Forum Grundeinkommen
Offenes Forum zum Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen"

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Tobias Teetz

Beiträge: 97

New PostErstellt: 29.01.05, 19:09     Betreff: Re: Schwierigkeiten bei "bedingungslosen" Grundeinkommen

Lieber Mark,

das Wohlstandsniveau in den Ländern der derzeitigen EU unterscheidet sich nicht fundamental voneinander.
Das BSP/Kopf ist in allen Staaten der bisherigen EU recht ähnlich.

Zu Deiner Feststellung:
"Kein Mensch würde bei "bedingungsloser" Einführung des Grundeinkommens mehr im Eurobereich leben wollen."
Absolut "bedingungslos" kann das Grundeinkommen nicht sein, es kann also nur für Bürger unseres Gemeinwesens gelten. Diejenigen Bürger, die in unserem Land leben, aber die deutsche Staatsbürgerschaft nicht annehmen, könnten vielleicht ein reduziertes Grundeinkommen erhalten. Diese letztgenannten Sätze wurden bereits im Forum erörtert.

Aufgrund von Krieg und dem damit verbundenen Elend, beantragten viele Bürger aus ärmeren und kriegsgeplagten Ländern Asyl in Deutschland. 1985 kamen beispielsweise 17380 (23% aller damaligen Asylsuchenden) Asylsuchende aus Sri Lanka. Auch aus anderen kriegsgeplagten Ländern, dem Libanon, dem Irak, dem Iran und Afghanistan kamen Asylflüchtlinge in hoher Zahl nach Deutschland. Die Zahl der Asylflüchtlinge aus Sri Lanka und Afghanistan in Deutschland war im Jahre 2002 etwa ebenso hoch wie die Zahl aller in Deutschland lebenden Staatsbürger aus den USA (112.900) (s. Statistisches Jahrbuch S. 65).
Nach Angaben des Statistischen Jahrbuches befanden sich im Jahr 2002 ca. 1. Mio. Bürger, die noch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft hatten, aus sehr armen asiatischen und afrikanischen Ländern in Deutschland.
In diesen ärmeren Ländern könnte man mit 200 € / Monat vermutlich ganz gut über die Runden kommen, vorausgesetzt man beherrscht die Sprache, Mentalität und wird nicht Opfer eines Gewaltverbrechens.

Der Großteil (5,8 Millionen) der ausländischen Bevölkerung in Deutschland stammt aus europäischen Ländern (der Türkei, dem armen Serbien und Montenegro, dem reichen Italien) (s. Statistisches Jahrbuch S. 65).
Der überwiegende Teil der ausländischen Bevölkerung ist in Deutschland durch Sprache, Ausbildung, Arbeit und zwischenmenschliche Kontakte fest verwurzelt.

In Serbien beträgt das BSP/Kopf (930 $/Jahr und Kopf), in der Türkei (2530 $/Kopf und Jahr), in Rumänien (1720 €/ Kopf und Jahr). Es gibt also auch in einigen europäischen Ländern Armut (s. Fischer Weltalmanach 2004, S.34-35).
Nach den durchschnittlichen Kaufkraftparitäten (internationale Kaufkraft der Währung eines Landes, um einen gleichen repäsentativen Waren- und Dienstleistungskorb zu kaufen, den man nach Umrechnung der Kaufkraft der Landeswährung in US $ in den USA erhalten würde. Wohnraum, Brot, Butter, Käse sind in ärmeren Ländern nicht so teuer!): Türkei (5830 $/Kopf und Jahr oder 486 $/Kopf und Monat), Rumänien (5780 $/Kopf und Jahr oder 482 $/ Kopf und Monat). In Deutschland liegt die durchschnittliche Kaufkraftparität bei 25240 €/Kopf und Jahr oder 2103 $/Kopf und Monat.

Ein durchschnittlicher Türke hat in der Türkei nach Kaufkraftparitäten also ca. 500 $/Kopf und Monat zur Verfügung (unberücksichtigt sind die sozialen und familiären Bindungen, das Sozialkapital). Er wäre schön dumm, wenn er in ein kaltes Land (in dem man zusätzlich heizen muß: Kosten über Kosten !) ginge. Also umgekehrt wird ein Schuh draus: Bei einer sehr geringen sozialen Absicherung von 330 € / Monat (Hartz IV) könnte sich schnell eine Auswanderungslawine in Richtung Türkei auf den Weg machen, einfach weil die Arbeitslosigkeit in der Türkei nur 10,6% beträgt (lange nicht so mies wie in Berlin oder in den neuen Bundesländern, also nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung hat ein mittelmäßig begabter ehrlicher, arbeitsloser Türke bessere Chancen in der Türkei auf Lebenswohlstand zu stoßen und weniger Chancen diesen bei Hartz IV in Berlin zu realisieren).

