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Dilla´s & Eva´s grenzwissenschaftl. & polit. Forum
Grenzwissenschaft/ Politik/ Konv. Wissenschaft/ Kabbalistik
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Autor |
Beitrag |
lilu
Ehemaliges Mitglied
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Erstellt: 11.04.09, 12:32 Betreff: Re: Game Over - Gehe zurück auf Start |
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Bin zufällig über einen Bericht soeben gestolpert, der gut zu unserer Diskussion passt:
"Ausrichtung auf Leistung" macht nicht glücklich Der Psychologe Peter Kruse stellt neue Studie zum Wertewandel vor Peter Kruse im Gespräch mit Jürgen Liminski
Der Arbeitspsychologe Peter Kruse hat eine Methode entwickelt, Veränderungen in den Wertvorstellungen der Bevölkerung empirisch zu erfassen. Herausgefunden habe der Uni-Professor damit, dass die Menschen im Land frustriert seien. Das Solidaritätsgefühl sei in den vergangenen Jahrzehnten zu Gunsten des Leistungsprinzips verloren gegangen. Zwei Drittel der Befragten seien vom Verlust des "sozialen Gefühls" enttäuscht und auch "ein bisschen wütend", so Kruse.
Jürgen Liminski: Wie verändert sich die Haltung in der Bevölkerung in Krisenzeiten? Welche Werte sind den Menschen wichtig? Wie sehen sie die Entwicklungen in der Gesellschaft? Wie sehen die persönlichen Idealvorstellungen aus? Welche Meinung hat man von Deutschland? - An der Antwort solcher Fragen könnte man das Verhalten in der Krise voraussehen, aber wie kommt man zu solchen Antworten, zumal normale Umfragen nur begrenzt Antwort geben können. Man sagt dabei ja auch nicht immer das, was man wirklich denkt. Nun: Es gibt eine Methode, die die unterbewussten Wertvorstellungen qualitativ erfasst und zu kollektiven Wertemustern zusammenführt. Die können dann wiederum quantitativ ausgewertet werden. Auf diese Weise kann man Veränderungen in der Wertehaltung der Bevölkerung empirisch erfassen und messen. Erfunden hat dieses Verfahren Professor Peter Kruse in Bremen. Er ist auch Chef der nextpractice GmbH und jetzt unser Gesprächspartner. Guten Morgen, Herr Kruse.
Peter Kruse: Ich grüße Sie, Herr Liminski.
Liminski: Herr Kruse, das Verfahren ist vermutlich kompliziert, das Sie entwickelt haben. Hier ist auch nicht der Ort, es im Detail auseinanderzulegen. Aber vielleicht sagen Sie uns in wenigen Worten wenigstens, wie es funktioniert.
Kruse: Im Prinzip ist es wirklich nicht so kompliziert. Was Sie nicht machen dürfen ist: Machen Sie keine Fragebögen! Wann immer Sie irgendwelche Dinge vorgeben, dann können die Leute nicht mit dem antworten, was ihrem Herzen nahe ist. Eigentlich müssten Sie ein Verfahren haben, das so ist, als ob Sie direkt mit Menschen reden, und dieses Verfahren funktioniert auf die Art: Die Menschen verwenden ihre eigene Sprache und der Charme dabei ist, dass Sie Relationen herstellen über das, was sie sagen. Wenn Sie mit einem Menschen reden, dann erahnen Sie seine Wertemuster aus der Art und Weise, wie er Worte verwendet. Eigentlich geht das zurück auf Wittgenstein. Wittgenstein hat mal gesagt, ein Wort ist seine Verwendung in der Sprache. Wenn Sie also mithorchen, wie Menschen Relationen bauen, dann erahnen Sie die hinter der Wortverwendung liegende Bedeutung, und das macht das Gespräch aus. Wenn wir eine Weile miteinander reden, verstehen wir die Bedeutung, die wir hinter den Worten meinen. Das Verfahren macht eigentlich etwas Ähnliches. Das findet die Relationen in der Wortverwendung und versteht die dahinter liegenden Konzepte.
