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Eva S.
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New PostErstellt: 24.04.09, 02:56     Betreff: Re: Vorschlag zu einer Verfassungsreform

R.E.D. 2 - Noch Älter. Härter. Besse...

In der "Westwelt" Deutschlands hatte man die demokratischen Rechte der französischen Revolution weitgehend gesichert. Die soziale Oktoberrevolution dagegen empfand man als fortwirkende, ernste Bedrohung. Das Schisma, das Bloch beschrieben hatte, war zu einem nationalen Schisma der Deutschen geworden. Zwischen dem Reich der Freien und dem Reich der Gleichen verlief der Stacheldraht.

Doch auch in der Bundesrepublik hatte man sich mit der Sozialstaatlichkeit eine eigene, bescheidene soziale Utopie gegeben. Diese Utopie war klein auf dem Papier der Verfassung. In der Wirklichkeit wuchs sie sich jedoch ganz beachtlich aus. Das lag nicht nur daran, dass die Bundesrepublik sich aus der Asche zu einer der stärksten Wirtschaftsmächte der Welt entwickelte. Es lag auch daran, dass man im Osten des Landes ein Paradies der sozialen Gleichheit versprach. Am 17. August 1956 formulierten die Richter des Bundesverfassungsgerichts eine großzügige Interpretation des schmalen sozialen Verfassungstextes.

Ich zitiere:

"Die freiheitliche Demokratie ist von der Auffassung durchdrungen, daß es gelingen könne, Freiheit und Gleichheit der Bürger trotz der nicht zu übersehenden Spannungen zwischen diesen beiden Werten allmählich zu immer größerer Wirksamkeit zu entfalten und bis zum überhaupt erreichbaren Optimum zu steigern."

Es ist ein Satz, der im Bundestagswahlprogramm der LINKEN stehen könnte, ja müsste. Es ist aber auch ein Satz, dessen Hintergrund noch bemerkenswerter ist, als sein Inhalt. Denn der Satz stammt nicht aus einer der vielen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zum Umfang der bundesdeutschen Sozialstaatlichkeit. Die Passage entstammt vielmehr der Begründung eines Urteiles, mit dem das Gericht die Kommunistische Partei Deutschlands verbot.

Der Zusammenhang liegt auf der Hand: Das Gericht versprach der Gesellschaft, dass es unnötig sei, für das Ziel sozialer Gleichstellung den demokratischen Staat zu stürzen. In einem reichen Land sei das Optimum zwischen Freiheit und Gleichheit schließlich viel mehr als ein Almosen und der Reichtum sei immer auch Allgemeingut. Dies war der Leitgedanke, der lange Zeit in der Bundesrepublik Früchte trug. Die Renten stiegen auf ein erträgliches Maß. Die Krankenversorgung verbesserte sich stetig. Die Unterstützungsleistungen für Arbeitslose und Berufsunfähige entwickelten sich günstig. Der Staat geizte nicht bei der Förderung der Bildung der sozial Schwächeren. Die Schichten der Gesellschaft wurden durchlässiger und der Gegensatz zwischen Arm und Reich klaffte weit weniger stark auseinander als heute.

Zu den Lebenslügen der westdeutschen Gesellschaft gehört die irrige Vorstellung, dass man sich diese soziale Entwicklung nur selbst zu verdanken hatte. Wäre dem so, so würde die Entwicklung heute noch stattfinden.

In Wahrheit war das Ringen um mehr Gleichheit in der Freiheit auch dem Systemwettstreit geschuldet. Die Bundesrepublik suchte nicht nachhaltig nach der Formel für eine Einheit aus Wirtschafts- und Sozialpolitik. Aber sie war immerhin ein Land, das dichte Netze spann, um Menschen vor Elend und Erniedrigung zu bewahren. Der Kapitalismus musste zu seinem Überleben beweisen, dass auch er für sozialen Fortschritt sorgen konnte. Und ausgerechnet Ernst Bloch sollte ihm dabei helfen.

Man sagt, die Leipziger Studenten der fünfziger Jahre liebten Bloch. Vielleicht auch deshalb, weil das Hoffen das Privileg der Jugend ist und der seinerzeit über 60jährige ihnen mit seiner Hoffnungsphilosophie zeitlos jung erscheinen musste. Ich stelle mir vor, dass sie gemeinsam hofften, ein Deutschland aufzubauen, das mit allen Übeln seiner Vergangenheit gebrochen hatte.

Ein Land ohne Nazis in den Führungsetagen von Wirtschaft und Politik.

Ein Land des Friedens.

Ein Land ohne Ausbeutung und mit gerecht verteiltem Wohlstand.

Ein Land, in dem jeder frei leben, frei sprechen und denken kann.

Ein Land, in dem man die Unfähigkeit der Mächtigen offen kritisieren darf.

Ein Land, in dem die Wahrheit diskutiert und nicht verordnet wird.

