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Klimawandel: Meerverschlungen. WZ vom 08.04.2014

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Claudia

Beiträge: 4532

BI Teilnehmernummer: 106

New PostErstellt: 08.04.14, 23:55  Betreff: Klimawandel: Meerverschlungen. WZ vom 08.04.2014  drucken  weiterempfehlen



Meerverschlungen

Der Pegel der Ozeane ist in den vergangenen 100 Jahren gestiegen und
wird sich in den kommenden Jahrzehnten weiter erhöhen. Ein Risiko auch
für Schleswig-Holstein – besonders, wenn in der Badewanne geplanscht wird.





Flensburg

Betrachtet man die unten dargestellte Karte, entsteht der Eindruck, das Meer könnte Schleswig-Holstein
ganz schön anknabbern – und Menschen wie die heute geborene Mia, die im
Jahr 2090 noch lebt, könnten schlimmstenfalls in einem teilweise vom
Meer verschlungenen Land leben. Fast ein Drittel des Landes stünde bei
Sturmfluten wie 1962 an der Nordsee oder 1872 an der Ostsee unter Wasser
– gäbe es nicht die Deiche. Doch was ist, wenn der Meeresspiegel
weltweit steigt? Könnte Mia, sofern wohnhaft in Leck, Heide, Glücksburg,
Kappeln, Rendsburg, Eckernförde oder Heiligenhafen dann noch trockenen
Fußes vor die Haustür treten? Oder hat ihr Heim gar schon den Fluten
weichen müssen?


Klimaforscher berechnen die Entwicklung des Meeresspiegels für den
Zeitraum 2081-2100 im Vergleich zu den Jahren 1986-2005. Dabei verwenden
sie verschiedene mögliche Entwicklungen des Treibhausgasausstoßes der
Menschheit.


Wasserstand +1 Meter

Abhängig von dem jeweiligen Szenario könnte demnach die globale Erwärmung bei steigendem CO2-Gehalt
der Atmosphäre zu einem 40 bis 100 Zentimeter höheren Pegel der Meere
führen. Andere Studien zeigen gar einen Anstieg um zwei Meter. Dass sich
der Meeresspiegel erhöhen wird, darin sind sich die Wissenschaftler
somit ziemlich sicher – um wieviele Zentimeter genau und welche Prozesse
dazu am meisten beitragen werden, darin gibt es noch Unsicherheiten.


Den größten Beitrag wird laut dem neuen Bericht des Weltklimarates
(IPCC) aus dem Jahr 2013 die thermische Ausdehnung des Wassers leisten.
Dadurch, dass die Meere Wärme aus der Atmosphäre aufnehmen, dehnt sich
das Wasser aus und nimmt mehr Volumen ein. „Mit diesem Faktor kann die
Klimaforschung gut umgehen“, sagt Professor Hans von Storch vom
Helmholtz-Zentrum für Küstenforschung in Geesthacht.


Landeis im Meer

Schwieriger wird es da schon bei dem zweiten großen Faktor: dem
zusätzlichen Wasser, das beim Abschmelzen der Eismassen auf Grönland und
der Antarktis in die Meere gelangt. In dem neuen IPCC-Bericht
werden zum ersten Mal Modelle verwendet, die diesen Anteil der
schmelzenden polaren Eiskappen mit einbeziehen. Dafür musste aber
zunächst etabliert werden, ob es wirklich ein Tauen der Eisblöcke und
Gletscher geben wird. „Theoretisch wäre es auch möglich, dass ein Mehr
an Schnee in den Polargegenden die Gletscher anwachsen lässt“, erklärt
Professor von Storch. Dann würde wieder mehr Wasser an den Polen
gebunden und das Abtauen ausgeglichen werden. „Die Tendenz geht aber
dahin, dass die Eisblöcke tatsächlich abnehmen und so zusätzliches
Wasser in die Ozeane gelangt“.


Regionale Unterschiede

Obwohl der globale Meeresspiegel im Durchschnitt ansteigt, muss das
noch nicht heißen, dass dies auch an den Küsten von Nord- und Ostsee der
Fall sein wird. „Die regionalen Abweichungem können erheblich sein“,
sagt Professor Detlef Stammer vom Institut für Meereskunde an der Uni
Hamburg. Das regionale Niveau der Meere wird von ozeanischen und
atmosphärischen Strömungen beeinflusst, die wiederum Veränderungen im
Salzgehalt des Wassers und zwischen Luftdruckgebieten geschuldet sind.
Ob und was sich an diesen Phänomenen durch Treibhausgasemissionen und
die globale Erwärmung verändert, ist bislang sehr schwer zu ermitteln,
sagt Professor Stammer.


