Flaute bei Windrädern auf hoher See
Neue Zahlen vorgelegt: Offshore-Ausbau kommt nicht voran / Gewerkschaften fürchten Abbau von Arbeitsplätzen
Berlin / Husum
Wegen des schwächelnden Ausbaus der Offshore-Windenergie sorgen sich die Gewerkschaften jetzt um Jobs: „Die Flaute beim Ausbau der Offshore-Windparks
gefährdet die Energiewende und Tausende von Arbeitsplätzen“, sagte
gestern der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Nord, Uwe
Polkaehn.
Hintergrund ist der Projektbericht mit dem Titel „Umsetzungsstatus von Offshore-Windpark-Projekten
(OWP) in der Deutschen Nordsee“ des hierauf spezialisierten Beraters
Michael Erler. Nur für 2900 Megawatt gebe es demnach derzeit überhaupt
eine Finanzierung, davon seien bisher 2300 Megawatt in der Errichtung.
Da in der Bauphase teilweise „erhebliche technische Schwierigkeiten“
aufgetreten seien, würden Investoren vor dem Einstieg in neue Projekte
zurückschrecken. Hinzu kämen höhere Wartungskosten als erwartet und
Munitionsfunde.
Selbst bis 2023 rechnet Erler nur mit zwischen 3700 (konservatives
Szenario) bis maximal 5900 Megawatt (optimistisches Szenario). Die
Bundesregierung hält bisher offiziell an 10 000 Megawatt bis 2020 und
25 000 Megawatt bis 2030 fest. Für die Unternehmen an der Küste, die
sich auf den Offshore-Bereich spezialisiert
haben, könnte es ein böses Erwachen mit einer Bedrohung tausender
Arbeitsplätze geben. Einige Firmen sind schon insolvent, ihnen läuft die
Zeit davon. „Die Krise trifft auch Schleswig-Holstein,
aber in größerer Anzahl sind Unternehmen im nördlichen Niedersachsen
betroffen“, sagt Stefan Sievers von der IHK Schleswig-Holstein.
„Offshore ist eine Sache für große Player geworden“, erklärt Martin
Schmidt vom Branchenverband Windcomm aus Husum. Nur die könnten
Rückschläge in der Entwicklung verkraften. Schmidt geht aber davon aus,
dass Offshore-Anlagen in wenigen Jahren ähnlich
kostengünstig Strom produzieren wie die derzeit noch in diesem Punkt
überlegenen Windkraftanlagen an Land.
Die Realität ist aber trübe, gerade mal Turbinen mit 320 Megawatt
liefern in Nord- und Ostsee Strom. Zum Vergleich: Ein Atomkraftwerk hat
1400 Megawatt Leistung. Bis zur Bundestagswahl hat sich die schwarz-gelbe Bundesregierung eine Art Schweigegelübde in Sachen Offshore-Windenergie
auferlegt. Aber ein wichtiger Regierungsbeamter macht keinen Hehl
daraus, dass es einen Abschied vom hehren 10 000-Megawatt-Ziel geben wird. Nach der Wahl. Maximal 6000 Megawatt seien wegen der Investitionszurückhaltung noch machbar.
Es dauere eben lange, bis diese Technologie sich durchsetze, sagt der
Sprecher des Bundesverbandes Windenergie, Martin Hochstätter, der
Offshore nach wie vor für nötig hält. Es sei unangebracht, dass die
Regierung zunächst unrealistische Ziele für den Ausbau von Offshore-Windkraft
formuliere und diese dann sukzessive nach unten korrigiere. „2004
sollten es 20 000 Megawatt werden, jetzt nur noch 10 000. Das
diskreditiert die Offshore-Branche. Ich sage,
wenn wir am Ende 6000 Megawatt haben, ist das toll.“ Hochstätter schätzt
die Gefahr von Krisen für Unternehmen als weniger stark ein. „Die
meisten Unternehmen, die in der Offshore-Branche unterwegs sind, werden das stemmen können.“ Deswegen sei der Verlust von Jobs nicht sehr groß.
Tennet-Chef Lex Hartman musste bisher als Prügelknabe fürs verspätete Anschließen von Offshore-Anlagen
herhalten – die Branche nennt das als Mitgrund dafür, warum sich
bislang so wenige Windräder drehen. Dann kam eine Haftungsregel, Risiken
für Netzprobleme wurden abgewälzt. Seit Anfang des Jahres gibt es eine
umstrittene Offshore-Umlage, die einen Drei-Personen-Haushalt bei den Stromkosten jährlich neun Euro kostet.
Anschlüsse und Seekabel könnten nun bereit stehen, die Windturbinen
aber nicht. „Bereits zeitnah geplante Beauftragungen weiterer
Netzanbindungen könnten hohe Leerkosten verursachen, die über die
Netzentgelte vom Verbraucher getragen werden müssten“, heißt es in dem
Projekt-Bericht, der Tennet übergeben wurde. Der
Konzern schaffe nun Abtransportkapazitäten für 6200 Megawatt –
womöglich zu viel. Gerade wenn Windparks mangels Geld viel kleiner
ausfallen. Es drohen Kosten für nicht genutzte Leitungen, die die Bürger
über den Strompreis zahlen müssen.
Wenn zwei Parks vor Borkum nicht mit der geplanten Kapazität von
jeweils 900 Megawatt gebaut werden, drohten Leerkosten von 800 Millionen
Euro pro Jahr, ohne einen weiteren Park vor der niedersächsischen Küste
bei Emden könnten sie sich bis 2021 auf rund eine Milliarde Euro
erhöhen, so die Befürchtung.
Letztlich geht es ums Geld: Die Reform des Erneuerbare-Energiengesetzes
wird klären müssen, wie viel Förderung welche Branche bekommt – und wie
viel der Verbraucher über Steuern oder Strompreise für die Energiewende
zahlen muss. Nur in diese Reform, das glauben alle Experten, wird vor
der Bundestagswahl kein frischer Wind mehr kommen.