28.05.2009
Gegenwind für Eon
Ein neues Kabel zwischen Norwegen und Deutschland macht Kohlekraftwerke verzichtbar. Den Energiekonzernen drohen harte Zeiten.
Die Krise geht zumindest an den deutschen Energieriesen vorbei. Während Unternehmen anderer Branchen bei der Bundesregierung Schlange stehen, um an die Steuergelder aus dem Deutschlandfonds zu kommen, machen die Stromkonzerne weiter erkleckliche Gewinne.
Doch schon bald könnte sich der Wind drehen: Das internationale Konsortium Norger KS reichte in Oldenburg die Planungsunterlagen für ein Stromkabel ein, das den deutschen Strommarkt verändern würde. Das Gleichstromkabel soll Norwegen mit dem deutschen Stromnetz verbinden. Es wird 540 Kilometer lang sein, soll von Kristiansand quer durch die Nordsee verlaufen und in der Nähe von Wilhelmshaven anlanden.
Das Norger-Konsortium besteht aus der Schweizer Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg (EGL) AG sowie den norwegischen Versorgern Agder Energie AS und Lyse Energie AS. Es investiert rund eine Milliarde Euro in die unterseeische Stromröhre. Baubeginn ist im kommenden Jahr, bis 2014 kann das Verbindungsstück betriebsbereit sein. „Das Kabel soll überschüssigen Windstrom aus Deutschland ableiten und bei Bedarf günstigen Strom aus Norwegens Wasserkraft nach Deutschland bringen“, sagt Projektleiter Jens Harenberg. Damit werde der deutsche Markt für den günstigen skandinavischen Strom geöffnet. Zugleich werde vor dem Hintergrund des weiteren Ausbaus der Windenergie in Niedersachsen die Netzstabilität unterstützt.
Klingt nach einer technischen Petitesse, ist aber bei genauem Hinsehen eine Errungenschaft, die die Machtverhältnisse auf dem deutschen Energiemarkt kräftig auf den Kopf stellen dürfte. Durch das Kabel wachsen zwei bislang getrennte Energiemärkte zusammen: der Handelsbereich der Leipziger Strombörse EEX und das skandinavische Netz, dessen Strom an der „Nord Pool“ in Oslo gehandelt wird. Beide Märkte sind für sich weitgehend offen, aber sie basieren auf höchst unterschiedlichen Energiequellen. „Während Norwegen seinen Strom aus gigantischen Wasserkraftwerken bezieht, dominieren in Deutschland – noch – die Großkraftwerke mit Uran, Kohle, Gas oder Öl“, erklärt Uwe Leprich, Energieexperte von der Hochschule für Technik des Saarlandes.
Leprich glaubt, dass das Norger-Kabel den Verdrängungswettbewerb unter deutschen Energieerzeugern verschärfen wird. Lassen sich nämlich die geplanten Windparks an der Nordsee mit den großen Wasserspeichern Norwegens koppeln, steht ihre Energie faktisch rund um die Uhr bereit. Sie decken dann auch die Grundlast ab, was heute noch nicht möglich ist, weil die Parks in windarmen Zeiten nichts abwerfen. Deshalb halten die vier großen Erzeuger in Deutschland, RWE, Eon, Vattenfall und EnBW, an neuen Kohlekraftwerken zur Grundlastversorgung fest. Das Kabel verändert diese Situation: „Wenn die deutschen Energieversorger nicht bald aufwachen, erleiden sie in einigen Jahren ein ähnliches Schicksal wie heute General Motors“, orakelt Leprich.
Die maritimen Gleichstrom-Adern geistern seit rund zehn Jahren durch die Fachpresse. Jetzt, mit der geplanten Nordseeverknüpfung, wird es erstmals ernst. Das Kabel ist mit einer Kapazität von 1400 Megawatt geplant. Das entspricht einem großen Atom- oder einem Kohlekraftwerk. Vom Landepunkt bei Wilhelmshaven wird es bis zum Einspeisepunkt ins Höchstspannungsnetz von Eon unterirdisch verlegt. Weitere Projekte laufen in Norwegen auch schon an. Bis 2020 könnten mehrere Unterseekabel eine Leistung von insgesamt sechs Gigawatt aus dem norddeutschen Netz abnehmen oder einspeisen, je nachdem, wo gerade ein Überangebot besteht. Mindestens vier Kohlekraftwerke würden dadurch überflüssig. Die Strategie ist klar: Statt neue Kraftwerke baut Norger die Vertriebswege aus.
Die Versorgungssysteme in Deutschland und in Norwegen ergänzen sich nahezu ideal: Norwegen bezieht seinen Strom fast vollständig aus riesigen Wasserkraftwerken. Allerdings macht sich auch im Norden der Klimawandel bemerkbar, denn in trockenen Sommern bleiben die Turbinen immer häufiger wegen Wassermangels stehen. Deutscher Windstrom könnte diese Becken wieder füllen, nach dem Prinzip der Pumpspeicherwerke.