Liminski: Auf diese Weise haben Sie also nun Werteveränderungen festgestellt. Sie haben auch für das Demographische Forum des Bundespräsidenten eine Studie über die gesellschaftlichen Herausforderungen erstellt, die sich aus dem demographischen Wandel ergeben, und dabei natürlich die Entwicklung im Werteverhalten der Bevölkerung ermittelt. Wie bewertet die Bevölkerung denn die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland?
Kruse: Das war ein etwas frustrierendes Bild, und zwar aus einem sehr einfachen Grund, weil die Menschen sehr frustriert sind. Wenn man sich das anschaut, dann sehen die Menschen eine Entwicklung zum Negativen über die letzten Jahrzehnte, und da gibt es einen sehr verblüffenden Sprung von den 80ern auf die 90er. Das heißt, zwischen den 80ern und 90ern ist wirklich irgendwie etwas zersprungen. Da gab es so etwas wie ein soziales Gefühl, ein Solidaritätsgefühl, und das ist verloren gegangen. Wir haben sehr stark die Leistung in den Vordergrund gehoben. Wir haben das Prinzip Eigenverantwortung in den Vordergrund gehoben, was an sich ja sehr richtig war, aber die Menschen haben eben etwas verloren. Das "wir" ist verloren gegangen, die Menschen haben sich auf das "ich" konzentriert und sie stehen heute vor der Situation, dass sie damit tatsächlich frustriert sind, und das bezieht sich tatsächlich auf so Größenordnungen von zwei Drittel der Befragten, die wirklich genervt sind. Die sind nicht, damit wir uns nicht missverstehen, politikmüde, sondern sie sind enttäuscht und manchmal sogar ein bisschen wütend über die Situation, die wir da hergestellt haben.
Liminski: Hohe Frustration, gleichzeitig der Wille, etwas bewegen zu wollen, ein starker Wunsch. Diese Kombination kann aber auch gefährlich sein, wenn die Potenziale nicht kanalisiert werden. Kann das auf der Straße enden?
Kruse: Das ist die Frage, ob es heute noch auf der Straße endet. Wir haben heute mit den Möglichkeiten der neuen Kommunikationstechnologien viele Wege des Engagements, viele Wege, sich auszudrücken. Ich weiß nicht, ob es auf der Straße endet, aber eines kann ich sicher sagen: Die Menschen werden sich aktivieren. Sie wollen Partizipation. Sie haben heute sozusagen neben dem Prinzip Eigenverantwortung auch diesen Wunsch nach Beteiligung. Die große Frage, die sich eben stellt, ist, wie wir diesen Wunsch nach Beteiligung kanalisieren. Da reicht es, alle vier Jahre zu wählen, bei weitem nicht mehr aus.
Liminski: Haben die Menschen das Gefühl, von der Politik und auch von den Medien in ihren Wertevorstellungen verstanden zu werden?
Kruse: Das ist, glaube ich, das Grundproblem. Da haben sich Dinge ernstzunehmend auseinanderentwickelt. Ich glaube, so dieser intuitive Politiker, der früher irgendwie ein Gefühl für die Menschen hatte, den kann es heute nicht mehr geben. Wir haben festgestellt, dass die Wertelandschaft der Menschen sich sehr, sehr stark ausdifferenziert. Das heißt das, was wir früher so als Mitte bezeichnet haben, so eine starke Werteausrichtung, die sehr einheitlich war, die gibt es im Moment nicht mehr und dann fällt auch diese intuitive Mittelmeinung weg. Man kann sozusagen nicht mehr den Menschen so nahe sein, ohne sie wirklich differenziert zu verstehen. Diese differenzierte Form, die ist tatsächlich in der Politik nicht so gegeben und entsprechend fühlen die Menschen eine Trennung zwischen Politik und ihrem Alltagsleben. Diese Trennung zwischen Politik und Alltagsleben ist für Demokratie nicht gerade förderlich und wenn man so will unser eigentliches Kernproblem.
Liminski: Wo ist denn die Diskrepanz am stärksten, bei welchen Themen?
