Forum Grundeinkommen
Offenes Forum zum Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen"

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Autor Beitrag
Manuel Franzmann
(Administrator)

Beiträge: 132

New PostErstellt: 08.08.04, 01:35     Betreff: Re: @ Manuel Franzmann&Silas Bernd; >Negative Einkommenssteuer/Grundeinkommen

Lieber Herr Jacobi,

ich kann Ihnen darin voll zustimmen, wie Sie die Unterschiede zwischen den
bisherigen Transferzahlungsformen und der Negativen Einkommenssteuer
herausarbeiten. Und daß eine Negative Einkommenssteuer auch sehr viel
liberaler als die gegenwärtigen Transferzahlungen wäre, habe ich ja selbst
schon gesagt. Aber ich finde es sachlich durchaus angemessen, auch noch bei
der Negativen Einkommenssteuer von Bedürftigkeitsprüfung zu sprechen.
Geprüft würde vom Finanzamt, ob jemand über das als zum Leben nötig
erachtete und demgemäß definierte Mindesteinkommen verfügt oder aber zum
Erreichen dieses Mindesteinkommens eine Transferzahlung braucht. Was nicht
geprüft wird, ist die Lebenslage bzw. ob sich jemand im Prinzip aus der
Situation der Einkommensbedürftigkeit befreien könnte. Und das macht die
Negative Einkommenssteuer so liberal, und gegenwärtig geht die
Bedürftigkeitsprüfung natürlich sehr viel weiter, so daß tendenziell die
ganze Lebensführung in den Blick der Sozialbürokratie gerät. Aber ein Stück
Bedürftigkeitsprüfung ist eben meiner Meinung nach auch noch in der
Negativen Einkommenssteuer enthalten.

Was das bedingungslose Grundeinkommen betrifft, so bedeutet dieses,
zumindest solange die Grundeinkommenszahlung zum Leben und zur
gesellschaftlichen Teilhabe in elementarsten Hinsicht wirklich ausreichend
ist, tatsächlich die Möglichkeit, ein Leben jenseits der
Erwerbsarbeitssphäre als etwas Positives zu führen. Und ich mache regelmäßig
die Erfahrung, daß genau dieser Punkt von den meisten Menschen, denen
gegenüber man das bedingungslose Grundeinkommen als Idee einer Sozialreform
bezeichnet, sofort intuitiv treffsicher erkannt wird. Und dieser Punkt wird
auch oft, ohne daß er zuvor benannt worden wäre, als Ablehnungsgrund von den
Widerständigen selbst angeführt, was ein Beleg für die These ist, daß es
beim bedingungslosen Grundeinkommen in ausreichender Höhe vor allem um
diesen fundamentalen Punkt geht. Das ist soziologisch gesehen auch nicht
verwunderlich, bedeutet die Aufgabe der Erwerbsarbeit als Normalmodell doch
den Abschied von einem Modell, das die mehr als zweihundertjährige
Geschichte der Industrienationen geprägt hat. Das ist in der Vergangenheit
ein wichtiger gesellschaftlicher Kitt gewesen, und zwar nicht zuletzt
deswegen, weil darin zugleich ein sehr erfolgreiches Modell von Gleichheit
und Gerechtigkeit realisiert war (siehe dazu den hier im Forum unter
"Dateien" zugänglichen Text des Soziologen Ulrich Oevermann, der dies an
Luthers Berufsethik herausarbeitet). In der Bindung an die
Erwerbsarbeitsethik waren sich ja bei aller Verschiedenheit und
Gegensätzlichkeit der Interessen Unternehmer wie Arbeiter gleich. Beide
bezogen ganz wesentlich ihren Stolz aus ihrer im Beruf erbrachten
Arbeitsleistung, der ihnen wiederum die gesellschaftliche Teilhabe sicherte.
Dieses Modell funktioniert aber natürlich nur, solange es für alle
Arbeitsplätze gibt bzw. solange die realistische Chance auf die Erlangung
von Vollbeschäftigung nach konjunkurellen Einbrüchen besteht. Angesichts der
Rationalisierungsfortschritte ist das aber gerade ins Reich des Irrealen
gerückt. Wenn das aber wirklich so ist, dann ist es doch nur sinnvoll, bei
der Popularisierung der Grundeinkommensidee bewußt die Konfrontation mit den
bestehenden Widerständen zu suchen. Man darf es dabei nur nicht beim bloßen
Propagieren der Grundeinkommensidee belassen. Man muß die Widerständigen
schon in eine Debatte zu verstricken suchen, in der sie die Gründe für ihren
Widerstand verbalisieren. Und dann kann man sie bei diesen Gründen packen
und die Substantialität ihrer Widerstände offen diskutieren und dann
möglicherweise ausräumen. Man kann darin die "Erwerbsarbeitsethik" ja
durchaus in ihrer historischen Berechtigung würdigen und darauf verweisen,
daß sich bei einem bedingungslosen Grundeinkommen das Berechtigte der
Erwerbsarbeitsethik ja wahrscheinlich in universalisierter Form fortsetzt,
im Hegelschen Sinne "aufgehoben" wird, um einen von Michael Opielka (und mir
ebenfalls) geschätzten Theoretiker zu zitieren, nämlich als Ethik sinnvollen
Tätigseins. Und auch Sanktionsmöglichkeiten bei der Verschwendung von
Lebenszeit wird es weiterhin und in universalisierter Gestalt geben, in
Gestalt der Wertschätzung, die andere einem nicht entgegen bringen.

Würde man dagegen vor den existierenden Widerstände zurückweichen und diese
nicht auf die skizzierte Weise offen angehen, hätte man aus meiner Sicht,
was die Durchsetzung eines bedingungslosen Grundeinkommens betrifft, schon
von Anfang an verloren.

Mit besten Grüßen
Manuel Franzmann
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