Ein Land, in dem das Schisma des Humanismus überwunden wird.

- 1957 reichte es dann der SED.

Ernst Bloch wurde zwangsemeritiert. Er galt fortan als Verführer der Jugend.

Vielleicht hat ihn das stolz gemacht. Sokrates hatte man dasselbe vorgeworfen. Aber dem reichte man den Giftbecher. Bloch wurde nur schikaniert. Seine Schriften wurden nicht mehr gedruckt. In der Öffentlichkeit durfte er nicht mehr auftreten. Für einen Philosophen bedeutet das natürlich Arbeitsverbot.

Nach dem Bau der Berliner Mauer ging er 1961 in die Bundesrepublik. Nun wählte er doch das andere Deutschland. Kenner seiner Schriften sagen allerdings, dass sich seine Philosophie damit nicht ein Stück änderte. Er vertrat dieselben Kernthesen mit denselben Argumenten. Es ist wohl nur so, dass es ihm leichter fiel, in der Welt der Freiheit für mehr Gleichheit zu kämpfen, als in der Welt der Gleichheit für mehr Freiheit.

In der alten Universitätsstadt Tübingen hielt er seine Antrittsvorlesung unter dem Titel: "Kann Hoffnung enttäuscht werden". Bloch antwortete fröhlich: "Gewiss kann sie das - und wie." Doch bis zu seinem Tod hoffte er weiter. Er wurde zu einem lehrenden Teil der Studentenbewegung. Er kämpfte gegen die Neutronenbombe, gegen die Notstandsgesetze, gegen den Abtreibungsparagraphen, gegen Berufsverbote für Linke und immer wieder für die Gleichheit der freien Menschen. Die kulturelle Revolution der Studenten wäre ohne ihn anders verlaufen. (1977 starb er.)

Die Bundesrepublik fand nie zu einem Optimum bei der Vermittlung von Freiheit und Gleichheit. Noch schlimmer ist, dass sie die Suche nach diesem Optimum plötzlich aufgab. Im Herbst 1989 stürzten die Menschen in der DDR den real existierenden Sozialismus und damit das Konkurrenzmodell zur Bundesrepublik. Als sie im Frühjahr 1990 die Wiedervereinigung forderten, entschieden sie sich nicht nur für Freiheit. Sie votierten für Freiheit in sozialer Sicherheit. Die geschichtliche Ironie ist bitter: Mit diesem Votum endete der Systemwettstreit und damit die Chance, dieses Votum einzulösen.

Sogar die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung räumte genau das unlängst in einem Artikel ein. Ich zitiere das einmal. Trotz der begrifflichen Unschärfe im Zitat.

"Manchem wird erst jetzt bewusst, wie sehr die Konkurrenz des Kommunismus, solange sie bestand, auch den Kapitalismus gebändigt hat." (Ende des Zitates.)

1989 endete nicht nur der erste historische Sozialismus. Sondern es endete vorerst auch der Kampf des Kapitalismus um sein Dasein. Das Grundgesetz wurde die Verfassung des geeinten Deutschlands. Doch seine kleinen sozialen Passagen wurden nun plötzlich ganz anders gelesen oder schlicht ignoriert. Auch die Interpretation des Bundesverfassungsgerichtes - die ich zitierte - geriet in Vergessenheit. Ab der Mitte der 90ziger Jahre setzte ein massiver Rückbau sozialer Leistungen ein.

Die soziale Utopie der Verfassung errichtete man einst unter den allerschlimmsten wirtschaftlichen Bedingungen. Nun sollten die behaupteten Bedürfnisse einer blühenden Wirtschaft herhalten, um Sozialabbau zu rechtfertigen.

Die Staatsdoktrin der neoliberalen Politik wurde die Brotkrumentheorie: Man müsse die Tische der Reichen füllen, bis sie sich biegen - dann fielen auch allemal genug Krümel in die Münder der Armen hinab. Die Brotkrumentheorie besagt: In einer weltweiten Finanzkrise muss man wieder viel Brot auf die Tische der Banken und Unternehmer stellen, sonst fehlt es an Krümeln für die Arbeitnehmer. Nur von der gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Brotes handelt diese Theorie schon im Ansatz nicht.

Sie hat nichts zu tun mit der Suche nach dem Optimum zwischen Freiheit und Gleichheit. Sie ist die Verachtung dieser Suche. Sie ist die Verachtung der Hoffnung auf die Erfüllung der humanen Utopie.

(*)

Kann Hoffnung enttäuscht werden? - Ja.

Muss man sich mit der Hoffnung mäßigen, wenn sie enttäuscht wurde? - Nein.

Was sollen wir schlussfolgern aus einem Kapitalismus, der zu sozialen Leistungen nur unter großem Druck fähig ist? - Dass wir wieder Druck machen müssen!

Wie gehen wir um mit den gescheiterten Versuchen, soziale Grundrechte in die Verfassung einzuführen? Wir versuchen es wieder!


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