überall zu sehen: Kaum eine
Scheune ohne Solardach, die Maisanbaufläche explodiert, immer mehr
Windmühlen drehen sich.
Was die Politik bei der über Nacht eingeleiteten Energiewende
übersehen hat, ist der mit den erneuerbaren Energien einhergehende,
notwendige Ausbau der Stromnetze. Nicht die Umstellung der
Stromerzeugung ist die eigentliche Herausforderung, sondern der
Transport hin zu den Verbrauchern.
Schleswig-Holstein will in der Rekordzeit von
nur vier Jahren die benötigten neuen Stromtrassen errichten. Bis dahin
sollen 700 Kilometer neue Hoch- und Höchstspannungsleitungen gebaut oder
zumindest durch alle Planungsinstanzen sein. Ob das gelingt, darf
bezweifelt werden. Zumal eine weitere Herausforderung hinzukommt: Der
Netzausbau muss über Schleswig-Holstein
hinausgeführt werden, sonst macht er keinen Sinn. In ganz Deutschland,
so schätzt die Deutsche Energieagentur, müssen über 4 000 Kilometer der
so genannten Stromautobahnen neu gebaut werden. Zum Vergleich: Seit 2005
wuchs das Übertragungsnetz hierzulande nur um knapp 100 Kilometer.
Der Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, spricht bereits offen
davon, dass die Energiewende zu den Akten gelegt werden könne, sollte
der Netzausbau nicht gelingen. Er hat in doppelter Hinsicht recht. Denn
zum Transportproblem wird ein Akzeptanzproblem kommen. Allein in
Schleswig-Holstein beträgt die
Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Energien rund 700
Millionen Euro. Die Besitzer von Wind- oder Photovoltaikanlagen freut
es, Steuerzahler und Stromkunden müssen zahlen. Wenn aber nur Geld und
kein Strom fließt, wird die schöne neue Energiewelt zum Ärgernis.