Kruse: Das zieht sich wirklich durch alle Themen durch. Aber ich glaube mal, dass man sich dort neue Gedanken darüber machen muss, wie wir unsere Sinnstiftung miteinander betreiben. Ich glaube, dass diese Ausrichtung auf Leistung, wie wir das die letzten Jahrzehnte betrieben haben, und wie wir versucht haben, Eigenverantwortung über Leistung zu definieren, heute nicht mehr reicht. Die Menschen haben heute einen gewaltigen Umschwung in ihren Wertesystemen, und das ist zwar eine Folge der Krise, aber nicht nur zurückzuführen auf die Krise. Wir haben einen Umschwung in Richtung Nachhaltigkeit, Sinnstiftung, Gemeinschaft, und wenn dort von der Politik keine Antworten gegeben werden, wenn dort keine Resonanz entsteht, wenn dort die alten Antworten bestehen bleiben, dann driften die Dinge eben sehr, sehr heftig auseinander. Die Grundsatzfrage ist: Gelingt es uns noch, gemeinschaftlich ein Sinngefühl zu erzeugen. Wenn uns das nicht gelingt, dann haben wir eben Schwierigkeiten.
Liminski: Kann man von einer Polarisierung nicht nur zwischen Bevölkerung und dem politisch-medialen Establishment, sondern auch in der Bevölkerung selbst sprechen, wenigstens in Teilbereichen, etwa beim Thema Migration oder Sozialhilfe?
Kruse: Ja. Da driften die Dinge wirklich massiv auseinander und man hat teilweise eben das Gefühl, die Menschen verstehen sich nicht mal mehr. Es gibt eine Gruppe von Leuten, die in der Befragung Migration als etwas sehr Positives gesehen haben, die sagen ja, das ist im Prinzip die Rettung, die uns noch bleibt, wenn wir selber keine Kinder haben, dann brauchen wir leistungsstarke Menschen, die zu uns kommen, die wir in die Gesellschaft integrieren und die uns mittragen. Das war die eine Sicht und die andere Sicht sieht eben diese Art von Sozialwettbewerb, der da entsteht, und sieht das als extrem negativ. Wenn man sozusagen über die gleiche Sache redet, die einen sehen es sehr positiv, die anderen sehen es sehr negativ, dann wird es schwierig, überhaupt noch miteinander zu reden. Dann braucht man, wenn man so will, erst mal die Erfahrung, dass es in unterschiedlichen Perspektiven geht, und diese Erfahrung ist eben nicht mehr so da. Wir laufen Gefahr, dass wir wirklich sehr stark ausdifferenzieren und uns dann fragen müssen, wie wir die Menschen noch einfangen können mit ihren unterschiedlichen Perspektiven.
Liminski: Sie sagten eben, Herr Kruse, dass das Solidaritätsgefühl, das Gemeinschaftsgefühl oder der Sinn für Gemeinsinn verloren zu gehen droht. Dazu gehört natürlich auch das Gefühl, für seine Leistungen geachtet und beachtet zu werden. Gibt es denn eine Gruppe in der Bevölkerung, in der man das am schmerzlichsten spürt, die sich in ihrer Leistung am wenigsten geachtet fühlt?
Kruse: Ich glaube, kurioserweise bezieht das fast jeden mit ein, der für fürsorgliche Tätigkeiten zuständig ist. Alles das, was wir im Bereich Fürsorge tun, da wo es um Kinderbetreuung, Altenpflege, Krankenpflege geht, also die Dinge, die nicht unmittelbar einen Leistungsbeitrag bringen, den man messen kann, da wo man so hingehen kann und sagen kann ja, der hat das und das gemacht und das hat das und das gebracht, alle Menschen, die in diesem Bereich tätig sind, leben von der Anerkennung und von dem Respekt. Diese Anerkennung, dieser Respekt wird in diesem Kontext nicht mehr gegeben. Und wenn man sich mal zurück entsinnt: Wir sind irgendwann mal selbst hingegangen und haben versucht, sozusagen Arbeitsprinzipien, die in der Industrie gelten, auf diese Bereiche zu übertragen, und ich weiß noch, wie absurd das war, wenn da plötzlich für Therapiegespräche Zeiten gemessen werden und Häufigkeiten des Kontaktes. Wir können nicht eine industrielle Denke in diese Bereiche reintragen und ich glaube, dass wir dort in erster Linie eine Redefinition von Wert brauchen. Wenn wir das nicht wieder schaffen, diese Anteile der Gesellschaft so zu werten wie sie es verdienen, wenn wir nicht wieder den Respekt und die Anerkennung dort reintragen, wo Menschen ihre Zeit geben, dann haben wir eben diese Schwierigkeit, dass sich die, die im Hintergrund eine unglaubliche Tätigkeit machen, nicht mehr gewürdigt fühlen, und dann brechen uns diese Hintergründe weg. Wir können auf jeder Bühne leben, aber wenn am Ende die Bühne nicht mehr getragen wird, dann wird es keine mehr geben, die darauf eine Leistungselite darstellen können. Das heißt, die Basis geht uns dann verloren.
