2. Energieforum Schleswig-Holstein
Ministerpräsident Albig und EU-Kommissar Oettinger streiten über das Tempo der Energiewende. Auf dem Podium diskutieren sechs Akteure über Aspekte, Positionen und Lösungen.
Strom für den Süden – Wein für den Norden
Jetzt zum großen Windstromexporteur werden
oder auf die Leitungen warten? Politiker und Netzbetreiber sind uneins
über den Zeitplan für die Energiewende
Büdelsdorf
Zeugt es von Aufbruchstimmung, wenn dem Netzbetreiber und dem EU-Kommissar
lauter applaudiert wird, als dem Ministerpräsidenten des eigenen
Landes? Bedeutet es gar, dass die Ziele der Landespolitik weniger
Unterstützung finden, als die Vorstellungen des Brüsseler Energie-Sprechers? Oder hat es schlicht mit dem Publikum zu tun, das dem SPD-Landesvater Torsten Albig nicht besonders zugetan ist? Oder sind Tennet-Chef
Martin Fuchs und Günther Oettinger ganz einfach die mitreißenderen
Redner? Nein, anhand der Reaktion des Publikums konnte man tatsächlich
nicht einwandfrei ablesen, welchen Weg die 600 Bürgermeister, Landräte
und Vertreter der Energiewirtschaft Schleswig-Holsteins bei der Energiewende im Land beschritten sehen wollen.
„Es ist ein guter Zeitpunkt, um eine Positions- und Kursbestimmung vorzunehmen“, sagte Hans-Jakob Tiessen, Vorstandsvorsitzender der E.ON-Hanse, zur Eröffnung des 2. Energieforum Schleswig-Holstein.
Die folgenden Reden und Diskussionen zeigten jedoch, dass außer zwei
grundlegenden Zielen, nämlich der Verwirklichung der Energiewende und
des Netzausbaus, die Wege dorthin alles andere als konsensfähig sind.
Insbesondere die Hauptredner, Ministerpräsident Albig und EU-Kommisar
Oettinger, waren sich grundlegend uneins. „Wir müssen der Energiewende
endlich die Geschwindigkeit geben, die sie benötigt“, forderte Albig.
Oettinger hingegen schlägt eine „Geschwindigkeitsbegrenzung“ für die
Energiewende und eine „maßvolle Entwicklung“ vor. Während Albig das EEG
für das „wahrscheinlich erfolgreichste politische Instrument der
vergangenen Jahre“ und einen deutschen Exportschlager hält, beschwerte
sich Oettinger über die falschen Anreize, die das EEG in Deutschland
aufzeige. Es sei wenig sinnvoll, Solaranlagen im Bayerischen Wald zu
fördern, statt etwa im Süden Europas. „In dem Stall im Bayrischen Wald
steht seit 20 Jahren keine Kuh oder kein Traktor mehr, aber oben drauf
liegt eine Photovoltaikanlage und darüber nur Nebel – aber die
Subvention fließt trotzdem.“
Vielleicht waren es diese volksnahen Anekdoten, mit denen Oettinger
das Publikum für sich einnahm, jedenfalls verzieh es dem Kommissar
andere Ausführungen, etwa zur grundsätzlichen Bedeutung der Energiewende
für das Weltklima. Da Europa nur etwa zwölf Prozent der weltweiten CO2-Mengen
verursache und Deutschland dementsprechend noch weniger, blieben alle
Bemühungen hierzulande Stückwerk, wenn nicht eine global verbindliche
Einigung mit Großemittenten wie den USA und China zustande käme,
relativierte Oettinger jegliche Bemühungen, durch die Energiewende auch
die CO2-Emissionen zu senken. Andererseits
lobte er die USA, die ihrer Industrie zuliebe auf stark
umweltbelastenden Möglichkeiten zurückzugreifen, um kostengünstig
fossile Rohstoffe wie Öl und Gas zu fördern. Er mahnte Einbußen für die
deutsche Industrie an, die auf günstigen, verlässlichen Strom angewiesen
sei, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Es reiche nicht aus, wenn die erneuerbaren Energien ein „autarkes
Dorf“ versorgen könnten, denn „der große industrielle Stromverbraucher
brauche regionale, nationale und europäische Lösungen“.
Als eine mögliche Lösung schlug Albig vor, die Unternehmen doch hier
im Norden anzusiedeln, wo sie unmittelbar auf günstigen Windstrom
zugreifen könnten. Er pries den schleswig-holsteinischen Onshore-Strom
als Kostensenker in der Riege der erneuerbaren Energien. Jetzt müsse
nur noch der Netzausbau Schritt halten. Das sei die Großbaustelle. „Denn
wenn wir bis 2014 Windstrom im Wert von über 100 Millionen Euro
abregeln, dann organisieren wir gerade den Butterberg des 21.
Jahrhunderts.“
Martin Fuchs, Geschäftsführer des Übertragungsnetzbetreibers Tennet,
hatte genau diese „Großbaustelle“ zum Hauptthema. Über sechs Milliarden
Euro habe sein Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren allein in
Offshore-Leitungen investiert. Doch der
vermehrte Einsatz grüner Energie stellt die Branche vor große
Herausforderungen: In zehn Jahren muss das achtfache des schleswig-holsteinischen
Strombedarfs exportiert werden – „wenn die Energie nicht ungenutzt
verpuffen soll“, so Fuchs. Daher wirbt sein Unternehmen für schnellere
Planungsverfahren, jedoch nicht um jeden Preis: „Partizipation und
Beschleunigung ist kein Widerspruch“.
Damit spricht er Bürgervertreter wie Kay Uwe Evers an. Durch dessen
Gemeinde Norderwöhrden in Dithmarschen soll laut dem Bürgermeister die
Westküsten-Höchstspannungsleitung der Tennet
verlaufen. Gleichzeitig ist ein weiterer Windpark geplant. „Wir stehen
genau in dem Spannungsfeld zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energien
und der Netze und außerdem müssen wir alles in Einklang mit den
Interessen der Landwirte bringen“, fasst Kay Uwe Evers im Anschluss der
Podiumsdiskussion zusammen. Moderiert von Stephan Richter, dem Sprecher
der Chefredakteure der medien holding: nord, erbrachte auch dieser
Austausch allerdings kaum Lösungen – wohl aber einen umfassenden
Überblick über die meisten Ansichten zur Energiewende.
Und schließlich waren sich auch Torsten Albig und Günther Oettinger noch über etwas einig: In Schleswig
-Holstein
solle in Zukunft der Windstrom und im Süden der Wein produziert werden
und dann werde man sich schon handelseinig werden, so Oettinger.
Kerstine Appunn
Kristof Gatermann