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Forum Grundeinkommen
Offenes Forum zum Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen"
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Dieses FORUM dient der Diskussion von Ideen zum BEDINGUNGSLOSEN GRUNDEINKOMMEN. Es war zuerst ein FORUM des "Netzwerk Grundeinkommen", Näheres: http://Grundeinkommen.INFO . Die Sprecher+..Innen des Netzwerkes betreiben seit April 05 eine eigene Mailingliste, Näheres: http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/debatte-grundeinkommen.
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Autor |
Beitrag |
Silas Bernd
Beiträge: 115
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Erstellt: 14.06.05, 19:31 Betreff: Gefahren, Aufgaben, und eine Chance |
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Die Gefahren, die unserer Gesellschaft und damit der in ihr Lebenden, uns, drohen, können in zwei Punkte zusammengefasst werden. Diese sind ihr Festhalten an Verhaltenweisen, die unserem Dasein als Tiere ent- stammen sowie ihre Überbetonung von Naturwissenschaften und Technik. Deren Merkmale sind aus erstem die Konkurrenz und aus letztem die Konzentration auf die Macht.
Aus dem Umfang der Konkurrenz, welchem die Menschen sich ausgesetzt sehen, erwächst ihre Angst, wesentlich davor, zum Aussenseiter zu wer- den (S.104), mit der Folge entsprechender Angepasstheit, welche ihren Ausdruck findet in der Ausbildnug eines "Marketing-Charakter", im dem "der einzelne sich selbst als Ware und den eigenen Wert nicht [einmal mehr] als Gebrauchswert, sondern als Tauschwert erlebt." (S.141, Ein- fügung von mir). Eine weitere Folge ist die Jagd nach Wissen, darüber, wie man sich am besten präsentiert, attraktiv erscheint und natürlich auch um seinen Gebrauchswert zu steigern. Zugleich aber, da diese Lebensweise nicht unseren wahren Bedürfnissen entspricht, die sich aus ihr ergebenden Zwänge deren Befriedigung aber verhindern, entsteht ein übersteigerter Wunsch nach Zerstreuung und Vergnügen. Unsere Kompensationsversuche sind "ein Ausdruck der Ruhe- losigkeit und der inneren Flucht vor sich selbst" und unser Konsum ist "nur ein Mittel(), um sich davor zu schützen, sich selbst oder anderen nahe zu sein". (S.170)
Naturwissenschaften und Technik werden als den Geisteswissenschaften, besonders der Religion überlegen wahrgenommen, weil und insoweit ihre Erfolge greifbar sind. Die Tradierung eines angeborenen Instinktes zu Haben, zu Besitzen, begünstigt unsere Orientierung an der Macht. An den Erfolgen technischer Naturbeherrschung können Menschen partizipie- ren, auch ohne die Wege zu verstehen, sie können Konsumieren, und da- bei in Passivität verbleiben. Passivität muß als mit Knechtschaft, gar Krankheit verbunden angesehen werden (S.94), und diese, den Forderungen des Mensch-seins zuwiderlau- fenden, Tendenzen erzeugen weitreichende Verdängungsmechanismen, die unser Bild von der Wirklichkeit verfälschen. Das Mittel zur Verdängung des Bewußtseins unseres Leides ist der Konsum von Dingen. Diesem Mittel eignen nun aber zwei, sich verstärkende Neben- wirkungen; zum einen belässt es die Konsumenten in Passivität (selbst die Hervor- bringung des Mittels verlangt eher Geschäftigkeit als Aktivität), und zum anderen, denn schon hier versagt das Mittel den Zweck, führt die Empfindung wachsender Leere zu wachsender Abhängigkeit vom Mittel, von den zur Produktion desselben erforderlichen Strukturen und von der Aus- beutung der natürlichen Resourcen. Die fortgeschrittene Bürgergesellschaft hat die Maschine zur Gottheit erhoben, und wähnt sich schon selbst als Gott. "Entscheidend ist, daß sich der Mensch im Augenblick seiner größten _Ohnmacht_ einbildet, dank seiner wissenschaftlichen und technischen Fortschritte _allmächtig_ zu sein." (S.147) ____
"Zum ersten Mal im Leben des Menschen auf der Erde wird er aufgefordert, ... seine wirtschaftliche und technologische Entwicklung zu bremsen..." (S.156) Unser Problem besteht nicht in mangelnder Produktion, welcher wir mit einer Ausweitung von Naturwissenschaft und Technik begegnen könnten, sondern im Mangel an Bereitschaft zu Teilen, zu Selbstbescheidung.