Ich denke natürlich auch, dass es keineswegs wünschenswert wäre, wenn Grundeinkommensempfänger ihr Geld horten, um sich dann mit einem Sack von Geld im Ausland niederzulassen - oder einfacher gleich der Grundsicherungsbehörde ihre Bankverbindung im Ausland übermitteln, damit das Geld ins Ausland transferiert wird. Vorkehrungen gegen unerwünschte Abflüsse muß man natürlich treffen, damit unser Gemeinwesen nicht mißbraucht wird.

Etwas fragwürdig ist Deine Bemerkung:
"Ich arbeite, damit der am Strand liegt"..... das kann es nicht sein.
Der Grundeinkommensempfänger in Deutschland wird sich in Zukunft solche Sprünge kaum erlauben können.
Die durchschnittlichen Spanier, Italiener oder Türken haben in ihren Heimatländern überreichlich Strände, solange sie ein Minimaleinkommen besitzen, können sie sich auch einen Strandurlaub gönnen. Das Glück der besseren Lage.

In einer Beziehung bin ich noch zögerlich bezüglich eines Grundeinkommens: Welche Antriebskräfte vermitteln die Spannung, die das Leben aufregend und gefahrvoll (z.B. der bisherige Arbeitsmarkt) machen ?
Eine Oper wie Carmen wird erst durch tiefe Leidenschaften reizvoll. Leidenschaften können eben nur durch Mut, Gefahren, Draufgängertum, Temperament hervorgerufen werden.
Gewinnt José (der zwischen beruflichem, staatlichem Pflichtbewußtsein und Leidenschaften schwankt) oder der berühmte Torero Escamillo (der die Lebensgefahr als Lebenselexier braucht) die Oberhand im Herzen von Carmen ? Diese Oper könnte im übertragenden Sinne ebenso für die soziale Grundsicherung (nach einem Modell Wohlstand für Alle - aber wo bleibt die Herausforderung, die Spannung, die Leidenschaft ? - Der schwankende José) oder dem Neoliberalismus (nach angelsächsischem Vorbild: dem Konkurrenzkampf - dem Torero des Arbeitseifers - um Arbeitsplätze und Einkommenshöhe ) stehen.
Die männlichen Arbeitshelden, die beim Bau ohne Kran und Sicherheitsvorschrift in schwindelerregender Höhe Stahlträger vernieten, unter Tage Kohle - bei ständiger Gefahr vor Grubengasexplosionen - heranschafften, die in chemischen Fabriken auf Kesseltemperaturen und Druckminderventile achten mußten - damit die Kessel nicht bersteten -, die auf Erdölplattformen schwankend ihren Arbeitsplatz suchen, die in Stahlwerken flüssiges Eisen abschöpften haben sich durch die Rationalisierung der Produktion und Konsumsättigung vermindert.
Endet der Weg unserer Kultur in der öden "schönen neuen Welt" von Huxley oder vielleicht im Zukunftsszenario "Der Zeitmaschine" nach H. G. Wells: Teilnahmslose und gleichgültige Mitmenschen ?
Könnte ein Grundeinkommen die notwendigen Spannungen und Leidenschaften aufrechterhalten (oder möglicherweise fördern und besonders das wichtige Sozialkapital wieder erhöhen - wie ich denke), die für unser Leben nötig sind ?

Zu Peter Voss und Günter Koch:

Steuererleichterung in erheblichen Umfang ginge auf Kosten der ärmeren Bevölkerungsschichten.
Beim Steuermodell nach Herrn Pelzer erhielte ein Superreicher auch formal ein Grundeinkommen, der Staat greift aber gleichzeitig so tief in die andere Hosentasche des Superreichen, dass dem Superreichen deutlich mehr weggenommen wird als bisher. Das Grundeinkommen muß nur formal richtig sein und für alle deutschen Staatsbürger gelten.

Es gibt Superreiche - wie den US Bürger George Soros - die durch Währungsspekulationen (bei der Abwertung des britischen Pfunds) recht schnell mal 1 Milliarde US $ verdient haben. Hätte nicht eigentlich die britische Regierung (zu deren Lasten die Aktion damals ging) Anspruch auf eine Einkommenssteuer auf Soros Gewinne gehabt ?


Mit freundlichen Grüßen

Tobias Teetz

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