Windkraftbranche im Rekordfieber
Leistung der installierten Anlagen stieg im ersten Halbjahr so stark wie noch nie – allein in Schleswig-Holstein wurden 52 Rotoren aufgestellt
Berlin/Kiel
Thorsten Herdan fing mit den guten Nachrichten an: Trotz der im
Frühling aufgeflammten Debatte über Kürzungen bei den Fördersätzen für
die Windkraft ist die Branche in der ersten Hälfte dieses Jahres
schneller gewachsen als je zuvor. „Wir haben lauter Rekordzahlen zu
vermelden“, verkündete der Chef des Branchenverbands VDMA Power Systems
gestern in Berlin. Vor allem die zusätzlichen Ausweisungen von
Windkraftflächen in den vergangenen Jahren würden sich jetzt spürbar
auswirken.
So stieg die installierte Gesamtleistung der Anlagen zwischen Anfang
Januar und Ende Juni um 1143 Megawatt – „eine Halbjahreszahl, wie wir
sie noch nie in Deutschland hatten“, sagte Herdan. Zum Vergleich: Die
Leistung entspricht in etwa der eines Atomkraftwerks. Und weil die
Betreiber in der zweiten Jahreshälfte erfahrungsgemäß noch stärker
investieren, erwartet Herdan fürs ganze Jahr sogar einen
Kapazitätszuwachs von 2900 Megawatt – „das ist fast wieder das
Rekordniveau von vor elf Jahren“. Insgesamt stehen derzeit 23 400
Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 32 400 Megawatt in der Republik.
Am kräftigen Plus der Windbranche hat nicht zuletzt Schleswig-Holstein
seinen Anteil: 52 Windräder mit einer Leistung von zusammen 141
Megawatt sind hier in der ersten Jahreshälfte entstanden – nur in
Niedersachsen und Rheinland-Pfalz waren es noch
mehr. Allerdings übte die Präsidentin des Bundesverbands Windenergie
auch Kritik am nördlichsten Land: „In Schleswig-Holstein stehen noch immer sehr niedrige Anlagen – da ginge deutlich mehr Effizienz“, sagte Sylvia Pilarsky-Grosch. Nach einer Faustregel bringt jeder Meter in die Höhe ein Prozent mehr Ertrag.
Tatsächlich sind die im Land zwischen den Meeren neu errichteten
Masten dieses Jahr sogar noch kleiner als im vergangenen –
durchschnittlich nur 78 statt 81 Meter. Damit sind sie die niedrigsten
in ganz Deutschland. In Rheinland-Pfalz etwa sind sie mit 133 Metern viel höher. Woran in Schleswig-Holstein
der Trend nach unten liegt, konnten die Experten in Berlin nicht sagen –
auch aus dem Kieler Energiewendeminister von Robert Habeck gab es
gestern keine Erklärung dafür.
Verband fordert bessere Abstimmung bei Offshore-Ausbau
Auch wenn noch 98,8 Prozent der Windkraftleistung auf die Anlagen an
Land entfallen, gibt es selbst bei den Rotoren auf See Lichtblicke. Der
Zubau lag zwar im ersten Halbjahr mit 105 Megawatt auf niedrigem Niveau,
war aber so hoch wie nie zuvor. Dazu passte gestern auch die Nachricht,
dass der Energiekonzern RWE jetzt die Genehmigung erhalten hat, weitere
108 Anlagen für seine Meereswindparks „Nordsee 2“ und „Nordsee 3“ rund
40 Kilometer nördlich von Juist zu bauen.
Allerdings warnte VDMA
-Geschäftsführer Herdan auch vor großen Problemen beim Offshore
-Ausbau
– und kam damit zu den schlechten Nachrichten. „Wir haben eine riesige
Unsicherheit im Markt“, kritisierte er. Falls die nächste
Bundesregierung nicht rasch für klare Verhältnisse sorge, werde bis 2015
kein Euro mehr in Hochseewindparks fließen. Herdan forderte, „die
Rahmenbedingungen für die Windparks nicht mehr an den Zeitpunkt der
ersten Stromlieferung zu knüpfen, sondern an den Zeitpunkt der
Investitionsentscheidung“. Dringend nötig sei zudem eine bessere
Abstimmung zwischen Ausbau der Windparks und der Stromnetze. „Im Moment
geht die Deharmonisierung weiter“, schimpfte er. Dabei drohe eine
Umkehrung der bisherigen Verhältnisse: Während der neue Windpark
„Riffgatt“ vor Borkum diesen Monat noch Schlagzeilen gemacht hat, weil
der holländische Netzbetreiber Tennet die Anbindung ans Stromnetz nicht
rechtzeitig gebaut hat, könnte es bald Netzanschlüsse ohne Windfarmen
geben, warnte Herdan: „Das, was Tennet in Bau hat, ist deutlich mehr,
als das, was die Parks in Planung haben.“
Henning Baethge