Merkels Starthilfe
Konferenz zur Elektromobilität: Im Streit um CO2-Grenzwerte schlägt sich die Kanzlerin auf die Seite der Autolobby
Berlin /dpa
Bei einem Elektroauto-„Gipfel“ hat Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) der Autoindustrie Hilfe in Verhandlungen über strengere
Kohlendioxid-Grenzwerte in der EU zugesagt.
Deutschland sei bei ambitionierten Zielen immer mit dabei, sagte Merkel
gestern auf der Konferenz in Berlin. Sie warnte aber indirekt davor,
dass dies zu Lasten der deutschen Autoindustrie geschehe. Die Kanzlerin
bezeichnete zugleich das Ziel von einer Million E-Autos bis 2020 auf deutschen Straßen zwar als ambitioniert, sieht aber gute Chancen, es zu erreichen.
Bisher sind nur einige Tausend Elektroautos zugelassen. Das liegt
auch daran, dass sie – vor allem wegen der Batteriekosten – derzeit noch
viel teurer als Fahrzeuge mit herkömmlichem Antrieb sind. Zudem gibt es
Probleme mit der Reichweite der Autos und der Infrastruktur zum Laden
der Wagen. Auch gibt es nur wenige E-Autos aus deutscher Produktion. Französische und japanische Autobauer sind bei E-Autos sowie Hybridfahrzeugen mit einer Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotor bisher weiter.
Daimler-Chef Dieter Zetsche sagte, derzeit
hätten es Elektroautos im Wettbewerb mit herkömmlichen Fahrzeugen mit
Verbrennungsmotor noch „verdammt schwer“. Dies liege vor allem an den
hohen Kosten und der geringen Reichweite. E-Autos müssten aber für die Kunden sichtbar und erfahrbar sein. Ein Baustein dafür sei Carsharing mit E-Autos.
Bei E-Autos sei „Praxis der Härtetest“, sagte
Merkel weiter. Es seien insgesamt ein „langer Atem und Weitsicht“
notwendig, betonte die Kanzlerin, die in der E-Mobilität
einen Beitrag zur Energiewende sieht. Dabei komme es zugleich darauf
an, erneuerbare Energien und Netze auszubauen. Merkel betonte auch die
Bedeutung der Autobranche als Kernindustrie in Deutschland. Es sei
wichtig, dass diese den Transformationsprozess gut bewältige.
Dabei hätten „Supercredits“ eine „super Bedeutung“, sagte Merkel.
„Supercredits“ sind eine Art Bonus für Elektroautos, sie werden auf die
gesamte Flotte angerechnet. Dies hilft dann der gesamten CO2-Bilanz. Die deutschen Hersteller wollen mit Blick auf die bisherigen Pläne der EU-Kommission,
dass der Faktor der Anrechnung deutlich erhöht wird. Denn: Weil die
deutschen Autobauer im Durchschnitt größere und deshalb auch schwerere
Autos verkaufen als die europäische Konkurrenz, ist es für sie
schwieriger, den CO2-Ausstoß zu senken.
Deshalb müsse es gerade in schwierigen Zeiten wie der europäischen
Absatzkrise mehr Anreize geben – eben die „Supercredits“. Und je höher
die Anreize der Anrechnung, desto mehr werde investiert, argumentieren
die Autobauer. Merkel sagte, größere Autos seien der Innovationstreiber
bei der Entwicklung in der Autoindustrie.
Erst vor Kurzem hatte der Präsident des Branchenverbandes VDA,
Matthias Wissmann, Merkel einen Brandbrief geschrieben. Er hatte dabei
vor „überzogenen“ CO2-Regulierungen und indirekt vor dem Verlust von Jobs gewarnt.
Die Kanzlerin sprach sich aber weiter gegen Kaufprämien, wie es sie
in anderen Ländern gibt, aus. Solche Prämien würden nur ein „Strohfeuer“
entfachen und keinen großen Sprung nach vorne bringen, sagte auch
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) bei der Konferenz, an der
neben weiteren Bundesministern auch Top-Manager der Autoindustrie teilnahmen. Die Produkte müssten sich am Markt durchsetzen.
Trotz massiver Probleme bei Elektroautos sieht die Regierung aber auch
Fortschritte bei der Zukunftstechnologie. In den vergangenen Jahren sei
viel erreicht worden, sagte Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) bei
dem Treffen. Allerdings sei manches schwieriger als gedacht. Er schlug
unter anderem vor, dass E-Autos künftig auch
Busspuren benutzen dürfen. Die Automobilindustrie investiert Milliarden
in Forschung und Entwicklung von Elektroautos. Gleichzeitig aber steckt
der europäische Automarkt in einer schweren Absatzkrise.
