Viel Wind an der Börse
Windmüller setzen mehr auf Markt – und auf attraktivere, neue Förderung / Experten kritisieren Mitnahmeeffekte
Kiel/Berlin
Immer mehr Windstrom wird an der Leipziger Strombörse gehandelt. Nach
Informationen der Übertragungsnetzbetreiber wurden im April bundesweit
gut 18 Gigawatt zur Direktvermarktung angemeldet. Das sind über 60
Prozent der an Land errichteten Windenergieleistung in Deutschland. Für
Schleswig-Holstein gibt es zwar keine
gesonderten Zahlen, Branchenkenner gehen aber davon aus, dass das
nördlichste Bundesland voll im Trend liegt. Hintergrund sind Änderungen
des Gesetzes für Erneuerbare Energien (EEG), die zum Jahreswechsel in
Kraft getreten sind.
Bis dahin speisten Windmüller ihren grünen Strom einfach ins Netz und
bekamen dafür eine feste Vergütung. Durch die Änderungen des EEG können
Anlagen-Betreiber nun jeden Monat aufs Neue
entscheiden, ob sie so weitermachen oder ihren Strom nach dem so
genannten Marktprämienmodell direkt vermarkten wollen. Letzteres würde
bedeuten, dass sie die erzeugte Energie dann in der Regel an einen
Stromhändler verkaufen, der damit dann in den meisten Fällen an der
Leipziger Strombörse handelt.
Dabei gehen die Ökostrom-Produzenten derzeit
jedoch noch überhaupt kein Risiko ein. So gibt es beispielsweise für an
Land erzeugten Windstrom aktuell eine feste Einspeisevergütung von etwa 9
Cent je Kilowattstunde. Liegt der Börsenpreis unter dieser EEG-Festvergütung – und das ist meistens so –, bekommen die Windmüller die Differenz aus dem EEG-Topf erstattet. Und: Obendrauf erhalten sie noch eine so genannte Management-Prämie für Vermarktungs- und Verwaltungskosten. Für Windenergie sind das 1,2 Cent je Kilowattstunde.
Kritiker sprechen mit Blick auf das Marktprämienmodell deshalb auch
von Mitnahmeeffekten. Aus ihrer Sicht wird aktuell nur deshalb so viel
Windstrom an der Börse gehandelt, weil es dafür den zusätzlichen Bonus
in Form der Managementprämie gibt. Selbst innerhalb der Branche ist das
Modell nicht unumstritten – bei kleinen wie bei großen Ökoenergie-Produzenten, da die Verbraucher die Mehrkosten über die EEG-Umlage zahlen müssen.
Zudem gibt es laute Zweifel, ob der Handel mit Windstrom überhaupt
richtig marktfähig ist. Der Grund: Windstrom lässt sich zumindest bisher
kaum speichern. Windmüller können ihn daher nicht nach Angebot und
Nachfrage verkaufen, sondern dann, wenn der Wind weht.
Aus Sicht von Martin Schmidt, Manager der Netzwerkagentur Windcomm,
ist es jedoch genau der richtige Weg, die Branche langsam an den Markt
heranzuführen. „Die Regelungen sind zeitlich begrenzt und setzen einen
wichtigen Anreiz, jetzt die Infrastruktur zur Vermarktung aufzubauen. So
wird die Branche unabhängiger von politisch wechselnden Fördersystemen
durch das EEG.“ Zudem, so Schmidt, ziehen höhere Einnahmen der
Windkraftanlagen-Besitzer auch höhere Gewerbesteuern nach sich. Auch bescheren die EEG-Änderungen anderen mittelständischen Firmen neue Aufträge.
„Trotzdem braucht die Energiewirtschaft eine Doppelstrategie“, so
Schmidt. „Neben ausreichenden Netzen müssen jetzt Speicherprojekte
gefördert werden, damit Angebot und Nachfrage harmonisiert werden
können.“
In Gegensatz zur Windbranche sind Solarstromproduzenten noch
zurückhaltender mit der Direktvermarktung an der Börse – dabei gilt das
Marktprämienmodell auch für andere Marktteilnehmer, die unter das EEG
fallen.
Tanja Nissen
Die Windcomm Schleswig-Holstein
lädt am Donnerstag, 14. Juni, zu einer Informationsveranstaltung über
Strategien zur Direktvermarktung ins Innovationszentrum Itzehoe. Weitere
Informationen und Anmeldung unter www.windcomm.de.