Unsere Aufgabe besteht darin, jenem Wahn, die Belange einer Wirtschaft, der die Frage nach dem Grunde des Treibens gleichgültig ist (S.90), über alles zu stellen, entgegen, die menschliche Qualität eines Liebens jen- seits der bloßen Nachwuchspflege, als für den Fortbestand unserer Gesell- schaft unverzichtbar zu vermitteln. Wir dürfen "Wirtschaftlichkeit nicht zum Fetisch erheben" (S.179) "Wirtschaft-als-Lebensinhalt ist eine tödliche Krankheit,... Das Wirt- schaft nicht Lebensinhalt sein _darf_, ist uns von allen großen Lehrern gesagt worden; das sie es nicht sein _kann_, zeigt sich heute. (S.158) Erforderlich ist eine "radikale Änderung des Wirtschaftssystems", das uns zwingt "die Industrie durch krankhaft übersteigerten Konsum auf Touren zu halten" und das "nur um den Preis kranker Menschen möglich ist" (S.168..). "Die Arbeit des Bauern wie auch des Handwerkers war kein feindseliger, ausbeuterischer Angriff auf die Natur. Sie war eine Form der Zusammen- arbeit mit ihr; keine Vergewaltigung, sondern eine Umgestaltung der Na- tur in Einklang mit ihren Grenzen" (S.140). Solche eigentliche, ursprüng- liche Form der Aktivität, in welcher der Mensch sich als Subjekt seines Handelns erlebt, ist zugleich ein "Prozeß des Gebärens" (S.91). Dieses Gebären aber gehört zum Prinzip einer mütterlichen, dh. im Gegensatz zur väterlichen, unverlierbaren Liebe (S.140). In der nicht entfremdeten Tätigkeit erfährt der Mensch Freiheit, "die freie, bewußte Tätigkeit" entspreche dem "Gattungscharakter des Menschen" und für Marx bedeutete der Kampf zwischen Kapital und Arbeit nichts weniger, als den Kampf zwischen Tod und Leben, Vergangenheit und Zukunft (S.94..).
In der Existenzweise des Habens wird der Akt des Ungehorsam durch er- neute Unterwerfung und damit durch die Wiederherstellung des hierar- chischen Verhältnis, gesühnt. Die Existenzweise des Seins begegnet ungeeignetem Verhalten mit dem heilenden Akt eines Liebens im Sinne eines wieder-Eins-werdens, einer Erlösung aus der Einsamkeit, dem Ge- trenntsein, eben der Entfremdung, in der wir uns befinden (S.121..). Aus ihr ergibt sich die Gleichheit der Menschen voreinander. Das Verschwinden der Instinktbestimmt- und auch -geborgenheit trennte uns von der Natur. Spätestens mit der Erkenntnis der Kugelgestalt der Erde müssen wir auf die Überwindung dieser Trennung hinwirken. Das Haben gehört noch zu unserem 'Tiersein', wird uns also die ursprüng- liche Geborgenheit nicht zurückbringen können. "Um unsere Ernergien in eine Richtung zu lenken, um unsere isolierte Existenz mit all ihren Zweifeln und Unsicherheiten zu transzendieren und um ... dem Leben ei- nen Sinn zu geben" bedürfen wir eines "Objekt totaler Hingabe" (S.133).
Die Überlebenschance unserer Gesellschaft hängt an der Frage, "ob uns eine solche Umorientierung vom Vorrang der Naturwissenschaft auf eine neue So- zialwissenschaft glücken wird". Diese notwendige Umorientierung hat zur Voraussetzung, das hochmotivierte, fähigen Menschen ihr Tätigsein in den Dienst einer neuen humanistischen Wissenschaft stellen, deren wesentliche Aufgabe zunächst darin besteht, ein Bewußtsein für den Umfang der Probleme zu schaffen (S.166..). Die Forderung des bedingungslosen Grundeinkommen ist die nach einem "be- dingungslosen Recht, nicht zu hungern und nicht obdachlos zu sein", und sie gründet darauf, "das der Mensch das uneingeschränkte Recht zu leben hat, ob er seine 'Pflicht gegenüber der Gesellschaft' erfüllt oder nicht." (S.181) Die Installation solchen Gundeinkommens hätte "eine völlig andere Einstellung zur Arbeit" zur Folge, mit der "nicht mehr der materielle Ge- winn den Ausschlag gibt, sondern andere psychische Befriedigungen als Mo- tivation wirksam werden können." (S.166) "Nur eine von Grund auf veränderte sozio-ökonomische Struktur und ein völlig anderes Bild der menschlichen Natur können zeigen, daß Bestechung nicht die einzige (oder die beste) Möglichkeit ist, um Menschen zu beein- flussen. (S.106) Der Gedanke an ein bedingungsloses Grundeinkommen, das dabei vermutlich überhaupt keine zusätzlichen Kosten erzeugt, "wird all jenen undurchführ- bar oder gefährlich erscheinen, die überzeugt sind, daß 'Menschen von Natur aus faul' sind." (S.182) ____