Auch mit dem (schmelzenden) grönländischen Eisschild ist zusätzlich
eine regionale Auswirkung verbunden. Durch ihr Schrumpfen verliert die
Eismasse an Anziehungskraft, folglich wird in Zukunft das Wasser rund um
Grönland absinken, was zu einem leichten Meeresspiegelanstieg in
anderen Regionen wie der Nord- und Ostsee führt.


Bewegung des Landes

Hinzu kommt, dass sich die Hebung oder Senkung der Erdkruste in
bestimmten Regionen auf den Meeresspiegel auswirken kann. In
Nordskandinavien hebt sich das Land, seitdem es nicht mehr von den
Eispanzern der letzten Eiszeit belastet ist, also fällt dort der
Wasserspiegel der Ostsee. In Schleswig-Holstein
senkt sich das Land hingegen leicht, mit etwa einem Millimeter pro Jahr –
das ist allerdings nicht genug, um einen nennenswerten Unterschied im
Wasserstand an den Küsten zu verursachen.


Nordsee gestiegen

An der Nordsee wird letztlich der globale Meeresspiegelanstieg die
größte Veränderung ausmachen, glauben die Wissenschaftler in Geesthacht.
Immerhin haben sie auch für das letzte Jahrhundert schon eine Änderung
gemessen: Um die 20 Zentimeter sind dazugekommen – bis zu einem Meter
könnten es bis 2100 sein, wenn man pessimistisch ist, sogar 1,20 Meter,
ergeben die Klimamodelle der Forscher. Außerdem müsse man bedenken, sagt
Professor von Storch: „Der Meeresspiegelanstieg hört ja im Jahr 2100
nicht einfach auf – auch wenn wir die Erderwärmung auf zwei Grad
begrenzen, hört er nicht auf.“


Planschen in der Wanne

Die gute Nachricht bei alldem ist: Schleswig-Holstein
ist auch bei steigendem Wasser in den umgebenden Meeren recht gut
geschützt. Das Land liegt hoch genug oder wird von Deichen trocken
gehalten. Kritisch wird es aber, wenn zu dem gehobenen Normalpegel der
Meere, auch noch eine Sturmflut kommt. Man müsse es sich vorstellen, wie
ein Kind in der Badewanne, sagt Professor von Storch. Sitzt das Kind
friedlich im Wasser, dann ist das der normale Wasserstand. „Fängt es
aber an zu planschen, dann schwappt die Wanne ganz schnell über“. Ein
planschendes Kind ist eine Sturmflut. Und natürlich kommt es schneller
und häufiger zum Überschwappen, wenn das Grundniveau des Wasserpegels
bereits (durch den Klimawandel) erhöht ist. Oder anders ausgedrückt: Bei
gehobenem Meeresspiegel muss eine Sturmflut weniger stark sein, um den
Deich zu überwinden.


Gleichzeitig beschäftigt die Forscher, ob es durch die Klimaerwärmung
auch zu mehr und stärkeren Sturmfluten kommen wird. Bei einer Sturmflut
treibt der Wind das Wasser vor sich her, das führt zu stärkerem
Seegang, aber auch schlicht zu mehr Wassermasse, die sich dann zum
Beispiel in der Deutschen Bucht und besonders der Elbe staut. Bislang
gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass es in Zukunft ein verändertes
Windklima geben wird: „Was den Wind angeht, zeigen unsere Szenarien kein
eindeutiges Bild“, erklärt Professor von Storch. Dennoch könnten die
Sturmfluten an der Nordseeküste bis Ende des Jahrhunderts um 30 bis 110
Zentimeter höher auflaufen. Diesem Problem muss in Schleswig-Holstein
durch weitere Küstenschutzmaßnahmen vorgebeugt werden. Deswegen, so
Professor von Storch, sei es wichtig, dass die Erinnerung an die
Sturmfluten von 1962 an der Nordsee und 1872 an der Ostsee wachgehalten
werden. „Wir haben zwar sehr hohe Sturmfluten, aber wenn wir uns
vorbereiten, können wir gut damit umgehen.“
Kerstine Appunn