Liminski: Wie reagieren die Menschen auf das Wort "Liebe"?
Kruse: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, das ist eine Riesensehnsucht, die da im Moment ist. Man kann das ein bisschen missverstehen. Ich habe irgendwie jetzt gerade eine Studie gelesen, da war das Wort "Wohlfühlgesellschaft" da. Ich glaube, was die Leute nicht mehr wollen ist diese Wohlfühlgesellschaft. Es geht nicht darum, sich wohl zu fühlen, sondern es geht darum, miteinander Sinn zu stiften. Die Menschen sind sehr, sehr sensibel geworden, bezogen auf Lebenssinn. Das heißt, die Grundsatzfrage ist nicht Spaß, sondern Freude und Glück. Spaß haben wir viele Jahre lang versucht, miteinander zu realisieren. Spaß bedeutet immer, wenn Sie so wollen, keine Anstrengung, man fährt sozusagen bergab, wunderschön, das gleitet. Aber die Leute wollen heute wieder bergauf. Die Leute wollen kulturelle Reichhaltigkeit aufbauen. Die wollen, wenn Sie so wollen, vom Spaß zum Glück und es ist eben kein Zufall, dass Bücher, die sich mit dem Thema Glück zurzeit beschäftigen, durchaus Bestseller-Charakteristik haben.
Liminski: Darf man wissen, was der Bundespräsident zu dieser Studie, zu Ihren Arbeiten sagte?
Kruse: Ich glaube, da waren zwei Dinge, die für ihn interessant waren. Das eine: Ich glaube, er hat einigen Optimismus daraus geschöpft, dass es diese Kehrtwende zur Sinnstiftung gibt. Die Tatsache, dass Menschen eine Kategorie entdecken, die jenseits von trivialer Leistung, jenseits von Ökonomie Gültigkeit hat, hat ihn sehr optimistisch gemacht, so nach dem Motto "wenn wir diese Potenziale haben und wir das über Sinnstiftung heben können, dann haben wir eine gute Basis". Und das Zweite war, glaube ich: Er ist sehr nachdenklich geworden in diesem Begriffkontext Respekt und Anerkennung. Das ist ja neben aller Hilfe, die man geben kann, etwas, was in Kommunikation, was sozusagen feinstofflich zwischen uns stattfindet. Sind wir wirklich in der Lage, noch ein Klima der Anerkennung und des Respekts aufzubauen für Menschen, die ihre Zeit geben für Menschen? Wenn wir das nicht können, dann kriegen wir Probleme, und ich glaube, dieser Teil ist ihm sehr bewusst geworden angesichts dieser Daten.
Liminski: Mehr Solidarität, mehr Achtung vor der Lebensleistung, die Trends im Werteverhalten. Das war hier im Deutschlandfunk Professor Peter Kruse, Chef der nextpractice GmbH in Bremen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Kruse.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/945969/
LG Lilu
"Immer weigere ich mich, irgendetwas deswegen für wahr zu halten, weil Sachverständige es lehren, oder auch, weil alle es annehmen.
Jede Erkenntnis muss ich mir selbst erarbeiten. Alles muß ich neu durchdenken, von Grund auf, ohne Vorurteile."
Albert Einstein (1879-1955)
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