Erstellt: 26.03.13, 22:57 Betreff: Bürgerbeteiligung für die Stromleitungs-Planung. WZ vom 26.03.2013druckenweiterempfehlen
Ganz nah bei den Sorgen
Babette Sönnichsen erprobt an der Westküste bei der Bürgerbeteiligung für die Stromleitungs-Planung eine Premiere für ganz Deutschland
Kiel/Husum
Sie wird die Hauptschlagader der Energiewende im Land: die künftige 380-KV-Höchstspannungsleitung zwischen Niebüll und Brunsbüttel, die den Windstrom von der Westküste Richtung Verbraucher gen Süden transportiert. Eines stellt Energiewendeminister Robert Habeck (Grüne) trotz aller guten Absichten unumwunden klar: „Bei einem derart großen Infrastrukturprojekt werden wir nicht alle glücklich machen können – aber jeder solle eine faire Chance haben, sich zu informieren, die Entscheidungen transparent nachzuvollziehen und seine Sicht der Dinge einzubringen.“ Deshalb gibt es jetzt eigens eine Beauftragte für Bürgeranliegen im Energiewendeministerium: Babette Sönnichsen, studierte Ingenieurin und Pädagogin, soll hinbekommen, was zum Beispiel bei einem Großprojekt wie Stuttgart 21 zunächst versäumt worden ist – einen Dialog zwischen Planern und Betroffenen.
Selbst beschreibt sich die 46-Jährige als „Kümmerin“. Aufgewachsen im Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog bei Niebüll, weiß sie um landschaftlich besonders sensible Stellen aus eigener Anschauung, kennt die Mentalität und ist zumindest passiv im Plattdeutschen zu Hause. Ihre Eltern wohnen bis heute in Emmelsbüll-Horsbüll kurz vor der dänischen Grenze. „Ich finde schnell eine Ebene zu den Leuten“, hat Sönnichsen bei ersten Versammlungen in Nordfriesland und Dithmarschen erfahren.
Richtig los geht es zwischen dem 11. und 26. April, dann sind zwischen Heide und Niebüll zehn öffentliche Veranstaltungen geplant. Zusätzlich werden im Mai Facharbeitsgruppen mit regionalen Vertretern unter anderem aus Naturschutz, Land, Städtebau und Fremdenverkehr einberufen. Eine erste Zwischenbilanz des Dialogprozesses ist für eine Konferenz Mitte Juni geplant. Wie es mit der Beteiligung danach konkret weitergeht, soll kurzfristig entschieden werden. Eine zweite Konferenz im September könnte ein Abschlussdokument verabschieden, das die Meinungsbildung über einen so genannten Vorzugskorridor zum Verlauf der Leitung fixiert.
Völlig neu nicht allein für Schleswig-Holstein, sondern überhaupt für Deutschland ist, dass sich die Bürger in einem derart frühen Stadium einbringen können. Normalerweise – so ist die Rechtslage – wird die Öffentlichkeit erst beim Antrag auf Planfeststellung beteiligt. Das wäre für die Trassenabschnitte zwischen Heide und Niebüll nach Einschätzung Sönnichsens erst Ende 2014.
Das erste Teilstück der Leitung zwischen Brunsbüttel und Barlt nördlich von Marne soll bereits 2015 in Betrieb genommen werden; das letzte bis hinauf nach Niebüll 2018. Dass der Schwerpunkt des Dialogprozesses erst von Heide an aufwärts ansetzt, erklärt Sönnichsen damit, dass es im südlichen Dithmarschen „ohnehin nur eine Infrastrukturlinie gibt“. Zwischen Heide und Husum hingegen werden drei Varianten für den Verlauf diskutiert. Hier ist denn auch die bereits von Bürgerinitiativen begleitete heißeste Trassen-Debatte ausgebrochen. Nördlich von Husum wiederum kommen zwei Korridore in Betracht.
Ebenso wichtig wie die Transparenz der Pläne für die Bevölkerung ist Sönnichsen ein Informationsfluss in entgegengesetzter Richtung: „Ich möchte dafür Sorge tragen, dass die Menschen ihr lokales Fachwissen in die Planung einbringen. Es ist eine Bitte, die Planer zu beraten.“ Zum Beispiel bei Fragen wie: Wo könnte der Vogelflug stärker gestört werden als anderswo? Welche Sichtachsen sind touristisch wichtiger als andere? In welcher Form sie berücksichtigt werden, entscheidet sich letztlich zwischen dem Netzbetreiber Tennet, der die Leitung auch plant, und dem neuen Amt für Planfeststellung Energie beim Energiewendeministerium. Das ist die Behörde, die das Vorhaben genehmigt.
Unabhängig von Veranstaltungen und Ortsterminen steht Sönnichsen den Bürgern per Telefon, Mail und Post zur Verfügung. „Es gibt längst nicht nur Ärger oder gar Wut, sondern eher ein noch nicht ausgereiftes Verständnis“, fasst sie die bisherige Resonanz zusammen. Inhaltlich ist die Palette breit: Der eine macht schon mal vorsorglich deutlich, dass er gegen eine Linienführung direkt an seinem Haus ist. Der nächste fragt um Rat, ob er sein Haus jetzt gewinnbringender verkaufen kann als später, wenn die genaue Trasse feststeht. Wieder ein anderer schlägt vor, als Ausgleich doch bitte ein Wäldchen anzulegen, damit die Leitung aus dem Wohnzimmerfenster wenigstens nicht zu sehen sei. Und auch die Angst vor elektromagnetischer Strahlung bricht sich in Anrufen Bahn. Was die „Kümmerin“ auch bei kritischen Stimmen besonders freut: „Es gibt eine Klarheit in der Rolle. Ich werde nicht persönlich angegriffen.“
Auch wenn es mit der Beglückung eines jeden Einzelnen nichts werden sollte, so wettet die neue Bürgerbeauftragte doch auf jeden Fall auf mehr Akzeptanz für die Leitung nach offensivem Erklären, Zuhören, Vermitteln. Bleiben die Erfahrungen mit dem Verfahren im Großen und Ganzen positiv, so Sönnichsen, könnte der heute informelle Prozess mit Blick auf künftige Infrastrukturprojekte durchaus auch formelle Reife erlangen. Ziel sei, eine Bürgerbeteiligung in dieser Form auch rechtlich im Plan- und Genehmigungsverfahren zu verankern.