Detaillierte Karten der von Sturmfluten bedrohten Gebiete finden Sie auf:
http://www.kuestenschutzbedarf.de 





„Was an der Steilküste abbricht, kommt dem Strand zugute“


 An der Ostsee rechnen Wissenschaftler mit etwa einem halben Meter
Meeresspiegelanstieg – es können aber auch 30 oder 90 Zentimeter sein.
Der Anstieg in den letzten 100 Jahren lag etwa bei 18 Zentimetern. Was
das für die schleswig-holsteinische Ostseeküste bedeutet und welche Maßnahmen nötig sind, erklärt Professor Horst Sterr von der Uni Kiel und Projektleiter des „Klimabündnis Kieler Bucht“ im Interview.


Herr Sterr, welche Gefahren drohen der schleswig-holsteinischen Ostseeküste durch den Klimawandel?


Horst Sterr: Ein häufigeres Auftreten von extremen Wasserständen bei
Sturmfluten ist das größte Problem. Wenn bei starkem Seegang Wellen an
die Küste treffen, dann kommt es zu Erosionen an Stränden und
Steilküsten. Die Küstenlinie wird zurückverlegt. Bei starkem und
andauerndem Regen, wie er sich im Zuge des Klimawandels ebenfalls
häufiger zeigen könnte, kann es zudem passieren, dass sich dieses Wasser
in den flachen Gebieten hinter der Uferlinie sammelt. Bei
gleichzeitiger Sturmflut kann dieses Wasser dann nicht mehr abfließen,
so dass es zu einer Überschwemmung von beiden Seiten kommen kann. Für
den Tourismus könnte es zudem nachteilig sein, wenn bei den Stürmen mehr
Treibsel, also Seegras und Algen angespült werden. Diese Pflanzen
werden in Zukunft wohl aufgrund der veränderten Wasserqualität häufiger
in flachen Bereichen wachsen, wo sie bei Seegang leichter abgerissen
werden. Wenn sich am Strand dann eine stinkende braune Masse bildet,
dann wäre das für die Touristen nicht so angenehm – und für die
Gemeinden, die es wegräumen müssen, ist es teuer.


Welche Gebiete an der Ostsee sind am stärksten betroffen?


Generell sind von den Abbrüchen alle Steilküsten, von der Flensburger
Förde bis in die Lübecker Bucht, betroffen, die von den Wellen erreicht
werden. Die Steilküsten verlieren zwischen 30 Zentimetern und einem
Meter pro Jahr. Die niedriggelegenen Küstenabschnitte sind von
Überflutungen bedroht, sofern kein Deich gebaut wurde. Die an einem
besonders flachen Küstenabschnitt gelegene Stadt Eckernförde ist
betroffen, aber auch Damp und Heiligenhafen sind solche Fälle.


Sollte man also versuchen, die Steilküsten vor der Erosion zu bewahren?


Nein, an den Steilküsten sollte man gar nichts machen, weil das
Material, das beim Abbruch der Steilküsten mobilisiert wird, den
benachbarten Niederungsgebieten zugute kommt. Dieser Sand ernährt dort
die Strände, und bildet einen natürlichen Küstenschutz. Außerdem ist es
fast nirgendwo an der schleswig-holsteinischen
Ostseeküste der Fall, dass Gebäude auf den Steilküsten vom Absturz
bedroht sind. Bei Travemünde steht ein solches Haus, das noch fünf Meter
von der Kante entfernt ist und wahrscheinlich irgendwann aufgegeben
werden muss. In Schilksee sind die Häuser alle noch 50 bis 60 Meter von
der Kliffkante entfernt. Da vergehen noch 100 oder 150 Jahre, bis etwas
passiert. Und das was an Schilksee an der Steilküste abbricht, das kommt
dem Falkensteiner Strand zugute. Menschen, die unbedingt mit Blick aufs
Meer wohnen wollen und deswegen sehr nah an die Steilküste bauen, die
müssten eigentlich wissen, dass sie damit ein höheres Risiko eingehen.
Da muss man abwägen zwischen dem Allgemeinwohl und dem Interesse des
Einzelnen.


Interview: Kerstine Appunn






[editiert: 09.04.14, 00:05 von Claudia]
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