Elektro-Autos deutscher Hersteller
Bisher
sind Elektroautos im Angebot der deutschen Autobauer Mangelware. Das
soll sich ändern, alleine bis Ende 2014 sollen 16 neue Modelle auf den
Markt kommen. Bei Europas größtem Autobauer Volkswagen werden die ersten
rein elektrischen Modelle dieses Jahr in Serie gehen. Geplant sind ab
Herbst E-Versionen vom Kleinwagen Up und vom Verkaufsschlager Golf. Darüber hinaus entwickelt VW E-Fahrzeuge
speziell für China, den mit Abstand wichtigsten Einzelmarkt des
Konzerns. BMW kommt voraussichtlich im Herbst mit seinem ersten
Elektroauto i3. Bei der Karosserie setzt BMW komplett auf leichte
Materialien wie Carbon und Alu, um damit das zusätzliche Gewicht der
Batterien auszugleichen. Daimler hat bislang nach Firmenangaben neun
Fahrzeugmodelle mit Batterie- oder Brennstoffzellenantrieb vom Smart
über Transporter bis hin zu leichten Lkw und Bussen. Auch die neue S-Klasse wird als sogenanntes Plug-In-Modell
angeboten. In den nächsten Jahren soll ein Viersitzer des Smart mit
Elektroantrieb auf den Markt kommen, sowie eine neue B-Klasse.
Ab 2017 will Daimler in Kooperation mit Ford und Nissan das erste
Elektrofahrzeug mit Brennstoffzelle in Serie fertigen. Auch der
Sportwagenbauer Porsche ist bei der E-Mobilität aktiv und will etwa mit einer Hybrid-Variante seines Modells Panamera punkten. Audi plant ein Modell namens e-tron. Bereits auf dem Markt ist der Opel Ampera. Er ist baugleich mit dem Chevrolet Volt aus dem Mutterkonzern General Motors.
Kommentar von Seite 2:
Die utopische Million
Die Probleme der Elektromobilität sind auch auf lange Sicht nicht zu lösen
Jan Wrege
Optimismus ist ja nicht verwerflich, wenn die Realität nicht völlig
ausgeblendet wird. Aber schon jetzt lässt sich mit einiger Sicherheit
sagen, dass die von der Bundesregierung angestrebte Zahl von einer
Million Elektroautos auf deutschen Straßen im Jahr 2020 utopisch ist. Es
sei denn, Autofahrer begeistern sich plötzlich dafür, ein Gefährt mit
stark reduzierter Alltagstauglichkeit doppelt so teuer zu bezahlen wie
ein konventionelles Fahrzeug, das alle Zwecke erfüllt.
Keine Frage: Es macht Spaß, die Stromer zu fahren. Sie sind leise,
spurtstark und selbst bei den aktuellen Energiepreisen günstig zu
unterhalten. Aber dann beginnen die Probleme. Ohne Subventionen, die
auch völlig verfehlt wären, ist die Anschaffung eines Elektromobils für
Normalverdiener kaum zu stemmen. Jeder hat Erfahrung mit der Lebensdauer
von Handy-Akkus. Da stellen sich Fragen: Wie
lange wird der Speicher im Auto halten? Wie steht es mit dem
Wiederverkaufswert? Wer einen Stromer im Alltag bewegt, lernt neue
Widrigkeiten kennen: Die Suche nach Ladestationen, das Fummeln mit dem
Kabel bei Schnee und Regen, den bangen Blick auf die Restreichweite, die
akribische Planung der Ladezeit. Akkus sind groß, schwer, in ihrer
Kapazität begrenzt und aberwitzig teuer. Den Stein der Weisen in Sachen
Stromspeicher hat noch niemand gefunden.
Elektrofahrzeuge mögen bei entsprechender Lade-Infrastruktur in Ballungsräumen funktionieren, auf dem Land kann man sie vergessen. Plug-in-Hybride, also Autos, die Verbrenner und E-Motor
mit sich herumschleppen, sind eigentlich Mogelpackungen und dürfen für
die erhoffte Million in sieben Jahren nicht zählen. Übrigens macht eine
Million gerade zwei Prozent des Pkw-Bestands aus, fällt also kaum ins Gewicht, wenn es um CO2-Emissionen geht.
Interessant ist ein Ansatz von Audi auf dem Weg zur CO2-neutralen
Langstreckenmobilität: Da laufen Motoren mit synthetischem Gas, das mit
Hilfe von Windstrom gewonnen wird. Vielleicht wären die Milliarden für
die Forschung hier besser investiert als in den Versuch, physikalische
Gesetze auszuhebeln.