Die Chance zur Durchsetzung eines, der Achtung der Würde des Menschen geschuldeten, bedingungslosen Grundeinkommen, als eines wichtigen Teiles der unabdingbar geforderten Umgestaltung unserer Gesellschaft, besteht wesentlich in dem den Menschen eigenen "Verlangen, ein Gefühl des Eins- seins mit andern zu erleben". Dieses "wurzelt in den Existenzbedingun- gen der Spezies Mensch und stellt eine der stärksten Antriebskräfte des menschlichen Verhaltens dar." (S.104) Wenn wir sagen, daß der Mensch zum Menschen erst durch den Menschen werde, so sagen wir damit auch, daß der Mensch das Ergebnis eines Altruismus ist; Es ist eben ein _anderes_ Mittel, mit dem der Mensch die Evolution fort- setzt. Das die natürliche Entwicklung übersteigende ist Kultur. Kultur aber ist die Tradierung erworbenen, dh. nicht allgemein menschlichen, in allen vorhandenen, Wissens, und sie hat die Teilung der Arbeit notwendig zur Folge. Mit der Teilung der Arbeit sind wir aber aufeinander angewie- sen. Arbeitsteilung erzeugt Solidarität und "als Hauptquelle der sozialen Solidarität () wird sie gleichzeitig zur Basis moralischer Ordnung" (Emil Durkheim; Über die Teilung der sozialen Arbeit). Für unser Anliegen der Einrichtung des Grundeinkommen steht dieser Soli- darität wesentlich die materielle Ungleichheit als eine Folge von Zwang, und zunehmend auch als eine Folge von Gesetzlosigkeit, als Folge der Glo- balisierung, entgegen. Der Reiche vermag sich mittels seines Besitzes am Geld der gesellschaftlichen Verpflichtungen zu entledigen.
Die Empfindung eines Leides aus "dem Verlust von Eigentum und ökonomi- scher Unabhängigkeit" (S.190), das die ArbeitnehmerInnen als in einem Lohnverhältnis stehende, eben nicht mehr, wie noch vor der Industrie- alisierung als selbständige Handwerker und Bauern, erfahren, kann viel- leicht mit der religiösen Dimension der anstehenden gesellschaftlichen Umorientierung gemindert werden; "Im neuen Testament wird mit Freude belohnt, wer dem Haben entsagt, während Traurigkeit das Los desjenigen ist, der an seinem Besitz festhält.." (S.116). Tatsächlich war ja auch im Konzept des Sozialismus das Privateigentum an Produktionsmitteln zu Gunsten eines gesellschaftlichen, aufgehoben. Darauf, und damit auf die Macht über andere Menschen, können und sollen wir also, zu Gunsten eines höheren Gutes, verzichten. Worauf wir nicht werden verzichten können ist aber die Überwindung der Entfremdung, die nicht zuerst mit der Industrialisierung, sondern mit dem Zwang zu solcher Arbeit, eingezogen ist. Unter Entfremdung leidet, vielleicht mehr noch als die Arbeitklasse, die Mittelschicht. "Heute zieht die Vision einer neuen Gesellschaft alle diejenigen an, die an der Entfremdung leiden, die abhängig beschäftigt sind und deren Eigentum nicht auf dem Spiel steht, mit anderen Worten, die Mehrheit der Bevöl- kerung, nicht bloß eine Minderheit." (S.191)
Wir müssen ein wachsen des Leidendruckes, besonders bei der hierfür em- pfänglichen 'Intelligenz', als Chance begreifen. Denkende Menschen sind eher bereit, sich die nahezu unüberwindbar erscheinenden Probleme bewußt zu machen, sich in die Einsamkeit zu begeben, die sich aus dem Engagement für neue, unbekannte Wege, ergibt. Sache und immer noch auch der Begriff des 'bedingungsloses Grundeinkommen' sind relativ neu, eine originäre Wortschöpfung, die noch wenig bekannt ist und dies ist ein wesentlicher Grund der Ablehnung; ohne Zitate, eben dem Gewohnten, fehlt vielen Menschen der Halt.
"Wollen wir zugleich das Heutige wachsam betreiben und das morgige hellsichtig bereiten, dann müssen wir in uns selber und in den nach uns kommenden Generationen eine Gabe ausbilden die als Aschenbrödel und vorbestimmte Prinzessin in der Innerlichkeit der Menschen lebt." Martin Buber, Elemente des Zwischenmenschlichen ________
liebe Grüße - Bernd
Seitenabgaben zu: Erich Fromm; Haben oder Sein, dtv, 1976, 1983
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