Forum Grundeinkommen
Offenes Forum zum Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen"

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Peter Voss

Beiträge: 123

New PostErstellt: 21.10.04, 11:45     Betreff: Re: Parteien/Politiker gewinnen

Sehr geehrte Marion, sehr geehrter Herr Franzmann,

ich habe in diesen Tagen kaum Zeit substantiell in diese Debatte einzugreifen.

Aber für einige Sätze muss zu diesem Zeitpunkt Raum sein.

Der Organisationsprocent ist hoch, jedoch fallend, in DK. Doch sind viele, die ausserhalb des Arbeitsmarktes sind (kein Arbeitsangebot im laufe eines Jahres), sind nicht in der Gewerkschaft. Alle, die zwischen 15 und 65 sich befinden und weder unter Ausbildung sind oder eine Arbeit haben, können mit runden Zahlen zu 850.000 bis 900.000 zusammengezählt werden. Von diesen sind nur sehr wenige in den Gewerkschaften.

Was die Gewerkschaften selbst angeht, stehen die meisten von ihnen auch fest auf dem
Boden des monetarischen neuen Liberalismus als der tragenden ökomischen Ide.
Deshalb sind Gewerkschaften kaum besonders effektive Gegenspieler. Sie verstehen die Position des Gegners zu gut.

Die Frage om den Mindestlohn, auf die ich im Laufe von ein bis zwei Wochen noch zurückkommmen werde, ist deshalb so wichtig, weil die Aktivierung bei uns gezeigt hat, und was sich sehr bald nach Einführung von Hartz 4 auch in Deutschland beweisen wird. dass man Leute entlässt, besonders auch im öffentlichen Sektor und dann z. B. arbeitslose Ingeniøre, Wirtschaftswissenschaftlier u.A. für den Aktivlohn einstellt, bie uns beglietet mit dem Verdikt, dass man nicht klagen kann und keine Rechte erwirbt - und die Gwerkschaften denken nur an die bei ihnen Organsierten.

Die Steuereinnahmen fallen natürlich, weil auch die privaten, z.B. Handwerksfirmen,
Taxiunternehmen dem öffentlichem Vorbild folgen. Was das an Angst nach ober befördert
wird sich bald erweisen. Hier fühlen sich sogar hohe Ministerialbeamte, die bei uns häufig im Angestelltenverhältnis arbeiten, dem Stress, die Arbeit wohlmöglich zu verlieren,
ausgesetzt.

Wieviel mehr liesse sich jemand erpressen, der Bedarf für wenig hat, aber dieses wenige haben muss, fx. lebenswichtige Medizin. Die Leute gehen ja bis auf die Flise, was man früher bei uns deutlich am Überangebot an Nutten sehen konnte, wenn die halbjährlichen
Termine für die Realkredite am 11. Juni oder am 11. *Dez. bezahlt werden mussten. Man möge von hier aus auf andere Notsituationen schliessen. Das Endziel ist ja immerhin, dass das BGE auf einem so hohem Niveau gegeben werden kan, dass normalrechnende Personen nicht in Zwangssituationen zu kommen brauchen, in denen sie sich arbeits- und anders prostituieren müssen. Und dieses BGE will finanziert sein. Hierzu gehören Leute, die genügend verdienen, und die die Industrie aus Kostengründen versuchen muss wegzurationalisieren um weiterhin oben auf zu bleiben durch Produkte, die von teuren Mitarbeitern produziert werden.

Dies ist sozusagen ein dramatische, zirsensische Akt ohne Netz und doppeltem Boden.

Mit freundlichem Gruss
Peter Voss
----- Original Message -----
From: Manuel Franzmann
To:
Sent: Wednesday, October 20, 2004 5:10 PM
Subject: [Mailingliste-Grundeinkommen:] Re: Parteien/Politiker gewinnen


Liebe Marion,

kurz ein paar Kommentare zu einigen Ihrer Ausführungen.