Deutschland baut derweil die Windenergie dramatisch aus: Derzeit stehen hierzulande 23 Gigawatt Stromleistung aus Windkraft bereit. Die Windgeneratoren decken schon ein Viertel des deutschen Strombedarfs. Allein im Vorland der Küsten und auf offener See sollen in den nächsten zehn Jahren neue Windparks entstehen, die mehr als zehn Gigawatt liefern. „Bis 2020 werden deutschlandweit mindestens 45 Gigawatt aus Windkraft erzeugt“, sagt Peter Ahmels, Netzexperte bei der Deutschen Umwelthilfe. Die Windkraftbranche rechnet sogar mit mehr als 60 Gigawatt. Das wäre rund die Hälfte des deutschen Bedarfs. Hinzu kommen große Solarkraftwerke wie im brandenburgischen Lieberose.
Um das Stromgeschäft endgültig zu bestimmen, brauchen die Windgeneratoren vor allem Speicher. Bislang sorgen sie für viel Wirbel an den Börsen: An windstarken Tagen mit schwacher Stromnachfrage rutscht der Preis an der Leipziger Strombörse ins Minus, weil das Überangebot nicht verkauft werden kann. Minus heißt: Die Betreiber von Großkraftwerken legen sogar Geld drauf, damit der Strom aus den trägen Maschinen überhaupt abgenommen wird.
Seit drei Jahren ist Deutschland Nettoexporteur von Strom. Alle Kapazitäten zusammengerechnet, stehen etwa acht Gigawatt zu viel zur Verfügung. Um die Preissprünge auszugleichen, bauen RWE, Eon und EnBW im Alpenvorland einige Wasserreservoire aus. „Die Kapazität der deutschen Pumpspeicherwerke beträgt rund sechs Gigawatt“, schätzt Uwe Leprich. Norger steuert nun die Reservoire Norwegens bei, die um etliches größer sind als die Alpenbecken.
Doch der Schwerpunkt der Investitionen der „Großen vier“ liegt weiterhin auf neuen Kohlekraftwerken, um die auslaufenden Atommeiler oder veraltete Ölkraftwerke zu ersetzen. „Ohne die Kohle geht es nicht“, sagt Tuomo Hatakka, Vorstandsvorsitzender von Vattenfall Europe. Mit der heute verfügbaren Technik der Kohleverstromung allerdings lassen sich die deutschen Klimaschutzziele nicht erreichen. Die Branche tüftelt zwar an saubereren Verfahren. Vattenfall etwa steckt rund 215 Millionen Euro in die Erforschung der CO2-Sequestrierung, um Kohlendioxid aus dem Rauchgas der Brennkammern abzuscheiden und unterirdisch zu lagern. Das aber ist teuer, obwohl der Erfolg in den Sternen steht. „Die großen Summen kommen erst noch“, sagt Hatakka. „Für ein Demonstrationskraftwerk rechnen wir mit etwa einer Milliarde Euro.“
Fachleute haben errechnet, dass die CO2-Sequestrierung den Kohlestrom um 15 bis 30 Prozent verteuern wird. „Die Frage ist, ob man neue Kohlekraftwerke überhaupt noch braucht“, sagt Felix Matthes vom Darmstädter Öko-Institut. Wenn Norwegen über die Nordseekabel billigen Strom aus Wasserkraft auf den deutschen Markt wirft und die Windparks mit Speichern wirtschaftlich absichert, könnte der teure Kohlestrom bald aus dem Rennen sein. „Die traditionellen Grundlastkraftwerke werden durch die Windkraft abgelöst. Was wir brauchen, sind schnell regelbare Kraftwerke, die sich dann zuschalten, wenn der Strom aus Wind und Sonne nicht ausreicht.“
Decken Wind und Sonne, wie geplant, bis zum Jahr 2020 mehr als die Hälfte der Stromproduktion ab, müssten alle anderen Kraftwerke nur noch als Ausgleichskapazität dienen. „Sie müssen innerhalb von Minuten vom oder ans Netz gehen können“, erläutert Uwe Leprich.
Einen Atomreaktor abzuschalten und wieder anzufahren dauert Tage. Das kann man nicht beliebig oft wiederholen. Wie alle Großkraftwerke werden Atomkraftwerke auf 7500 Betriebsstunden im Jahr ausgelegt, um die Investitionen wieder einzuspielen. Ähnlich sieht es bei Kraftwerken mit Braunkohle aus: Sie müssen erst mit Öl vorgeheizt werden, damit die Verbrennung in Gang kommt. Steinkohle lässt sich zwar schneller einsetzen, aber ein Spitzenlastkraftwerk mit diesem Brennstoff wäre wegen der Emissionen ein ökologisches Problem. Denn ausgerechnet im Teillastbetrieb haben die Kohlekraftwerke ihre größten spezifischen Emissionen, ähnlich dem Verbrennungsmotor im Auto. „Deshalb bleiben eigentlich nur Gaskraftwerke übrig“, meint Leprich. Infrage kämen vielleicht auch noch Biomassekraftwerke, die Holz verfeuern.
So oder so müssen die großen Versorger umdenken. Tuomo Hatakka von Vattenfall entschied sich in Berlin bereits gegen die Kohle und für Gas und Biomasse. Die Bauherren des Norger-Konsortiums haben es wohlwollend zur Kenntnis genommen.
Quelle: http://www.merkur.de/2009_22_Gegenwind_fuer_Eo.34688.0.html?&no_cache=1