Trassen sind für alle da
Nur wenige Schleswig-Holsteiner wollen Geld in den Netzausbau investieren
Kay Müller
Stell’ Dir vor, es ist Energiewende – und keiner macht mit. So dürfte
sich Netzbetreiber Tennet derzeit fühlen, denn kaum ein Schleswig-Holsteiner interessiert sich für die Beteiligung am Ausbau der 380KV-Freileitung
an der Westküste. Und das, obwohl Bundesumweltminister,
Ministerpräsident und Energiewendeminister dafür wie wild getrommelt
haben.
Und nun? Alles für die Katz mit dem Paradebeispiel für gelebte Energiewende?
Es sieht so aus – und stimmt doch nicht. Sowohl die Nachfrage nach
Anteilen an der Westküstenleitung als auch eine Umfrage des
Forschungszentrums Jülich illustrieren, dass kaum ein Bürger eine
Leitung in seiner Nachbarschaft will – auch wenn er dafür
Renditeversprechen bekommt. Klar, denn so entsteht der Eindruck, dass
sich ein Konzern oder die Politik, die Zustimmung der Menschen vor Ort
erkaufen wolle. Und ja, in einer ländlichen Region wie Dithmarschen oder
Nordfriesland würde sich jeder an den Rand der örtlichen Gemeinschaft
stellen, der für eine Leitung Geld gibt, die über das Haus seines
Nachbarn führt. Energiewende ja, aber bitte nicht, wenn ich davon
Nachteile haben könnte – so die Meinung.
Wir sollten ehrlich sein: In der Region, die vom Bau einer Leitung
betroffen ist, wird es nur bedingt gelingen, die Akzeptanz der Bürger zu
erhöhen. Das passiert am ehesten noch durch Verhandlungen über den
Trassenverlauf vor Ort – so wie es der Netzbetreiber und
Energiewendeminister Robert Habeck bereits machen.
Und dennoch bleibt der Aufbau von Bürgernetzen ein wichtiges Element
der Energiewende. Es gilt, den Kreis derjenigen zu erweitern, die sich
finanziell daran beteiligen dürfen. Denn wer keine Leitung in seiner
Nähe hat, ist eher bereit ins Netz zu investieren. Und auf dieses Geld
ist der Betreiber oft angewiesen. Der bekommt eine garantierte
staatliche Rendite von neun Prozent, die Bürger bekommen aber viel
weniger, ihnen wird nichts garantiert und sie tragen auch das Risiko.
Bekämen Klein-Investoren so viel wie der Netzbetreiber, gebe es auch mehr Beteiligung.
Entscheidend ist, dass viele Bürger aktiv die Energiewende begleiten,
und nicht nur große Spekulanten. Denn sonst würde die Gesellschaft ohne
Not die Gestaltung der Energiewende aus der Hand geben.