"Ja, genau deshalb und weil man es m.E. auch nicht den regulierenden
Kräften des Marktes überlassen kann, wie sich der erste
Arbeitsmarkt zukünftig entwickeln soll. Ein geschwächter erster
Arbeitsmarkt kann fatale Folgen hinsichtlich des Binnenmarktes
nach sich ziehen, desweiteren auch steigende Zinsprobleme zur
Folge haben, worauf ja auch schon Ernst Ullrich Schultz in seiner
Antwort auf meinen diesbezüglichen Beitrag hingewiesen hat. "

Also Ihre Behauptung, ein ausreichendes Grundeinkommen ohne
Mindestlohnpolitik würde den ersten Arbeitsmarkt schwächen, ist in meinen
Augen ziemlich abstrakt, und eine Begründung für diese Behauptung kann ich
bislang auch noch nicht erkennen. Daß ein geschwächter erster Arbeitsmarkt
fatale Folgen für den Binnenmarkt haben kann, okay. Aber das ist ja nur ein
Argument gegen das, was ich ausgeführt haben, wenn ein ausreichendes
Grundeinkommen ohne Mindestlohnpolitik den ersten Arbeitsmarkt schwächen
würde, und das sehe ich nicht. Welche Veränderung die Einführung eines
Grundeinkommens im Hinblick auf die Massenkaufkraft nach sich ziehen würde,
ist eine interessante Frage. Die Kaufkraft von Familien würde in jedem Falle
gestärkt. Und das gegenwärtige Problem der Kaufkraftschwächung aufgrund des
vermehrten Sparens (das vor dem Hintergrund der gegenwärtig bestehenden
Aussicht auf weitere Belastungen im Rahmen der Reform des
Sozialversicherungssystems und der Angst vor Arbeitsplatzverlust und der
Hartz IV-Gängelei steht) dürfte sich wohl auflösen, da das Grundeinkommen
ein Basiseinkommen und damit eine gesicherte Autonomie bietet, vor deren
Hintergrund sich optimistischer in die Zukunft blicken läßt. Aber diese
Frage wäre sicherlich noch genauer in den Blick zu nehmen.

" Das ist doch das Problem! Die Gewerkschaften in Deutschland sind
leider schon lange nicht mehr so stark, wie oft vermutet wird.
Frankreich hat z.B. auch den Mindestlohn eingeführt (ebenso
Luxembourg und die allermeisten anderen europäischen Länder!).
Erstaunlicherweise hat Frankreich jedoch im Verhältnis zur
Bundesrepublik starke Gewerkschaften (ebenso Dänemark und die
anderen skandinavischen Länder, was sich ja unschwer am
Organisationsgrad ablesen läßt - hier schneiden wir z.B. sehr
ungünstig ab!) "

