Forum Grundeinkommen
Offenes Forum zum Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen"

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Autor Beitrag
Manuel Franzmann
(Administrator)

Beiträge: 132

New PostErstellt: 01.09.04, 19:00     Betreff: Re: Änderung des Lohngefüges bei einem Grundeinkommen

"Unfreiwillige Arbeitslosigkeit entsteht nicht durch Technik, sondern durch
schlechte Politik, insbesondere auch bei der Lohnentwicklung."

Welche Politik wäre denn die richtige? Etwa das Senken der Lohnnebenkosten
und die Verbilligung der Ware Arbeitskraft, wie sie gegenwärtig Land auf
Land ab gepredigt wird? In meinen Augen wäre es eine Illusion zu glauben,
die Massenarbeitslosigkeit sei bloß die Folge eines Lebens über den
Verhältnissen seit Mitte der 1970er Jahre. Was, wenn das nicht stimmt,
sondern tatsächlich die Rationalisierungsdynamik ein Niveau erreicht hat,
daß grundsätzlich die Zahl der neugeschaffenen Arbeitsplätze die Zahl der
wegrationalisierten nicht mehr ersetzen kann? Soweit ich das beurteilen
kann, sind in den Wirtschaftswissenschaften gegenwärtig überhaupt noch nicht
die geeigneten analytischen Instrumente entwickelt, diese Frage empirisch
befriedigend zu klären, so daß wir gesellschaftlich Gefahr laufen, der
Illusion der Möglichkeit einer Rückkehr zur Vollbeschäftigung
hinterherzulaufen. Wenn man empirisch die Frage klären möchte, ob die
Rationalisierungsdynamik ein Schrumpfen des Arbeitsvolumens zur Folge hat
(das ja bei den meisten Industrienationen tatsächlich schon seit Jahrzehnten
zu konstatieren ist), so daß nicht mehr für alle Erwerbsarbeit vorhanden ist
und ein Abschied von Erwerbsarbeit als Normalmodell zwingend geboten
scheint, dann muß man aus meiner Sicht über die einschlägigen
wirtschaftswissenschaftlichen, statistischen Indikatoren hinaus auch den
konkreten Arbeitsplatzbestand analysieren und dabei die unausgenutzten
Rationalisierungspotentiale einbeziehen. Dann muß man sich genau anschauen,
welche Arbeitsplätze angesichts der Rationalisierungspotentiale überhaupt
noch notwendig sind und naturwüchsig nachgefragt werden und welche
Arbeitsplätze nur noch aufgrund politischer Stützmaßnahmen (etwa einer
staatlich subventionierten Verbilligung von Arbeitskraft) aufrechterhalten
werden. Meine These ist, daß wir es bereits in großen Teilen der Arbeitswelt
mit Beschäftigungsverhältnissen zu tun haben, die eigentlich längst
rationalisiert werden könnten, wenn es nicht politisch und gesellschaftlich
immer noch die Bindung an Erwerbsarbeit als Normalmodell gäbe. Diese Bindung
zeigt sich etwa bei Unternehmern daran, daß sie eben nicht offensiv
rationalisieren und rationalisieren können, obwohl dies eigentlich ihre
Aufgabe wäre (als Unternehmern sind sie aus meiner Sicht primär der
Wertschöpfung verpflichtet). Sie müssen vielmehr in einer Gesellschaft, in
der Erwerbsarbeit als Normalmodell gilt, zugleich auch Arbeitgeber sein, was
ihre Rolle als Unternehmer gegenwärtig extrem restringiert. Entsprechend
können sie im Prinzip nur dann Arbeitsplätze wegrationalisieren, wenn sie
dies gegenüber der Öffentlichkeit mit Blick auf das Überleben des
Unternehmens rechtfertigen können. Man muß sich einmal grundsätzlich klar
machen, was das für eine enorme Bremse für die Entwicklung der Wertschöpfung
bedeutet. Noch vor Jahren war es eine Selbstverständlichkeit, das hohe
Lohnniveau in Deutschland mit dem hohen Qualifikationsgrad der Bevölkerung
in Beziehung zu setzen. Man war sich damals also durchaus bewußt, daß man in
Konkurrenz zu anderen Ländern und Volkswirtschaften stand, gründete aber das
Selbstbewußtsein aus dem gesellschaftlichen Entwicklungsabstand zu anderen
Ländern. Und in der Tat gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem
Lohnniveau, dem Qualifikationsgrad und der Produktivität einer
Volkswirtschaft. Wenn man diesen Zusammenhang jedoch beherzigt, dann muß es
oberstes Ziel sein, den Unternehmern die Möglichkeit der radikalen
Ausnutzung von Rationalisierungsmöglichkeiten zu geben und auch das
Qualifikationsniveau der Bevölkerung weiter befördern. Beides ist ohne ein
ausreichendes, bedinungsloses Grundeinkommen illusorisch. Nur ein solches
Grundeinkommen befreite die Unternehmer grundsätzlich von ihrer Rolle als
Arbeitgeber. Und wohin die gegenwärtige Hochschul-"Reform"-Politik führt,
davon könnte ich ein Lied singen: zu einer Verflachung von Bildung und
Ausbildung und entgegen anderslautender Absichtserklärungen zur
fortschreitenden Beschneidung der Autonomie. Im übrigen tut eine Politik wie
Hartz IV ihr übriges dazu, daß vorhandene Qualifikationspotentiale ungenutzt
bleiben und Menschen in unproduktive Billiglohn-Jobs hineingedrängt werden,
was langfristig natürlich auf eine fortschreitende Dequalifizierung der
Bevölkerung hinauslaufen wird. Man merkt offenbar gar nicht, daß man sich
den Ast eines hohen Qualifikationsniveaus der Bevölkerung und einer
hochproduktiven Wirtschaft als Grundlage für das Lohngefälle zu anderen
Ländern zunehmend absägt, obwohl man eigentlich das Gegenteil zu erreichen
sich vornimmt.

Ein ausreichendes bedingungsloses Grundeinkommen würde nicht nur die
Unternehmer von ihrer Rolle als Arbeitgeber befreien und ihnen ermöglichen,
radikal zu rationalisieren und die Wertschöpfung voranzutreiben. Es würde
zugleich die strukturellen Bedingungen zur geistigen Fortentwicklung von
Technologien und Rationalisierungsmöglichkeiten radikal verbessern, weil die
für kreative Einfälle notwendige Bedingung der Muße in der Breite der
Gesellschaft verfügbar wäre und auch Bildungsprozesse in einem Ausmaß
ermöglichte, was bislang unbekannt war. Hier ist übrigens die
"Open-Source-Bewegung" in der Softwareentwicklung ein instruktiver Fall, der
ahnen läßt, was für Potentiale mit einem Grundeinkommen freigesetzt werden
könnten. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde zugleich ein in der
Menschheitsgeschichte ungekanntes Ausmaß an Autonomie bereitstellen, und
ohne Autonomie ist gewissermaßen das Schmiermittel der Kreativität.

Mit besten Grüßen
Manuel Franzmann
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