In Deutschland waren Ende 2000 rund ein Drittel aller abhängig Beschäftigen
gewerkschaftlich organisiert mit fallender Tendenz. Insofern haben Sie
recht. Trotzdem galten die von den deutschen Einheitsgewerkschaften
ausgehandelten Tarifverträge so gut wie flächendeckend (!), und zwar aus
folgendem Grund: der Organisationsgrad der Unternehmen in den
Arbeitgeberverbänden, die den Gewerkschaften als Verhandlungspartner
gegenüber stehen, ist sehr viel höher. Er betrug bis vor kurzem noch an die
80 Prozent der relevanten Unternehmen. Darüber hinaus hat der Wirtschafts--
und Arbeitsminister die Befugnis, in Unternehmen und Branchen, in denen es
zu keinem Abschluß eines Tarifvertrages kommt, existierende Tarifverträge
als allgemeingültig zu erklären. Das ist dann etwas ähnliches wie ein
gesetzlicher Mindestlohn, gewissermaßen eine Notfallbefugnis des
Gesetzgebers für die bleibenden Lücken im System der Tarifautonomie.
Übrigens ist das soziologisch gesehen sehr aufschlußreich, kann man daran
doch ablesen, daß die Frage der Mindestsicherung letztenendes die gesamte
politische Gemeinschaft betrifft und daß sie vor dieser Frage in letzter
Instanz nicht fliehen kann. Wenn die Autonomie der Tarifvertragsparteien
nicht zu einem im Hinblick auf ein menschenwürdiges Mindestniveau
befriedigendes Ergebnis kommt, dann fällt das Problem der politischen
Gemeinschaft bzw. den politischen Repräsentanten wieder in den Schoß, und
das Institut der Allgemeinverbindlichkeitserklärung bringt diese
Strukturproblematik zum Ausdruck.
Wenn ich von der Stärke der deutschen Gewerkschaften gesprochen habe, dann
meinte ich die hohe Deckungsrate des Tarifvertragssystems. Die
Gewerkschaften haben bislang eben fast flächendeckend das Interesse der
Mindestsicherung wahrgenommen, obwohl sie qua Mitgliedschaft mittlerweile
nur eine Minderheit repräsentieren, was bei fortschreitendem
Mitgliedschaftsschwund zunehmend Legitimationsprobleme aufwirft. In
Frankreich ist eine Mindestlohngesetzgebung schon allein deswegen
erforderlich, weil es dort kein ähnlich flächendeckendes Tarif-System wie in
Deutschland gibt. Es gibt dort ja auch nicht nur eine Gewerkschaft pro
Industriezweig, sondern gleich mehrere, eine christliche, eine
kommunistische, eine sozialistische, etc.. Das ganze System ist weniger
verrechtlicht als in Deutschland.
Aber Sie haben recht, würde es die hohe Verrechtlichung des deutschen
Systems nicht geben, dann könnten die Gewerkschaften gegenüber einzelnen
Unternehmen eine größere Macht entfalten. Der höhere Organisationsgrad der
Unternehmen in den Tarifverbänden im Vergleich zu den Arbeitnehmern ist ja
auch Ausdruck des Umstands, daß die Mitgliedschaft eines Unternehmens in
einem Arbeitgeberverband das Unternehmen davor schützt, daß es als
Einzelunternehmen mit einer großen Gewerkschaft konfrontiert wird. Der
Vorteil des deutschen Systems ist die hohe Verbindlichkeit für alle und die
geregelte Weise der Aushandlung des Interessengegensatzes zwischen Kapital
und Arbeit, wodurch eine enorme Begrenzung von Produktionsausfällen infolge
von Streiks erreicht wird. Das ist zweifellos ein Baustein dafür, daß in
Deutschland die Arbeitsproduktivität in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg
im Vergleich zu anderen Industrienationen so stark gestiegen ist und im
Durchschnitt deutlich höher ist als in den USA. (Um so unverständlicher, daß
man in Deutschland sich arbeitsmarktpolitisch zuweilen an den USA
orientiert.)
Ich halte daher die Hoffnungen, die Sie in die gewerkschaftlichen Strukturen
Frankreichs und anderer Länder setzen, in denen gesetzliche Mindestlöhne
eine größere Rolle spielen (in den USA ja ebenfalls), für unberechtigt.

" Dies gilt allerdings auch für Berufe des ersten Arbeitsmarktes, bei
denen im klassischen Marx'schen Sinn keine Wertschöpfung
stattfindet, z.B. im sozialen Bereich (Schulen, Kindergärten,
Krankenhäuser und viele andere öffentliche Einrichtungen), die
sich allerdings kaum weiter rationalisieren lassen und hier liegt
m.E. die Gefahr, denn gerade in diesen Bereichen sollen nun
verstärkt Ein-Euro-Jobs geschaffen werden. Ich denke, dies sollte
man im Hinblick auf den ersten Arbeitsmarkt im Auge behalten. "

Die Schaffung von Ein-Euro-Jobs erfolgt aber auch mit Druckmitteln.
Erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger oder Arbeitslosengeld II - Empfänger, die
keine Arbeit finden, werden ja in diese Jobs bei Androhung von
Leistungsentzug hineingedrängt. Das ist etwas ganz anderes als unter
Bedingungen eines Grundeinkommens. Das möchte ich doch mal festhalten und
verstehe es daher nicht, warum Sie mir das vorhalten.

"Es gibt auf dem ersten Arbeitsmarkt durchaus Berufe, in
denen nicht weiter rationalisiert werden kann und wo Hartz IV
durchaus fatale Folgen nach sich ziehen kann. "

Schon richtig. Aber darum ging es in unserer Kontroverse doch auch nicht. Es
ging nach meinem Verständnis um die Frage, inwiefern zusätzlich zu einem
Grundeinkommen eine Mindestlohnpolitik zwingend erforderlich ist.

Mit freundlichen Grüßen
Manuel Franzmann

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